Abfindungen für Sitech-Gekündigte in Hannover und Wolfsburg fallen sehr großzügig aus

Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie haben in Deutschland viele Betriebe Kurzarbeit angemeldet, und zahlreiche Selbstständige fürchten um ihre Existenz – doch für 457 Mitarbeiter der Sitztechnik GmbH (Sitech) ist der Arbeitsplatzverlust auch ganz unabhängig vom Virus konkret geworden. Im Rahmen der Werksschließung in Hannover-Stöcken müssen die Betroffenen bis Mittwoch endgültig erklären, ob sie einen Aufhebungsvertrag unterzeichnen oder in eine Transfergesellschaft wechseln wollen. Die Irritationen, die die großzügigen Abfindungsangebote bei einem hannoverschen Anwalt ausgelöst hatten – er sprach von einem möglicherweise vergifteten Geschenk – sind inzwischen beseitigt. Arbeitsagentur sieht keine Hürden: Die Bundesagentur für Arbeit kann eine Sperrzeit von bis zu zwölf Wochen verhängen, wenn ein Arbeitnehmer aus freien Stücken kündigt; auch ein vom Beschäftigten initiierter Aufhebungsvertrag könnte zu einer dreimonatigen Sperre und damit zu einer entsprechenden Kürzung des Arbeitslosengeldes führen. „Die Arbeitsagentur hat den Sitech-Vorgang geprüft und klar gestellt, dass die Mitarbeiter mit Unterzeichnung des Aufhebungsvertrags nicht mit einer Sperrfrist rechnen müssen und ihre Abfindung nicht auf das Arbeitslosengeld angerechnet wird“, sagte Rechtsanwalt Jens Klinkert. Ein Eigenverschulden der Beschäftigten liege in diesem Fall nicht vor; nunmehr könne er seinen Mandanten guten Gewissens empfehlen, den Sozialplan zu unterzeichnen. Allerdings müsse jeder Betroffene darauf achten, die Kündigungsfrist – ob fiktiv oder ordentlich – einzuhalten. Der Aufhebungsvertrag sieht für jeden Unterzeichner einen Sockelbetrag von 10.000 Euro vor. Hinzu kommt eine Abfindung, die sich nach der Formel „Betriebszugehörigkeit mal Bruttomonatsentgelt mal Faktor zwei“ berechnet. Für jedes Kind im Haushalt kommen noch einmal 4000 Euro hinzu, ebenso für Schwerbehinderte und Ex-Mitarbeiter ab 52 Jahre. Konkurrent produziert billiger: Das hannoversche Sitech-Werk hatte um den Jahreswechsel herum mehrere Aufträge für die Produktion von Sitzen für die VW-Busse T6 und T 7 sowie den Elektrobulli ID Buzz verloren. Der Konkurrent Faurecia unterbot die VW-Tochter, das Unternehmen soll dem Vernehmen nach rund 25 Prozent weniger pro Sitz verlangt haben als Sitech. Der Betriebsrat in Hannover verweigerte sich jedoch weiteren sozialen Einschnitten, etwa einer 40-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich, woraufhin das Werk in Stöcken geschlossen wurde. Die IG Metall hatte die Aufgabe des Standorts im Vormonat als schwer verständlich bezeichnet, doch war die Gewerkschaft schlussendlich mit der Ausgestaltung von Sozialplan und Interessensausgleich zufrieden. Als aus Arbeitnehmersicht „außerordentlich gut“ bezeichnet das Paket auch der Arbeitsrechtler Michael Stein: So bekomme ein von ihm vertretener Mandant das knapp Achtfache der üblichen Regelabfindung. Zudem habe eine Sperrfrist gar nicht zur Debatte gestanden, so der Lehrter Anwalt, weil die offizielle Schließung des Betriebs zum 30. April 2020 die entsprechenden betriebsbedingten Kündigungen und die darauf aufbauenden Aufhebungsverträge generell gerechtfertigt habe. Lesen Sie auch: Gewerkschaft kritisiert Auftragsvergabe ins Ausland Landesregierung konnte nicht helfen Auch Übernahme in Transfergesellschaft ist attraktiv Von Michael Zgoll