Coronakrise: Wie ergeht es Kurzarbeitern in der Region Hannover?

„Ich muss endlich wieder normal arbeiten“: Ilke Reimers (46) war zehn Jahre bei einem Dienstleister am Flughafen Hannover tätig. Mit der Corona-Krise kam die Kurzarbeit – und mit ihr große Sorgen. Es war ihr Traumjob. Das ist unüberhörbar, wenn man mit Ilke Reimers über ihre Arbeit bei der Abfertigungsgesellschaft AHS am Flughafen Hannover spricht. Zehn Jahre war sie dort, sechs Jahre am Ticketschalter und zuletzt vier Jahre draußen auf dem Vorfeld, in dem Bereich also, der auf Flugplätzen als Abfertigungs-, Rangier-, Abstell- und Wartungsfläche für Luftfahrzeuge gilt. Dann aber kam die Corona-Pandemie – und mit ihr die Kurzarbeit. Statt zwei bis drei Tage pro Woche durfte die alleinerziehende Mutter nur noch 4 Tage im Monat arbeiten – und musste mit dem reduzierten Gehalt sich und zwei Kinder durchbringen. Am Ende hat sie resigniert. Sie hat bei ihrem alten Arbeitgeber gekündigt und sich eine neue Stelle als Teamassistentin in einem Steuerberatungsbüro gesucht. Erst vor wenigen Tagen hat sie Abschied am Flughafen Hannover gefeiert. „Ich will und muss wieder normal arbeiten“, sagt sie mit belegter Stimme. Ein Jahr lang war Reimers mit wenigen Unterbrechungen in Kurzarbeit tätig. „Es gibt immer noch kein Licht am Ende des Tunnels, keine Perspektive“, sagt sie: „Irgendwann wusste ich, ich muss etwas tun“. Leere, wo zuvor das Leben tobte: Ilke Reimers erinnert sich noch genau an den ersten Arbeitstag im ersten Lockdown im Frühjahr. Sie sei laut Dienstplan eingeteilt gewesen und habe im Büro gesessen und auf das leere Vorfeld gestarrt, dorthin „wo sonst das Leben tobt“. Reimers war jahrelang als sogenannter Ramp-Agent Ansprechpartner rund um die Flugzeugabfertigung. Sie checkte vor der Landung, ob Müll auf der Landefläche lag, überwachte die Beladung des Flugzeugs mit Gepäck oder überprüfte den Service für Flugpassagiere im Rollstuhl. Kein Tag sei wie der andere gewesen, kein Flugzeug wie das andere, schwärmt sie. Ein kleines Dorf sei der Flughafen, man kenne, schätze sich. Soziale Kontakte fehlen, trotz Freizeit: Mit der Pandemie aber kamen die Sorgen. Anfangs gingen noch ein paar Flugzeuge raus, um Urlauber zurückzuholen, berichtet Reimers. Die Stimmung sei bedrückt gewesen. „Es herrschte Totentanz. Schon damals wusste keiner, wie es weiter geht.“ Wie hat sie die unfreiwillige Freizeit zu Hause erlebt? Unter normalen Umständen hätte es ja schön sein können, ein Sabbatjahr zu haben, sagt Reimers. Viel gegärtnert habe sie, im Haus renoviert, aber auch auf der Terrasse einfach vor sich hin gestarrt. Es fehlten soziale Kontakte. Auch die Kinder, zehn und 14, waren coronabedingt oft zu Hause. Ihnen eine Tagesstruktur zu geben, Homeschooling zu bewältigen, all das kam dazu. Dazu kamen finanzielle Ängste. Für laufende Kosten reichte das Kurzarbeitergeld zwar. Aber jede unvorhergesehene Ausgabe – und sei es nur die kaputte Spülmaschine – brachte die alleinerziehende Mutter in die Bredouille. Die Familie musste helfen. Welche Firma überlebt die Coronakrise? Dazu kam die Frage, ob die eigene Firma überlebt. Wer wisse, wie viele Arbeitslose sich nach Corona auf wenige freie Stellen bewerben, fragt Reimers. So schwer der Abschied fällt, „der neue Job ist auch eine Chance“, sagt die 46-Jährige und fügt an: „Ich freue mich drauf, dass jetzt endlich etwas Neues beginnt.“ „Früh aufstehen müssen wird zum Privileg“: Lars Pennigsdorf (53) ist Pressesprecher in einem Geschäftsbereich der Deutschen Messe AG. Einen Tag in der Woche darf er zur Zeit arbeiten. An den übrigen Tagen ist der Haushalt dran. „Dienstag ist immer mein Tag“, sagt Lars Pennigsdorf (53). „Mein Tag“, das meint jenen einen Tag in der Woche, an dem der Sprecher eines Geschäftsbereichs der Deutschen Messe AG arbeiten darf. Bis auf besagten Dienstag darf er nicht einmal seine Mails in seinem Geschäftspostfach checken. Geschweige denn wie in Zeiten vor Corona morgens zwischen 7.30 und 8 Uhr früh in seinem Büro auf dem Messegeländeseinen Dienst antreten. Lars Pennigsdorf ist in Kurzarbeit. An vier von fünf Tagen in der Woche ist