Betrug mit Corona-Soforthilfe in Hannover

Corona-Soforthilfen sind eigentlich für Unternehmen in Not gedacht – als Schrotthändler getarnte Betrüger haben sie in Hannover im großen Stil zu unrecht beantragt und zum Teil auch bekommen. Das ist das Ergebnis monatelanger Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft, die in immer mehr Fälle am Amtsgericht Hannover münden. Nach einer groben Schätzung dürfte es sich um mehr als eine Million Euro handeln, die mutmaßliche Subventionsbetrüger mit der Masche von der niedersächsischen Förderbank N-Bank kassieren wollten. Mittlerweile 160 Fälle sind seit Ausbruch der Corona-Krise nach Angaben von Gerichtssprecher Koray Freudenberg beim Amtsgericht Hannover eingegangen – das sind mehr als 10 Prozent der insgesamt 1400 Fälle, die Staatsanwaltschaften in ganz Niedersachsen beschäftigen. Es geht um viel Geld: Dabei geht es um viel Geld: Das niedersächsische Justizministerium beziffert die Summe, die landesweit mit falschen Angaben beantragt wurde, auf insgesamt 11 Millionen Euro. In Hannover fällt den Ermittlern immer wieder dieselbe Masche auf: „Die Story ist sehr häufig die gleiche“, sagt Strafrichter Reinhard Meffert. Er bekommt einen großen Teil der Fälle von der Staatsanwaltschaft Hannover auf den Tisch: Angebliche Schrotthändler geben an, dass ihnen wegen der Pandemie niemand mehr Schrott verkauft. Ohne Unterstützung drohe der Ruin. Lesen Sie auch Amtsgericht Hannover: Betrug mit Corona-Hilfen - Sozialhilfeempfängerin in Haft Betrug bei Corona-Soforthilfen: Staatsanwaltschaft Hannover ermittelt in 331 Fällen Betrug bei Corona-Soforthilfen: Razzia in der gesamten Region Hannover Hannover: Schrotthändler wollte Corona-Soforthilfe kassieren – und wird vom Amtsgericht verurteilt Vergangene Woche hat Meffert einen 22-Jährigen zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt. Adrian S. hatte als angeblicher Schrotthändler 9000 Euro Soforthilfe bekommen und laut Anklage gleich einen zweiten Antrag hinterhergeschickt. Nur: Der vorbestrafte Mann aus Rumänien betreibt gar keinen Schrotthandel. Dagegen spricht schon seine Adresse: Er lebt in der Notunterkunft am Waterlooplatz, was die N-Bank stutzig machte, nachdem die Staatsanwaltschaft zu einer ähnlichen Geschichte Ermittlungen aufgenommen hatte. Teilweise deckungsgleiche Schreibfehler: Im Mai 2020 schließlich schrieb die Bank an die Ermittler: „Die Ausübung eines Gewerbebetriebes unter dieser Anschrift ist nach unserer Einschätzung sehr ungewöhnlich.“ Man habe daher den Datenbestand nach weiteren Antragstellern gefiltert. Dabei kam heraus: 16 weitere angebliche Schrotthändler lebten in den Containern am Waterlooplatz. Was weiter auffiel: Die Antragsteller hatten ähnliche oder identische Förderbedarfe angegeben – und in den Anträgen teilweise deckungsgleiche Schreibfehler gemacht. Diese Informationen dürfte der Beginn größer angelegter Ermittlungen gewesen sein, die in eine regionsweite Razzia mündeten. Im Juni 2020 rückten 150 Polizisten in den Wohnungen von damals 49 Beschuldigten an, allesamt angeblich fahrende Schrotthändler. Der hannoversche Erste Staatsanwalt Oliver Eisenhauer sagte damals: „Alle Anträge waren nahezu inhaltsgleich. Es besteht der Verdacht, dass voneinander abgeschrieben wurde.“ Gibt es Hintermänner? Amtsrichter Meffert hat mehr als ein halbes Jahr später einen ähnlichen Verdacht. Er glaubt aber, dass die Menschen nicht einfach voneinander abgeschrieben haben. Nach Einschätzung des Strafrichters gibt es Hintermänner, die in die Notunterkünfte am Waterlooplatz und auch am Burgweg gegangen sind, und gegen Provision Anträge für die Bewohner ausgefüllt haben. „Es gibt ein Muster“, sagt der Jurist. Die Aussagen der Angeklagten in seinem Gerichtssaal legen das zumindest nahe. Adrian S. sagte in der vergangenen Woche, er habe die Anträge nicht ausgefüllt. „Das waren zwei Männer, die ich nicht kannte“, übersetzte eine Dolmetscherin. Sie seien auf ihn zugekommen, hätten versichert, dass der Staat allen Bewohnern eine Corona-Hilfe auszahle. Angeblich gegen Vorkasse von 500 Euro füllten die Männer den Onlineantrag aus. Acht Monate Haft für Frau im Burgweg: Ähnlich lautet die Geschichte der 33-jährigen Rumänin Ani V. aus der Notunterkunft am Burgweg. Sie hat als angebliche Schrotthändlerin 9000 Euro erhalten. Meffert hat die vorbestrafte Mutter von sieben Kindern zu acht Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. V. hat Rechtsmittel eingelegt. Sie hat erklärt, ein Mann sei zu ihr in die Containerunterkunft in Hainholz gekommen. Er habe gesagt, der Staat verschenke wegen Corona Geld. Er könne beim Antrag helfen. Auf seinem Smartphone habe der Mann den Antrag im April 2020 ausgefüllt. Kurz darauf war das Geld da. Ungeklärt blieb, was aus 2000 Euro wurde, die Ani V. sofort nach dem Eingang in bar abhob. Meffert glaubt: Das Geld ist als Provision geflossen. Beweisen kann er es nicht. „Zu den Hintermännern wollten die Angeklagten bisher nie etwas sagen. Ich persönlich gehe davon aus, dass die sich kennen – aber aus Angst oder falsch verstandener Solidarität nichts sagen.“ Von Karl Doeleke