Corona: Eltern entscheiden über Schulbesuch

Nach den Ferien durften Schüler in Grundschulen, Abschlussklassen und Förderschulen für geistige Entwicklung zumindest in geteilten Gruppen abwechselnd wieder in den Unterricht. Durch die bundesweite Verschärfung des Lockdown lässt Niedersachsen diesen Familien jetzt die Wahl, ob sie ihr Kind zur Schule schicken. Michael Jürgens erinnert das unangenehm an die Situation kurz vor Weihnachten, als dies den Eltern bereits einmal freigestellt war. „Die Last der Entscheidung liegt wieder bei den Eltern. Ich finde das fragwürdig, denn es setzt Familien einem großen Rechtfertigungszwang im Bekanntenkreis aus.“ Jürgens, von 2018 bis 2020 im Stadtelternrat Hannover, kennt etliche Eltern von Grundschülern. „Die Belastung in den Familien ist mittlerweile so groß, dass die kurze Zeit in der Schule eine Chance auf Entspannung bietet.“ Jürgens begrüßt es aber, dass Niedersachsen die Grundschulen grundsätzlich offen hält. Schulleitung appelliert: Kinder zu Hause lassen: Tatsächlich bekamen die ersten Eltern in der Region Hannover Mittwoch eine Nachricht aus der Grundschule – mit dem eindringlichen Appell, ihr Kind zu Hause zu lassen. Die Familien ärgerten sich über den moralischen Druck. „Das ist nicht im Sinne des Kultusministeriums. Es geht um die Wahlfreiheit der Eltern“, kritisiert Oliver Röttger vom Regionselternrat Hannover. Die Schulleitungen seiner Kinder hätten neutral informiert. „Und so ist es auch richtig.“ Von anderer Seite unter Druck fühlt sich Nadine Lievenbruck, Mutter einer Grundschülerin: „Die meisten Eltern unserer Klasse bringen ihre Kinder zur Schule, und das werden wir deshalb auch machen.“ Dabei hätte sich Lievenbruck gewünscht, dass Niedersachsen die Schulen konsequent schließt wie die anderen Bundesländer. „Es geht doch jetzt darum, die Pandemie einzudämmen und die Allgemeinheit zu schützen.“ Die junge Mutter rechnet auch damit, dass Kinder, die freiwillig zu Hause bleiben, weniger betreut werden und durchs Raster fallen. „Die Lehrer sind ja im Präsenzunterricht voll eingebunden.“ Einfach ist die Entscheidung jedoch in keinem Fall. „Wir haben spontan gesagt, wir schicken unsere Kinder weiter zur Schule“, berichtet Daniela Kaiser, Mutter zweier Grundschüler. Sie ist davon überzeugt, dass die Kinder im Kontakt mit den Lehrern deutlich mehr lernen. Allerdings wollen die Kaisers sich auch am Verhalten der anderen Familien orientieren. „Wenn nur zwei oder drei Kinder in den Unterricht gehen, macht das keinen Sinn.“ Gerald Blödorn hat gerade erst erlebt, wie gut seinem Sohn der Kontakt mit anderen Kindern in der Schule tut. „Die Regelung in Niedersachsen gibt Familien die Chance, für sich die beste Lösung zu finden“, meint er. Lehrkräfte kritisieren Mehrfachbelastung: Die betroffenen Schulen müssen jetzt allerdings gleichzeitig Präsenz- und Distanzunterricht anbieten, Notgruppen betreuen und auch die Kinder, die komplett zu Hause bleiben. An der Gebrüder-Körting-Schule haben die Lehrer den Wechselunterricht gezielt so organisiert, dass alle Schüler täglich zwei Stunden an der Schule sind. „So können wir den Kindern ihre Arbeitsaufträge besser erklären“, sagt Schulleiterin Anke Berndt. Viele Eltern könnten keine Unterstützung leisten, manche seien stark von der Pandemie beeinträchtigt. Berndt sorgt sich nun, dass Familien ihre Kinder aus Angst zu Hause lassen und der Kontakt zur Schule abbricht. „Unsere Kollegen sind erschrocken, weil die Regelung eine unglaubliche Überforderung darstellt“, sagt Alexandra Vanin, Leiterin der Otfried-Preußler-Schule. Mit dem gleichen Personal solle nun auf eine Vielfalt an Bedürfnissen eingegangen werden. Bisher unterrichten die Lehrer die Hälfte der Klasse in der Schule, die andere Hälfte erledigt im täglichen Wechsel zu Hause Aufgaben, digital betreut durch die Lehrer. Einige Schüler wurden gezielt in die Notbetreuung eingeladen, um sie besser fördern zu können. Nun komme auch noch die Gruppe der Kinder hinzu, die ganz zu Hause bleiben. Abiturienten: Zu Hause oder in der Schule? Die Niedersächsische Direktorenvereinigung kritisiert, dass das Land auch für den 13. Jahrgang die Präsenzpflicht aufgehoben hat. „Für viele Lehrkräfte ist das eine besonders schwierige Situation, weil sie zugleich Präsenz- und Onlineunterricht organisieren müssen“, sagt Verbandschef Wolfgang Schimpf. Besser wäre kompletter Distanzunterricht für die angehenden Abiturienten gewesen oder vollständige Präsenzpflicht. Zumal alle Schüler für Klausuren in die Schule kommen müssen. Von Bärbel Hilbig

Corona: Eltern entscheiden über Schulbesuch – unter Druck