Das sind Hannovers „Menschen 2020“

Selten war die Welt am Ende eines Jahres so grundlegend anders als die, die sie zu Beginn des Jahres gewesen war. 2020 hat das Coronavirus Millionen von Menschenleben überall auf dem Globus von Grund auf verändert – auch die von 1,2 Millionen Menschen in der Region Hannover. Unter ihnen gab es unzählige, die die Dinge nicht einfach hinnahmen, wie sie kamen. Sondern sich gegen die Folgen der Pandemie stemmten, so gut sie konnten. Einige dieser Personen stellen wir Ihnen hier in einer fünfteiligen Serie vor, jeden Tag kommen zehn weitere hinzu. Entdecken Sie mit der HAZ das gewaltige Engagement, das in den Menschen hier bei uns steckt. Auf Stofftierjagd: Lenny Heins: Es war im April dieses Jahres – mitten im ersten Lockdown. Alle Schulen waren geschlossen, Kitas, Freizeitparks, Spielplätze – und überhaupt fast alles, was Kindern Spaß macht. Immerhin schien die Sonne. Man konnte immerhin raus. Aber viel zu erleben gab es nicht. Das wollte der Zwölfjährige Lenny Heins aus der List ändern. In der HAZ hatte seine Mutter Ela Windels gelesen, dass Menschen in Neuseeland Stofftiere an Laternen oder Bäumen anbringen, damit Kinder draußen etwas zu entdecken haben – und um ihnen im Lockdown ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Kurzerhand richtete Lenny den Instagram-Account #stofftierjagd_hannover ein und hängte einige seiner Plüschtiere an Straßenschildern, Laternen oder Bänken auf – samt Verweis auf Instagram. Ein paar Tage später berichteten die HAZ, die Neue Presse und RTL. Nach kurzer Zeit hingen zig Kuscheltiere in der Stadt – allein auf Instagram sind 150 Bären, Hasen oder kleine Monster zu sehen. Wie viele Kinder sich bei ihrem Anblick gefreut haben, ist unbekannt. Aber man kann es ahnen. Jan Schmieszek, Leitender Oberarzt Intensivstation Krankenhaus Siloah: „Wir machen einfach unsere Arbeit, und die machen wir gerne. Wir greifen auch auf Pflegehilfskräfte und Medizinstudenten zurück, die uns bei Pflegetätigkeiten unterstützen. Alles in allem bedeutet die Arbeit eine ungeheure Belastung, Pausen sind selten, und der Feierabend gehört der Erschöpfung. Wir versuchen ja alles, um das Sterben zu verhindern, aber wir kämpfen hier zurzeit um das Leben vieler eigentlich gesunder Menschen. Das ist die größte Herausforderung gerade für das Team.“ Masken- und materialarm: Susanne Hartsuiker: Die zahlreichen Todesfälle durch Corona-Infektionen in Pflegeheimen haben schon im Frühjahr deren Betreiber aufgeschreckt. Einer der ersten Hilferufe kam von Susanne Hartsuiker, Leiterin des Eilenriedestiftes – und zwar gab es massive Probleme bei der Beschaffung von Schutzkleidung, Masken und Tests. In der ganzen Zeit bis zu den Tests und Ergebnissen nutzten die Pfleger bei ihrer täglichen Arbeit mit den Senioren zwar dreilagige Schutzmasken, Handschuhe und Desinfektionsmittel. „Das schützt die Bewohner, aber nicht die Pfleger. Wir konnten keine andere Schutzkleidung verwenden, weil wir zu wenig davon haben“, klagte Hartsuiker. Sie bat damals beim Gesundheitsamt der Region um drei Schutzbrillen. „Sie waren nicht in der Lage zu helfen.“ Dann schickte Hartsuiker einen Hilferuf an Gesundheitsamt, städtische Heimaufsicht und Sozialministerium. Die Heimleiterin fragte in ihrem Brief, ob die Bundeswehr mit Material und auch Personal helfen könne. Nichts. „Die Behörden sind einfach zu langsam, sie reagieren zeitverzögert zwei bis drei Wochen zu spät.