Corona-Krise: So reagiert ein Grundschullehrer auf die Ängste der Schüler

Olaf Daum hat den sieben Kindern in seiner Notbetreuungsgruppe an der Grundschule Fuhsestraße in Leinhausen in dieser Woche erklärt, was lineares und exponentielles Wachstum bedeutet und wieso Hamsterkäufe nicht heißt, dass sich jetzt alle Menschen plötzlich ein Nagetier kaufen. Das seien die Themen, die die Grundschüler derzeit beschäftigten, sagt der Sonderpädagoge (48). „Da ist viel Verunsicherung und Angst in den Augen der Kinder. Wir versuchen, ihnen Sicherheit zu geben und ihre Fragen zu beantworten.“ Manche Kinder hätten auch Angst, dass ihre Eltern, die in der Pflege- oder Medizinbranche tätig seien, sich anstecken könnten. Begriffe wie Ausgangssperre machen Angst: Die Stimmung in der Notgruppe sei zwar herzlich, aber dennoch seltsam gespannt, berichtet der Lehrer. Alle hielten Abstand voneinander – mindestens eineinhalb Meter. Morgens würden sich alle erstmal mindestens 30 Sekunden lang die Hände wachsen, dann treffe man sich zum großzügig auseinandergestellten Stuhlkreis. Daum lässt die Kinder Wörter nennen, die ihnen Angst machen.Es kommen Begriffe wie „Virus“, „Quarantäne“, „Desinfektionsmittel“, „Abstand halten“, „Ausgangssperre“. Plötzlich sagt eine Viertklässlerin:„Linear und exponentiell“. Darunter kann sich niemand etwas vorstellen. Auf dem Mathematiklehrplan stehen „lineares und exponentielles Wachstum“ eigentlich erst in Jahrgang 10, aber in Corona-Zeiten müssen die Lehrer flexibel sein. Bauklotztreppe verdeutlicht die Coronagefahr: Und so lässt Daum die Kinder einfach in gebührendem Abstand aus Bauklötzen eine Treppe bauen: „ Jede neue Reihe steht für einen neuen Tag, jeder Stein für einen neuen Menschen, der sich an Corona angesteckt hat. Baut die Treppe so, dass zu sehen ist, wie es aussieht, wenn sich jeden Tag ein Mensch mehr als am Tag davor angesteckt hat.“ So kann man lineares Wachstum ganz anschaulich darstellen. Anschließend stellt Daum die zweite Aufgabe. „Bei Corona ist das nämlich leider etwas anders. Die Aufgabe für euch heißt jetzt: Baut die Treppe für acht Tage nun so, dass sich nicht jeden Tag nur ein Mensch zusätzlich ansteckt, sondern so, dass es jeden Tag doppelt so viele, wie am Tag zuvor, sind!“ Natürlich wisse er, dass die Coronainfektionsrate noch weitaus höher sei, sagt der 48-Jährige, aber schließlich sei er an einer Grundschule und nicht in der Sekundarstufe I. Mit Yengasteinen bauen die Kinder eine exponentielle Treppe. Nun wird fürs das Mittagessen eingekauft – aber natürlich nur zu zweit, eine Lehrkraft und ein Kind. Zwischendurch arbeiten die Grundschüler auch ganz normal in ihren Arbeitsheften, natürlich freiwillig: „Das gibt ihnen Struktur, das ist etwas Vertrautes, das brauchen sie in diesen Tagen, Gewohntes tut ihnen gut.“ Auch in den Osterferien soll die Betreuung in den Notgruppen weitergehen. Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) hat an Lehrer appelliert, dass sie sich weiterhin dafür zur Verfügung stellen. Für Daum ist das keine Frage: „Auch wir als Lehrer sind gefragt, unsere Gesellschaft soweit zu stabilisieren wie es geht, es geht nicht darum, dass wir etwas leisten müssen, sondern dürfen. Es ist ein Privileg, dass uns unser Dienstherr nicht dienstfrei gestellt hat.“ Es gehe nicht um Beamtenpflicht, sondern um Solidarität, findet Daum. Er verweist darauf, dass viele andere Arbeitnehmer in die Kurzarbeit geschickt werden müssten, weil den Firmen die Aufträge fehlen. Lesen Sie auch: So reagieren Hannovers Kitas und Schulen auf die Schließung Liveticker: Die Lage in Hannover und Niedersachsen im Überblick Aktuelle Zahlen zum Coronavirus in der Region Hannover: So viele Infizierte gibt es Der tägliche Corona-Newsletter der HAZ: Jetzt gratis anmelden Alle Artikel zum Coronavirus in der Region auf einen Blick So können Sie Geschäften, Gastronomie und Freiberuflern in der Region Hannover jetzt helfen Von Saskia Döhner