Corona: Tierärztliche Hochschule Hannover vor Test eines Impfstoffs

Das enge Obergeschoss lässt die Bedeutung des Gebäudes der Tierärztlichen Hochschule (TiHo) am Bünteweg nur schwer erahnen. Dutzende Lüftungsrohre und -schächte reihen sich hier dicht an dicht. Nach Forschung sieht nicht aus. Und doch wird eine Etage tiefer in Kürze ein Impfstoff gestest, der zur Lösung der Corona-Pandemie beitragen soll. Dort, im nicht zugänglichen Bereich, befinden sich die Labore. Und Tiere leben als Testobjekte in einem modernen Hochsicherheitsstall. Weil der Test kurz bevor steht, rückt die Wissenschaft, wie so oft in diesen Tagen, mehr und mehr in den Fokus der Öffentlichkeit. Auch Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Wissenschaftsminister Björn Thümler (CDU) haben sich bereits nach dem Fortschritt bei der Impfstofffrage in der TiHo erkundigt. Fünf Wissenschaftler berichteten über ihre Ansätze im Kampf gegen Corona. „Das ist eine so wichtige Aufgabe. Viele Politiker drücken Ihnen gerade die Daumen“, sagte Weil. Ein alter Pockenimpfstoff liefert die Grundlage: Einen fertigen Impfstoff hat Professorin Asisa Volz, die erst im April ihren Ruf an die Hochschule erhielt, bereits entwickelt. Er trägt den Namen MVA (Modifizierte Vacciniavirus Ankara). Ursprünglich diente das in den 1960er-Jahren entwickelte Präparat gegen Pocken, nun soll eine Weiterentwicklung auch gegen Sars-CoV-2 helfen, das neuartige Coronavirus. Eines habe der Impfstoff anderen Kandidaten voraus, von denen derzeit die Rede ist: Zumindest die Grundlage des Präparats sei schon mit nur geringen Nebenwirkungen an Menschen getestet, sagte Volz. Forscher suchen nach der passenden Tierart: Trotz dieser Vorteile wird der Impfstoff aber frühestens im Frühjahr 2021 zur Verfügung stehen – bestenfalls. Denn bevor der Wirkstoff am Menschen getestet, geschweige denn eingesetzt werden kann, proben Forscher die Unbedenklichkeit und Wirkung an Tieren. Derzeit läuft die Suche nach der passenden Tierart, weil noch immer nicht ganz klar ist, ob Tiere ähnlich wie Menschen auf das Virus reagieren – und wenn ja, welche Tiere. Bei Frettchen und Hamstern scheint eine Infektion generell möglich, aber auch Kaninchen und Mäuse kommen infrage. Für diese Art der Forschung scheint die TiHo in Hannover ein prädestinierter Ort zu sein. Nicht nur, weil die Infektionsmedizin generell ein Schwerpunkt der Hochschule ist, sondern auch, weil das neuartige Coronavirus wohl – wie die vorherigen Coronaviren auch – aus der Tierwelt stammt. Mit dem Research Center for Emerging Infections and Zoonoses (RIZ), wie das Forschungszentrum genauer heißt, verfügt die TiHo zudem über das entsprechende Gebäude. Ein exzellenter Bau, der in seiner Dimension im universitären Umfeld weit über Deutschland hinaus einzigartig sei, meint Präsident Dr. Gerhard Greif. „Wir dürfen hier in der Tierhaltung mit Infektionserregern der Sicherheitsstufe 3 arbeiten.“ Dieser Stufe unterliegt auch das Coronavirus. Praktisch sieht das derzeit so aus: Die Forscher infizieren Tiere mit dem Coronavirus und beobachten den Verlauf der Krankheit. Die Corona-Infektion bei den Tieren müsse der beim Menschen möglichst gut nachgebildet werden. Bei passenden Krankheitsverläufen könnte dann auch der Impfstoff getestet werden. „Hohe Tierschutzstandards im Stall“: Professorin Maren von Köckritz-Blickwede verantwortet die Sicherheit für die Untersuchungen. Die Anforderungen sind hoch für Forscher, die mit dem Coronavirus hantieren – es besteht Risiko für Umwelt und Personal. Schutzausrüstung, Hygieneduschen und Kameraüberwachung gehören hier zum Alltag. Aber auch die Tierschutzstandards seien im Gebäude sehr hoch, sagt Köckritz-Blickwede. Die Stallungen seien besonders groß und mit entsprechender Belüftung versehen, zudem gebe es Lampen im Tageslichtspektrum, einen entsprechenden Tagesrhythmus und Spielmaterial für die Tiere. Einen Einblick gewährt die TiHo nicht – auch aus Sicherheitsgründen. Tiere werden nach klinischen Parametern eingeschläfert: Die Tierversuche seien „unverzichtbar“, sagte Präsident Greif. Gleichzeitig suchten die Forscher aber auch nach Ersatzmethoden – beispielsweise mit Zellkulturen in einer Petrischale. Denn selbstredend hat das derzeitige Prozedere seine Schattenseite. Die mit dem Coronavirus infizierten Tiere können sterben. Zwar nicht aufgrund der Corona-Infektion. Aber die Tiere würden anhand klinischer Parameter eingeschläfert, damit sie nicht leiden müssten, erläutert Köckritz-Blickwede. Das tägliche HAZ Corona-Update als Newsletter Alle News zum Coronavirus in Hannover täglich gegen 6 Uhr im E-Mail-Postfach. Läuft an der TiHo alles weiter nach Plan, könnte der entwickelte Impfstoff nach den Tierversuchen frühestens in acht Monaten dann für erste Studien beim Menschen zum Einsatz kommen. „Einen Impfstoff für sieben Milliarden Menschen macht man eben nicht über Nacht“, meinen die Forscher. Wie viel Zeit vergeht, bis ein Impfstoff letztlich bereitsteht, hängt auch von den Erfolgen anderer Forscher ab. Weltweit gebe es mindestens 100 Gruppen, die sich mit der Entwicklung beschäftigen – teilweise tauschen sie sich aus, teilweise stehen sie in Konkurrenz zueinander. Lesen Sie auch: Auf der Suche nach einem Impfstoff: Gesundheitsminister Jens Spahn besucht die MHH in Hannover Forscher an der MHH testen neuen Impfstoff gegen Corona: „Es gibt Grund für Optimismus“ MHH untersucht jetzt das Blut der von Corona genesenen Plasma-Spender Von Sebastian Stein