“ Kunst bis zum Regen: Shivan Sharif: Für Shivan Sharif wirkte die Corona-Krise gewissermaßen wie eine Art Katalysator. Bedingt durch den ersten Lockdown verlor der 27-Jährige seinen Job in der Gastronomie. Der Langenhagener begann zu zeichnen. Erst auf Papier, dann auf der Straße. Seit etwa Mitte des Jahres zieren nach jedem Wochenende seine 3-D-Kunstwerke die Fußwege und Backsteinklinker der Flughafenstadt. Mit jedem Motiv mehr entwickelte sich Sharif zu einem kleinen Internetphänomen, auch über die Grenzen der Stadt hinaus. Seine Street Art ist in den sozialen Netzwerken hundertfach gelikt. Die fast kindlich-naiv wirkenden Werke, die mal ein Schwein, mal einen Eisbär oder einen Drachen zeigen, zaubern Menschen im Vorbeigehen ein Lächeln ins Gesicht – gerade im tristen Jahr 2020. „Es ist schön, wenn ich so eine Freude auf die Welt bringe“, sagte Sharif, als ihn die HAZ begleitete. Gerade die Vergänglichkeit zeichnet seine Kreidekunst aus. Meist ist sie nur einen Regenschauer vom Verschwinden entfernt – und führt damit viele Langenhagener auf die Suche. Martin Polomka, Clubinhaber am Raschplatz: „Als Inhaber der Kultclubs Palo Palo und Osho muss ich sagen: Ich bin froh, dass 2020 vorbei ist. Es war ein Jahr zum Vergessen und wird uns noch lange beschäftigen. 2021 kann nur besser werden.“ Sina Denecke, zweifache Mutter und Sprecherin von „Familien in der Krise“: „Familien waren die Leidtragenden in diesem Jahr mit wochenlangen Schließungen von Kitas und Schulen. Das darf nicht wieder vorkommen.“ Digitaler Modehandel: Birgit Schmalstieg: Kleine, inhabergeführte Geschäfte haben es in der Corona-Krise besonders schwer. In der Not sind viele Ladenbesitzer kreativ geworden – und haben sich so über Wasser gehalten. Als sie am 17. März ihre Boutique Purpur nahe dem Lister Platz zusperren musste, lief gerade die Frühjahrssaison an. „Die Schließung war ein echter Schock“, sagt Besitzerin Birgit Schmalstieg. Sie hat acht Mitarbeiterinnen, einfach absperren und abwarten wollte sie nicht. „Ich brenne für den stationären Handel, aber in dieser Situation mussten wir uns auf den digitalen Weg machen.“ Soll heißen: Die Boutique wurde zum Büro umfunktioniert und in mühsamer Kleinarbeit ein Webshop auf die Beine gestellt. „600 von unseren rund 1000 Artikeln mussten fotografiert, katalogisiert und beschrieben werden.“ Kundinnen konnten sich über Facebook oder Instagram Hosen und Hemden anschauen und per Telefon bestellen, Beratung inklusive. Abends wurden die Pakete vom Purpur-Team dann ausgeliefert und kontaktlos übergeben. Ergebnis: „Wir haben viel Support und Sympathie erfahren.“ Ulrich Knemeyer, Vorsitzender des Vorstands der VGH-Versicherungen: „Homeoffice, Videokonferenzen, Onlineberatung: Die Corona-Krise hat wie ein Katalysator gewirkt. So gelang es uns als Regionalversicherer, nah am Kunden zu bleiben.“ Hilfe beim Coming-out: Leon Dietrich: Seit dem 1. Mai hat Polizeioberkommissar Leon Dietrich bei der Polizeidirektion Hannover eine neue Aufgabe. Er ist Ansprechperson für LSBTI (Lesbisch, Schwul, Bisexuell, Transidentitäten, Interidentitäten) bei der niedersächsischen Polizei. Im ersten halben Jahr seiner Tätigkeit hat der gebürtige Oldenburger versucht, innerhalb der Polizeidirektion für einen bewussteren Umgang miteinander zu werben. „Die Menschen müssen wissen, dass sie im öffentlichen Raum geschützt sind und bei der Polizei kompetente Ansprechpersonen antreffen, die sie in einer bedrohlichen Situation vorurteilsfrei unterstützen“, sagt Dietrich. Gemeinsam mit seinen nebenamtlich tätigen Kolleginnen und Kollegen hat Dietrich digitale Schulungen zu aktuellen Themen rundum LSBTI abgehalten und Betroffene bei Ihrem Coming-out unterstützt. Aber der Polizeioberkommissar ist auch für Opfer von Hasskriminalität aufgrund der sexuellen Orientierung und ihrer Identität zuständig. „Sie können sich direkt an uns wenden. Im akuten Notfall natürlich bitte immer als Erstes die 110 wählen.