das gleichbedeutend mit Arbeitsverbot. Mit Konsequenzen, die er sich so nie hätte träumen lassen. Zumindest an einem Tag früh aufzustehen, um zur Arbeit zu gehen an, empfindet er als Privileg. „Dabei habe ich als Kind im Spaß immer gesagt, ich will später mal Frührentner werden“, sagt Pennigsdorf und lacht. Im Lachen des Mannes, den eigentlich eher ein sonniges Gemüt auszeichnet, klingt ein bitterer Unterton mit. „Es ist schlimmer als je“: Pennigsdorf ist bei der Messe AG als Sprecher zuständig für den Geschäftsbereich Regionale Fach- und Verbrauchermessen. Die Infa, die in coronafreien Zeiten an neun Tagen 160.000 Besucher zählt, oder die Pferd & Jagd, zu der an vier Tagen mehr als 100.000 Menschen kommen, gehören in seinen Verantwortungsbereich. Die Infa beispielsweise konnte im Oktober 2020 unter strengen Hygieneauflagen durchgeführt werden. Ein Lichtblick sei das gewesen, keine einzige Corona-Infektion sei bekannt geworden. Das sei noch die Zeit gewesen, in der man gehofft habe, es werde vorwärts gehen, sagt Pennigsdorf: „Stattdessen ist es schlimmer denn je.“ Wer etwas darüber lernen will, wie sinnstiftend Arbeit sei, braucht nur den 53-Jährigen zu fragen. Pennigsdorf liebt seinen Job. Vom Gefühl wie es ist, wenn man eine Messe mit vorbereitet hat und das Messegelände plötzlich voller Besucher ist, kann er minutenlang schwärmen. „Der Tag beginnt mit Zeitung lesen“: Was bedeutet Kurzarbeit für ihn? Anfangs habe er sich die unfreiwillige Freizeit mit Parolen wie „Jetzt kannst du wenigstens ausschlafen“ schön zu reden versucht, die Rolläden heruntergezogen und bis 10 oder 11 Uhr geschlafen, sagt Pennigsdorf und fügt an: „Man ist beinahe noch kaputter aufgewacht als vorher.“ Mittlerweile steht der Vater eines 16-jährigen Sohnes mit dem Schulkind und Ehefrau Julia auf, die als Journalistin weiterhin täglich arbeitet. Sein Tag jedoch beginnt mit Zeitunglesen, dann fährt er mit dem Fahrrad drei, vier Runden um den Maschsee, mit Musik auf den Ohren. „Das macht den Kopf frei“. Er liest „so viel wie noch nie“, kauft ein, hängt die Wäsche auf, bügelt, kocht für die Familie. Backgammon spielt die Familie oft, sie schreiben abwechselnd an einem gemeinsamen Roman, Zeitvertreib in Zeiten, in denen sozialen Kontakte fehlen. Pennigsdorf vermisst nicht nur die Arbeit, sondern auch das Gespräch mit den Kollegen, das gemeinsame Essen in der Kantine. Zoom-Konferenzen könnten keine Kreativität ersetzen, die oft am Rande entsteht, zufällig, in Arbeitspausen, aus einem privaten Gespräch heraus. „Mit der heutigen Technik überstehen wir Corona besser, als vor 20 Jahren. Trotzdem“, sagt Pennigsdorf, „ist alles reduziert. Ich kann es nicht erwarten, bis das Leben endlich wieder losgeht“. „Ich bin ein Arbeitstier. Ich brauche das einfach“: Julia Mader (32) arbeitet als Direktionsassistentin im Varieté-Theater GOP in Hannover. Dass gerade der Kulturbereich so stark von Beschränkungen betroffen ist und sie in die Kurzarbeit zwingt, ärgert sie besonders. Julia Mader ist zornig – auf die Bundesregierung, auf die Politik insgesamt, auf alle, die bislang dafür gesorgt haben, dass auf die Hoffnung auf Lockerungen immer wieder Enttäuschungen folgten. Vor allem, dass der Kulturbereich von so strengen Beschränkungen betroffen ist, ärgert sie. Kalt, dunkel, traurig – so beschreibt sie den nun schon wieder seit Monaten unbespielten Saal im Variete-Theater GOP in Hannover in der Georgstraße. „Dabei sollte doch gerade hier alles bunt und lebendig sein“, sagt sie. „Schließlich wollen wir Theaterleute die Menschen unterhalten. Viele könnten Abwechslung gut gebrauchen.