Aufforstung in der Eilenriede: So sichern Experten den Eichenbestand in Hannovers Stadtwald

Es ist im wahren Wortsinn ein zartes Pflänzchen. Der etwa 40 Zentimeter lange Sämling, den Daniel Freimann in die Höhe hält, lässt noch nicht erahnen, was später einmal aus ihm werden wird. „In drei Jahrzehnten ist das schon eine ganz stattliche Eiche“, erklärt der stellvertretende Revierleiter der nördlichen Eilenriede. Dann stößt er einen Hohlspaten in den lockeren Waldboden, gräbt im 45-Grad-Winkel ein Loch und setzt den Eichensämling behutsam hinein. Eine Holzstütze gibt der Jungpflanze Halt, eine Spezialhülle schirmt sie ab, damit sie in geschützter Umgebung wachsen kann. Projekt soll Eichenbestand in Hannovers Stadtwäldern sichern: Allein 500 solcher jungen Eichen haben Freimann und seine Kollegen in den vergangenen Tagen auf einer Lichtung am Eilenriederand nahe der Sportanlagen des TuS Kleefeld gepflanzt. 1500 weitere Exemplare bringen städtische Forstarbeiter bis Ende März in anderen Teilen der nördlichen und südlichen Eilenriede unter die Erde. Hinzu kommen 1000 Jungeichen in den Stadtforsten Große Heide und Mecklenheide. Dieses neuartige, groß angelegte Aufforstungsprogramm hat ein bedeutendes Ziel: Es soll dazu beitragen, den Eichenbestand in Hannovers Stadtwäldern für die Zukunft zu sichern. 14.000 Euro kostet das zunächst. Eichen prägen Baumbestand in der Eilenriede: Die Eichen, die heute noch ein gutes Drittel aller rund 600.000 Bäume in der Eilenriede ausmachen und diese besonders prägen, sind langfristig gefährdet – wenn der Mensch ihnen nicht hilft. Dabei denken die städtischen Forstexperten in sehr weitreichenden Zeiträumen. „Würden wir nicht aufforsten, gäbe es in 200 Jahren kaum mehr Eichen in der Eilenriede“, erklärt Forstbetriebsleiter Felix Bettin. Das liegt daran, dass die kräftigen Bäume, denen Trockenheit vergleichsweise wenig schadet, in einem bestimmten Punkt besonders empfindlich sind: Wenn sie in den dicht gewachsenen, schattigen Stadtwäldern nicht mehr genügend Sonnenlicht bekommen, nehmen sie dauerhaft Schaden und sterben letztlich ab. Lesen Sie auch: Stadt lässt in Hannovers Wäldern 2000 Eichen pflanzen Normalerweise sorgen die Forstarbeiter regelmäßig dafür, den Baumbestand zu lichten. Sie fällen in den Wintermonaten gezielt andere Bäume – auch um den langsam wachsenden Eichen mit ihren ausladenden Kronen das nötige Licht und genug Platz zu verschaffen. So können diese sich auf natürliche Weise verjüngen. Doch dieser Rhythmus ist aus dem Takt geraten. Umweltdezernentin: „Besorgniserregende Entwicklungen durch den Klimawandel“: „Im Zuge des Klimawandels ist es gerade in den vergangenen Jahren zu sehr besorgniserregenden Entwicklungen gekommen“, berichtet Umweltdezernentin Sabine Tegtmeyer-Dette. So gab es von 2018 bis 2020 drei besonders trockene Jahre in Folge, viele Bäume in den Stadtwäldern überstanden die Dürre nicht. Kranke oder abgestorbene Exemplare, vor allem Buchen und Birken, mussten aus Sicherheitsgründen gefällt werden – allein in diesem Winter waren es 1135, so viele wie nie zuvor. Bei weiteren gesunden Bäumen die Säge anzusetzen, um den Lebensraum für die Eichen zu verbessern, wäre aus ökologischer Sicht nicht mehr vertretbar. Stattdessen nutzen die städtischen Forstexperten nun gezielt die Bereiche, die durch die jüngsten, sicherheitsbedingten Fällungen frei geworden sind, zum Aufforsten – Lichtschächte nennen sie diese Areale. Fichten machen Platz für Eichen: Der Eilenriedeabschnitt, der in Nachbarschaft zum TuS Kleefeld entlang der Kleestraße verläuft, ist mit einem halben Hektar einer der größten dieser Lichtschächte. „Vorher haben hier Fichten gestanden“, erklärt Forstbetriebsleiter Bettin. Es klingt nüchtern, wenn er das sagt. Aber der Fachmann weiß eben auch, dass der Verlust der Fichten auf lange Sicht dazu beiträgt, den Fortbestand der Eichen zu sichern – und damit auch die Lebensräume für etwa 500 Tierarten wie Hirschkäfer, Eichelhäher oder Mittelspecht. Außer den Eichen werden keine anderen Arten nachgepflanzt. Denn grundsätzlich sollen sich die Stadtwälder aus eigener Kraft verjüngen. Lesen Sie auch: 20 bis 30 Prozent des Stadtwalds sind stark geschädigt Derzeit ist auf der aufgeforsteten Fläche ein sonderbarer „Wald“ zu sehen: Die weißen und braunen Schutzhüllen, unter denen sich die 500 Eichensämlinge verbergen, ragen in die Landschaft. „Sie wirken wie kleine Gewächshäuser“, erläutert Vizerevierleiter Freimann. Zudem schützen sie die Jungbäume vor gefräßigen Mäusen und anderen Tieren. Die Hüllen aus Maisstärke und Pappe sind biologisch abbaubar, sie verrotten im Waldboden. „Das ist ein Produkt aus Österreich, wir testen es erstmals.“ Nach einigen Jahrzehnten würden längst nicht mehr alle der nun aufgeforsteten Eichen stehen, sagt Freimann. Es gebe nach und nach eine „natürliche Auslese“ – und dadurch auch wieder Platz für die verbliebenen Eichenexemplare. Der Klimawandel und die damit verbundene Trockenheit setzt Hannovers Stadtwäldern nachhaltig zu. Forstbetriebsleiter Felix Bettin schätzt, dass allein in der Eilenriede etwa 20 bis 30 Prozent des Baumbestandes infolge der Dürrejahre geschädigt sind – vor allem Buchen und Birken sind betroffen. Wie umfangreich die Schäden sind, will die Stadt in diesem Jahr mit einer Waldinventur ermitteln. Die Bestandsaufnahme bildet die Grundlage für das sogenannte Forstbetriebswerk, einen auf zehn Jahre angelegten Handlungsplan für die Nutzung der Wälder. Die Experten versprechen sich auch Konzepte für den Umgang mit dem Klimawandel. Es sei denkbar, Arten zu pflanzen, die gegen Hitze resistenter sind, sagt Bettin. Allerdings ist die Eilenriede als Wald mit heimischen Baumarten zertifiziert und könnte ihren Status so verlieren. Zu den Stadtwäldern zählen zudem auch Bockmerholz, Gaim oder Mecklenheider Forst. Zwei bis drei Jahre wird es dauern, bis die jungen Eichen ihren Hüllen entwachsen sind. Die zwei mächtigen, weit mehr als 20 Meter hohen Artgenossen direkt daneben bilden einen eindrucksvollen Kontrast. „Sie sind zwischen 120 und 160 Jahre alt“, schätzt Bettin. Und es wirkt fast ein bisschen so, als schauten die Bäume voller Erwartung auf den „Nachwuchs“ am Boden herab. Von Juliane Kaune