“ Eine neue Notaufnahme: Tobias Großheide: 500 Quadratmeter Spanplatten, 82 Kanthölzer zu je 3,50 Meter und jede Menge Stromkabel, Sicherungskästen und Steckdosen. Was die rund 90 Helfer des Technischen Hilfswerks (THW) Hannover/Langenhagen unter der Leitung von Tobias Großheide Ende März am Henriettenstift an nur drei Tagen aus dem Boden gestampft haben, war erstaunlich. Eine komplette zusätzliche Notaufnahme für die Klinik an der Marienstraße zogen sie hoch, weil das Krankenhaus sich für einen möglichen Anstieg der Corona-Patienten wappnen wollte. Die Besorgung der Zelte für die Behelfsklinik war nicht das Problem. Aber die Hölzer und die Stromkabel zu beschaffen war eine logistische Meisterleistung. Denn zu dieser Zeit rüsteten viele Kliniken in ganz Deutschland ihre Kapazitäten nach. Das Vorhaben gelang, die Klinik konnte die Zahl ihrer Intensivbetten von 13 auf 26 verdoppeln und hatte damit Platz für insgesamt 100 mögliche Corona-Patienten. Den brauchte man damals kaum. Die Zelt-Notaufnahme steht aber immer noch, denn die Gefahr ist noch nicht gebannt. Dringend notwendige Technik für Kinder: Nina Dieckmann: Seit elf Jahren setzt sich die ehemalige Lehrerin Nina Dieckmann mit ihrer gleichnamigen Stiftung in Hannover für Kinder aus Migrantenfamilien ein, bringt Schüler und Lernhelfer, oft pensionierte Pädagogen, zusammen. Und weil das im Corona-Jahr auf die Distanz besonders schwierig war, hat sie Spenden für Leihtablets und -notebooks eingesammelt, die dann an Schulen verteilt worden sind. Zusammengekommen sind durch vier Großspenden insgesamt 44 000 Euro, sodass an vier Schulen insgesamt 101 Tablets und 29 Notebooks ausgegeben werden konnten. Weitere sollen folgen. „Ohne diese Endgeräte wären die Kinder vom Lernen abgeschnitten“, sagt Dieckmann. Viele Lernhelfer hätten mit den Schülern in der Zeit der Schulschließungen telefoniert oder geskypt. Wer über Wochen kein Kontakt zu Deutsch sprechenden Mitschülern gehabt habe, dessen Sprachkenntnisse hätten sich arg verschlechtert. Dieckmann sagt, die Pandemie habe auch gezeigt, wie eng der Zusammenhalt zwischen den Kindern und ihren Lernhelfern sei. Walter Brandes, ältestes Sportvereinsmitglied in Niedersachsen aus Sievershausen: „Sport ist gesund und hält jung. Dieses Motto habe ich mir auf die Fahne geschrieben. Mit Erfolg – am 17. Juni habe ich nicht nur meinen 100. Geburtstag gefeiert, sondern auch noch meine 100-jährige Mitgliedschaft im TSV Sievershausen. Mein Vater hatte mich schon kurz nach der Geburt im Verein angemeldet. Mit 90 war ich dort noch aktiver Turner. Kniebeugen und Liegestütze mache ich heute immer noch jeden Tag.“ Im Supermarkt gefragt: Geduld und Freundlichkeit: In den ersten Wochen der Pandemie musste Alessa Bornschein immer wieder auf Menschen zugehen und sie aus dem Supermarkt verweisen. Um die Zahl der Menschen im Geschäft zu begrenzen, durften Käufer es nur betreten, wenn noch ein Einkaufswagen verfügbar war. Doch es dauerte, bis das alle verstanden und akzeptierten. Ähnlich lief es anfangs mit dem Mund-Nasen-Schutz. Irgendwann hatten die Rewe-Verkäuferinnen immer Einwegmasken parat, die sie Kunden reichen konnten. „Wenn der Kunde eine Diskussion anfängt und sie nicht aufziehen will, geht er halt raus. Da gibt es bei mir nichts.