“ „Andere scheren sich nicht um die Abstandsregeln“: Julia Mader, genannt Jules, ist Direktionsassistentin im Varieté-Theater GOP in Hannover, dazu zuständig für die Künstlerbetreuung und die Ausbildung der Veranstaltungskaufleute. Vor fünf Jahren kam die 32-Jährige aus München nach Hannover. Im GOP in der bayerischen Landeshauptstadt hatte sie eine Ausbildung zur Veranstaltungskauffrau gemacht. Mader ist persönlich von der Corona-Krise betroffen. Gehört sie doch zu den fast 40.000 Menschen in der Region Hannover, die der aktuellsten Arbeitsmarktstatistik zufolge Kurzarbeit angezeigt haben. Seit dem 15. März gilt dieser Status mit Unterbrechung für sie. „Wenn ich sehe, dass wir schließen müssen, während sich andere im Supermarkt oder am Maschsee nicht im Geringsten um die Abstandsregeln scheren, löst das in mir Wut und Aggression aus“, sagt sie empört. Berg an Stornierungen zu bewältigen: Aber es ist nicht nur das. Dass die 32-Jährige im ersten Lockdown von heute auf morgen in die Kurzarbeit sollte, war ein Unding für sie. „Man kann im Theater ja nicht einfach die Lichter ausmachen, und das war’s“, sagt sie. Allein den Berg an Stornierungen zu bewältigen, sei eine Riesen-Herausforderung gewesen. Mader ist ein Beispiel für jemanden, der seine Arbeit weitestgehend niederlegen musste und sich doch weiter für die verantwortlich fühlte, vor allem für die, die in der Krise noch mehr alleine gelassen waren als sie. GOP-Künstler, die nicht mehr auftreten durften beispielsweise – und denen sie ehrenamtlich kleine Nikolaus- oder Weihnachtspäckchen schnürte. Die Region Hannover steht coronabedingt offenbar vor einem erneuten Anstieg der Kurzarbeiterzahlen in der Corona-Pandemie. Das geht aus der neuesten Arbeitsmarktstatistik der Bundesagentur für Arbeit hervor. Ihr zufolge haben in der Region allein in den Monaten November 2020 bis Februar 2021 insgesamt 4051 Betriebe Bedarf an Kurzarbeit für das gesamte Unternehmen oder für Teile des Unternehmens angezeigt. In Zeiten vor der Corona-Pandemie waren es normalerweise weniger als 20. Demzufolge sind 39830 Menschen in der Region Hannover von Kurzarbeit betroffen. Nach Angaben eines Sprechers handelt es sich hierbei aber noch nicht um die endgültigen Zahlen, da nicht alle Betriebe und nicht alle Personen, die Kurzarbeit anzeigen, sie am Ende auch in der ursprünglich vermuteten Menge realisieren. In Zeiten vor der Corona-Pandemie waren es pro Monat weniger als 20 Betriebe. Statistisch erfasst ist inzwischen aber die von der Arbeitsagentur am Ende abgerechneten Kurzarbeiter-Fälle vom Oktober vergangenen Jahres. Damals, also kurz vor dem zweiten, bundesweiten Teil-Lockdown, waren 3483 Betriebe oder Betriebsteile in der Region in Kurzarbeit. Dem standen 33212 Menschen in Kurzarbeit gegenüber. Zum Vergleich: Der Juli 2020 war noch von den Folgen des ersten harten Lockdowns von Mitte März an gekennzeichnet. Damals waren in der Region 51718 Menschen in Kurzarbeit, 4731 Betriebe oder Betriebsteile waren in Kurzarbeit gegangen. Vom 2. November 2020 an galt in ganz Deutschland ein zweiter Teil-Lockdown. Das öffentliche Leben in Deutschland wurde in weiten Teilen heruntergefahren. Kultur- und Freizeitreinrichtungen sowie Restaurants und Hotels mussten zunächst bis Ende November 2020 schließen. Auch für persönliche Treffen galten strengere Regeln. Am 25. November wurde der Teil-Lockdown verlängert und teilweise verschärft Kurzarbeitergeld beträgt üblicherweise 60 Prozent des ausgefallenen Netto-Lohns. Ab dem vierten Bezugsmonat wird es nach den Corona-Sonderregeln von seiner üblichen Höhe auf 70 Prozent erhöht - für Berufstätige mit Kindern von 67 auf 77 Prozent. Ab dem siebten Monat in Kurzarbeit soll es weiter 80 beziehungsweise 87 Prozent des Lohns geben. Profitieren sollen davon alle Beschäftigten, die bis Ende März 2021 in Kurzarbeit geschickt werden. Minijobs bis 450 Euro bleiben bis Ende 2021 generell anrechnungsfrei. jr Das ist umso bemerkenswerter, weil nicht nur sie, sondern auch ihr Partner von Kurzarbeit betroffen sind. Am Anfang sei es ein kleiner Schock gewesen, dass wesentliche Beträge im Portemonnaie fehlten. Andererseits habe man ja auch nicht mehr viel Geld ausgegeben können. Eine Amerika-Reise scheiterte an Corona, Essen gehen, früher selbstverständlicher Luxus, fiel schon aufgrund von Covid-19 weg, sagt Jules Mader. Finanziell geht es irgendwie. Wie verbringt sie die Zeit ohne Arbeit? Mader geht viel wandern: Bewegung, frische Luft, tut ihr gut. Dennoch hofft sie sehnlichst auf ein baldiges Ende der Krise: „Ich bin ein Arbeitstier. Ich will einfach arbeiten, ich brauche das“, sagt sie. Von Jutta Rinas