Black Lives Matter Hannover ziehen Bilanz im Interview

Weltweit haben Millionen Menschen in diesem Jahr gegen Rassismus demonstriert – Auslöser war der gewaltsame Tod des Afro-Amerikaners George Floyd in den USA. Die Black-Lives-Matter-Bewegung wurde auch in Hannover aktiv. Ein Gespräch mit drei Mitgliedern der Gruppe: Künstlerin Mintah (26), Student und Youtuber Jonas Bidiamba (22) und Stylistin Natalie Rudi (29). Die Black-Lives-Matter-Bewegung wurde 2013 in Missouri in den USA gegründet und hat diesen Sommer auch in Deutschland Fahrt aufgenommen. Warum hat das so lange gedauert? Bidiamba: Der Grund liegt glaube ich in der Geschichte. In den USA gibt es die Bürgerrechtsbewegung ja schon seit dem 19. Jahrhundert. Wir sind die erste Generation, die geschlossen demonstriert. Unsere Eltern sind als Flüchtlinge oder Migranten hierher gekommen. Damals gab es Sprachbarrieren, die Asylpolitik war etwas komplizierter. Es haben sich zum Teil Parallelgesellschaften gebildet. Die Leute sind unter sich geblieben. Wir sind jetzt eine neue Generation, wir haben einen Bezug zur deutschen Kultur und Sprache, wir erleben Integration. Und wir sind die ersten, die sagen können, dass Rassismus und Diskriminierung auch in Europa und Deutschland die Realität sind und dass wir ein Fundament dagegen aufbauen wollen. Rudi: Ich glaube auch, dass die Sprachbarriere ganz wichtig ist. Man muss sich ausdrücken können, um gehört zu werden. Sind Sie schon vor Black-Lives-Matter politisch gewesen? Mintah: Ich hatte vorher noch nie eine Demo organisiert. Aber nachdem in den USA George Floyd getötet wurde, habe ich mich irgendwie verantwortlich dafür gefühlt, in Hannover dafür zu sorgen, dass so viele Menschen wie möglich mitbekommen, was gerade passiert. Dass Rassismus nicht nur in den USA passiert, sondern auch in Deutschland, auch in Hannover. Rudi: Ich auch nicht. Vorher hat mich keine Bewegung hundertprozentig überzeugt. Auch wenn mich die Black-Lives-Matter-Bewegung nicht unmittelbar betrifft, weiß ich, was Rassismus bedeutet und finde es toll, meine Energie da reinzustecken und Mitgefühl zu zeigen. Und zur ersten Demo sind dann gleich mehr als 8500 Menschen gekommen. Hätten Sie so viel Zulauf erwartet? Mintah: Das war schon krass. Wir hatten mit 500 Personen gerechnet. Und dann kam während der Demo fast stündlich ein Polizist vorbei und meinte: „Jetzt sind es 4000, jetzt 5000, jetzt 8000.“ Ich war so geschockt und meinte noch: „Das tut mir leid, ich habe wirklich nicht damit gerechnet!“ (lacht) Die Polizei war uns gegenüber sehr nett und kulant, ich glaube, die waren irgendwie auch gerührt. Und bei der zweiten Demo drei Wochen später wussten wir dann auch schon, auf was man achten muss. Rudi: Der Begriff Hype wird ja meist eher mit etwas Negativem verbunden, aber an dem Tag gab es einen total positiven Hype, es waren so viele Menschen da, die sich solidarisiert haben. Das war überwältigend. Ich habe mit Freundinnen die Silent Demo organisiert, die genau vor der großen, lauten Demo stattfand. Dort haben Mintah und ich uns dann auch kennengelernt und unsere Gruppen haben beschlossen, zusammen weiterzumachen. Wie ging es nach dem Hype im Sommer weiter? Mintah: Das Selbstverständnis in der schwarzen Community ist anders. Man traut sich jetzt mehr. Man hat nicht mehr Angst, sich selbst zu vertreten und zu sagen „das geht gar nicht, reflektier bitte mal, was du gerade sagst“. Was außerdem schön ist, ist, dass viele dazulernen wollen und sich mit Rassismus beschäftigen. Wir geben unser bestes, über unsere Online-Kanäle so viel Aufklärungsarbeit wie möglich zu leisten. Rudi: Das stimmt, die Leute fangen wirklich an, sich mehr zu hinterfragen. Online geht der Hype weiter, wir bekommen super viel Resonanz auf unsere Aufklärungsvideos zu Rassismus. Auf den Demonstrationen haben viele Rednerinnen und Redner über ihre Erfahrungen mit Rassismus gesprochen, der Jüngste war erst acht Jahre alt. Hat sich seit dem Sommer etwas geändert? Mintah: Solche Situationen passieren eigentlich täglich. Man wird immer noch damit konfrontiert, dass man anders aussieht, das ist halt das Problem. Irgendwas ist immer. Egal ob auf der Arbeit oder beim Einkaufen. Immer musst du dich rechtfertigen. Ich reg’ mich meistens schon gar nicht mehr so richtig darüber