“ Doch das erlebt Alessa Bornschein nicht mehr. Die wenigen, denen die Maske unter der Nase hängt, reagieren schnell auf einen freundlichen Hinweis der jungen Frau und entschuldigen sich. Diskussionen, Stress, Gefahr für die eigene Gesundheit: Bornschein reagiert darauf meist pragmatisch und nüchtern. Geärgert haben die Einzelhandelskauffrau allerdings die Hamsterkäufe im ersten Lockdown. „Die Liefersituation ist ja erst schlimm geworden, weil manche Kunden so viele Pakete genommen haben. Ich finde das gewissenlos.“ Im Frühjahr arbeitete Alessa Bornschein noch im Rewe-Markt in Burg, seit Sommer ist sie Assistentin des Geschäftsführers im neuen Rewe-Markt an der Philipsbornstraße. Das coronagerechte Verhalten habe sich eingespielt. „Wenn mir jetzt ein Kunde am Regal zu nah kommt, trete ich einen Schritt zurück, und dann bleibt der andere stehen.“ Allerdings bemerkt Bornschein eine neue Gereiztheit, die sich kaum an konkreten Anlässen festmachen lässt, aber viel mit der allgemeinen Unsicherheit zu tun haben mag. „Die Leute sind gestresster und gehen schneller an die Decke.“ Gut für die Gesundheit: Ralf Beckmann: Ralf Beckmann lebt seinen Traum. Vor 30 Jahren hat der passionierte Kampfsportler zusammen mit Freunden den Verein Kenpokan gegründet. Die Corona-Pandemie könnte seinen Lebenstraum zerplatzen lassen, doch der 57-Jährige kämpft. Im Frühjahrs-Lockdown musste Kenpokan acht Wochen schließen. Jetzt will Beckmann so lange wie möglich öffnen. Aufgrund eines ausgefeilten Hygienekonzepts dürfen Kenpokan-Mitglieder weiterhin trainieren. „Corona hat uns ausgebremst, aber auch erfinderisch gemacht“, sagt Beckmann. Er hofft, dass die Politik seine Bemühungen anerkennt. Es gehe doch darum, dass die Menschen gesund bleiben. „Und nicht nur Chips essend auf dem Sofa sitzen bleiben, wie es der Werbespot der Bundesregierung nahelegt.“ Ein Jahr mit der Bärin: Benedikt Knüppe: Tierpfleger Benedikt Knüppe aus dem Zoo Hannover hat die kleine Eisbärin Nana in diesem Jahr beim Größerwerden begleiten können. „Das ist eine spannende Zeit, die ich nicht mehr missen möchte“, sagt er. Aber auch eine enttäuschende Zeit. Denn genau in der Woche, in der die im November geborene Nana das erste Mal aus dem Mutter-Baby-Bau einen Ausflug draußen nach Yukon Bay machen sollte, wurde der Zoo wegen der Corona-Pandemie vorerst geschlossen. Dabei waren sich die Tierpfleger sicher, dass Nana ein riesiger Besuchermagnet geworden wäre. Pamela Krug, Lehrerin, Grundschule Rethen: „Alles, was man vor der Corona-Krise gefördert hat, ist nicht mehr erlaubt: Hilfsbereitschaft, kooperative Lernformen, in denen sich Kinder gegenseitig helfen sollen. Auch die Selbstständigkeit wird gebremst.“ „Wir müssen reden“ – gegen den Hass: Jedes Mal, wenn es wieder passierte, sei er zusammengezuckt, sagt Recep Bilgen (re.). Der 49-jährige Diplom-Ingenieur ist Vorsitzender von muslimischen Gemeinden, die zum unabhängigen Verband der Schura gehören. Nicht selten werden nach Anschlägen Vorwürfe gegen „die Moslems“ im Allgemeinen erhoben – auch wenn die Gemeindemitglieder überhaupt nichts mit dem Terror zu tun haben und zu tun haben wollen. Michael Fürst (li.), der seit Jahrzehnten den Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Niedersachsen leitet, kennt solche Automatismen. Er hat nach dem jüngsten Anschlag in Wien, bei dem am 2. November vier Menschen ermordet und mindestens 23 verletzt wurden, zum Telefon gegriffen und Bilgen angerufen: „Wir müssen reden.