Corona-Krise in Hannover: Jugendliche trinken sich seltener ins Koma

Im vergangenen Jahr sind in Hannover deutlich weniger Kinder und Jugendliche mit Anzeichen auf eine Alkoholvergiftung im Krankenhaus gelandet. Im Kinderkrankenhaus auf der Bult beispielsweise hat sich die Zahl der Fälle auf rund 90 halbiert. Hauptgrund dafür sind offenbar die Corona-Schutzmaßnahmen. Das berichtet jedenfalls der Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Kinderkrankenhauses auf der Bult, Prof. Christoph Möller. Das vorübergehende Verbot des Außer-Haus-Verkaufs von Alkohol sowie des Trinkens im öffentlichen Raum wirke. Hinzu komme, dass seit einem Jahr praktisch keine Feiern oder Partys stattfinden dürfen. „Es gibt in der Corona-Pandemie kaum eine Gelegenheit für Jugendliche, sich öffentlich zu besaufen“, erläutert Prof. Möller. Chefarzt ist dennoch in großer Sorge: Der Chefarzt ist dennoch in großer Sorge. Zwar sei der starke Rückgang beim sogenannten Komasaufen von Kindern und Jugendlichen positiv zu bewerten. Viele Jugendliche litten aber in der Corona-Krise ganz besonders unter alkoholkranken Eltern oder einem alkoholkranken Elternteil. Denn: Bei den Erwachsenen ist der Alkoholkonsum in der Corona-Krise gestiegen – und zwar im eigenen Haus. Die über 18-Jährigen bräuchten nicht unbedingt Partys und Feiern, um zur Flasche zu greifen, sagt Prof. Möller. „Erwachsene Alkoholiker trinken oft allein, zum Beispiel zu Hause oder im Büro“, berichtet er. Negative Folgen überwiegen: Durch den pandemiebedingten Lockdown fehle den jungen Menschen, die einen alkoholkranken Vater oder eine alkoholkranke Mutter hätten, die Möglichkeit, mit anderen Menschen über ihre Sorgen und Nöte zu sprechen, sagt der Mediziner. Er ist sich deshalb sicher, dass trotz des enormen Rückgangs beim Komasaufen insgesamt die negativen Folgen für Kinder und Jugendliche überwiegen. Für diejenigen, die aus Familien mit Alkoholikern kommen, habe der Lockdown „fatale Folgen“, meint Möller. Laut einem Bericht der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Daniela Ludwig (CSU), lebt jedes dritte bis vierte Kind mit einem alkoholkranken Elternteil in einem Haushalt. Die Zahl lasse sich auch auf die Region Hannover übertragen, meint Prof. Möller. „Alkoholkranke Eltern können nicht die Erziehung von Kindern übernehmen“, betont er. Im Lockdown bekämen weder die Schule noch Freunde mit, wenn etwas schieflaufe. Indirekt kritisiert Möller auch die Jugendämter. Denn Familien mit Problemen würden in der Pandemiezeit nicht mehr so häufig von den Experten der Behörden besucht, wie es eigentlich nötig sei. Von Mathias Klein