auf. Es sei denn, es geht gar nicht mehr. Bidiamba: Das Problem ist hier der Dialog. Wenn man jemandem sagt, „du bist rassistisch“ oder „das war gerade diskriminierend“, dann ist es normal, dass die Person sich angegriffen fühlt und anfängt, sich zu verteidigen. Wir müssen schauen, wie man so einen Dialog künftig gestaltet, damit Selbstreflexion bei den Personen stattfinden kann und die Leute nicht nur mit dem Finger gegenseitig aufeinander zeigen. Wie haben Ihre Eltern darauf reagiert, dass Sie BLM-Proteste organisiert haben? Mintah: Meine Mutter war total überwältigt. Sie hat sich bei mir dafür bedankt, dass wir das gemacht haben. Sie selbst hätte so etwas früher niemals gemacht, allein wegen der ganzen anderen Probleme, die sie hatte, als sie nach Deutschland gekommen ist. Und weil keiner darüber geredet hat. Bei der zweiten Demo war sie dann dabei und hat mitdemonstriert. Rudi: Ich habe auch Unverständnis erfahren, meine Mutter meinte: „Das ist doch nur in den USA so schlimm.“ Die standen dem nicht mit geschlossenen Augen gegenüber, aber hatten einfach einen anderen Bezug dazu. Als ich es erklärt habe, konnten sie es verstehen. Bidiamba: „Deutschland hat sich positiv verändert“ – das hat mein Vater nach den BLM-Protesten zu mir gesagt. Früher gab es eine deutliche Parallelgesellschaft der Diaspora. In dieser Zeit leben wir nicht mehr. Sie haben sich im Sommer gegründet und mussten dann relativ schnell eine Agenda festlegen. Was ist davon geblieben? Bidiamba: Wir sind lokaler geworden. Wir haben uns gefragt: Was wollen wir erreichen und was können wir erreichen? Anfangs haben wir mit BLM-Bewegungen aus anderen deutschen Städten Reparationszahlungen für ehemalige deutsche Kolonien gefordert. Das ist dann ja schon sehr international gefasst. Unter anderem durch Gespräche mit Regionspräsident Hauke Jagau haben wir dann gemerkt, dass es für uns effektiver ist, zu schauen welche Barrieren wir in Hannover haben und was man vor Ort dagegen tun kann. Daraus ist dann etwa die Black Artists Night entstanden, die im September in der Nordkurve stattfand. Rudi: Wir sind der festen Überzeugung, dass wir nicht mit einem aggressiven Ton an die ganze Sache herangehen wollen. Wir wollen das ruhig, Hand in Hand und mit Liebe gestalten, deswegen haben wir Black Artists Night auch gemacht. Wir glauben, dass man mit Kunst und Comedy Barrieren durchbrechen und ein gutes Fundament schaffen kann. Außerdem haben wir Spendenaktionen für Kinder von Geflüchteten und Jugendlichen in Frauenhäusern organisiert, um zu zeigen, dass es nicht nur um uns geht, sondern um alle. Wie sieht es mit der Forderung nach der Umbenennung von Straßen und dem Abbau von Denkmälern für Kolonialherren in Hannover aus? Rudi: Das sind Sachen, die uns wichtig sind und die aus unserer Sicht stattfinden sollten. Aber wir pochen da jetzt sind sofort drauf, sondern versuchen das in einem ruhigen Ton und Schritt für Schritt anzugehen. Natalie Rudi, 29 Jahre alt, ist Stylistin und Veranstaltungsgastronomin. Jonas Bidiamba (23 Jahre), studiert in Bochum Sozialwissenschaften und berichtet als Youtuber unter dem Namen Lux über afrozentrische Geschichte. Amanda Mintah (26 Jahre), studiert in Hildesheim Kulturwissenschaft & Ästhetische Praxis und veröffentlicht unter dem Namen Mintah Songs. Bidiamba: Wenn Menschen sich von einem Namen oder Denkmal angegriffen fühlen, finde ich es schon wichtig, dass man andere darüber aufklärt und warum das so ist und was diese Person wirklich getan hat. Groß sichtbare Hinweisschilder wären schon mal ein Schritt in die richtige Richtung Was planen Sie für das nächste Jahr? Bidiamba: Ich wünsche mir lösungsorientierte und effektive Dialoge mit Betroffenen und Nicht-Betroffenen. Wir wollen außerdem kleine Dokumentationen gestalten, etwa über die sozialpsychologische Bedeutung von Rassismus oder etwa über den Lübecker Brandanschlag (Anm. d. Red.: Brandstiftung in einem Asylbewerberheim im Jahr 1996). Viele, die damals mittelbar oder unmittelbar betroffen waren, leben jetzt in Hannover. Wir wollen Betroffenen eine Stimme geben. Rudi: Wir wollen auf jeden Fall sobald es geht eine zweite Black Artists Night veranstalten und weiter Kunst nutzen, damit unser Anliegen positiv im Herzen und in den Gedanken bleibt. Von Nadine Wolter