“ Damit Hass gar nicht erst entsteht. Herausgekommen ist bei dem Gespräch auch eine Anzeigenaktion, in der Fürst und Bilgen die niedersächsischen Bürger aufrufen, zusammenzustehen – und sich nach den Anschlägen von Halle und Hanau in Deutschland wie aber auch nach den Attentaten von Paris und Nizza in Frankreich nicht auseinander dividieren zu lassen. Terroristen, die etwa in Frankreich einen Lehrer enthaupteten, weil der mit seinen Schülern über die Mohammed-Karikaturen diskutieren wollte, dürften sich bei ihren Verbrechen nicht auf den Islam berufen. „Denn solche verbrecherischen Taten sind gotteslästerlich“, hat Bilgen in einem langen Gespräch mit Fürst gesagt. Allerdings sind sich beide einig, dass man trotz aller Freiheit der Kunst die religiösen Gefühle anderer nicht verletzen sollte. Leuchtende Kinderaugen: Fußballtrainer Gerd Kleine Börger aus Laatzen hat in den Herbstferien die Fußballschule für seinen Verein SV Germania Grasdorf organisiert, obwohl sie in den Osterferien wegen Corona zunächst ausgefallen war. „Ich hatte dafür schon alles vorbereitet“, erzählt er. Für das Training in den Herbstferien wendete er 50 Stunden auf – zuzüglich weiterer Vorbereitungszeit. Auch sonst verbringt Kleine Börger viel Zeit auf dem Platz, um „seine“ Sechsjährigen zu trainieren. Und das, obwohl er als Chemie- und Erdkundelehrer eigentlich schon genug zu tun hat. „Viele können sich gar nicht vorstellen, wie viel Zeit so ein Ehrenamt kostet“, sagt er. Momentan fällt das Training wegen des Lockdowns aus. Ein Onlinetraining, wie es vielerorts angeboten wird, führt Kleine Börger nicht durch. „Dafür sind die Kinder noch zu jung“, sagt er. Was er sich für das kommende Jahr wünscht? „Die leuchtenden Kinderaugen wiedersehen.“ Eine Medizinische Fachangestellte in einer Hausarztpraxis (möchte anonym bleiben): „Wenn ich nach Hause komme, mache ich mir noch etwas zu essen, dann falle ich einfach nur noch ins Bett. Es ist in der Hausarztpraxis, in der ich arbeite, viel voller, viel schwieriger, lauter und stressiger geworden. Es gibt viele Patienten, die mit der Situation und ihren Ängsten überfordert sind. Wir wollen und müssen mit den Pflegekräften gleichbehandelt werden, wir sind auch systemrelevant. Deshalb müssten uns auch die 1500 Euro zustehen, die die Pflegekräfte erhalten.“ Konrad Baumer, Inhaber der Buchhandlung Sternschnuppe aus Groß-Buchholz: „Ohne Herzblut könnte man diesen Job nicht machen.“ (Konrad Baumer fährt in der Corona-Krise nach Feierabend quer durch die Stadt, um Kunden bestellte Bücher vor die Wohnungstür zu legen.“ Neue Hoffnung für Obdachlose: Es war ein Projekt, das in der Pandemie neue Wege aufzeigte und überregional Beachtung fand. Um Obdachlose vor dem Coronavirus zu schützen, holten Stadt und Region Hannover sie Mitte März von der Straße, quartierten sie in Jugendherberge und Naturfreundehaus ein. Das Leben dort brachte vielen Bewohnern viel mehr als den Schutz vor Covid-19. Überraschend viele schafften den Absprung aus der Obdachlosigkeit. Ramona Pold, Koordinatorin der Wohnungslosenhilfe bei der Caritas, leitete das Projekt von Anfang an – und kämpfte, wenn es nicht verlängert zu werden drohte. Als die letzten Obdachlosen Mitte Oktober aus dem Naturfreundehaus auf die Straße gesetzt wurden, reagierte sie fassungslos. „Manche Menschen haben bis zuletzt gedacht, sie dürfen doch bleiben“, sagte sie damals. Seitdem hat sich überraschend schnell einiges in Hannover bewegt. Gleich mehrere Projekte für eine menschlichere Unterbringung von Obdachlosen brachte die Stadt auf den Weg – auch weil Menschen wie Ramona Pold so beharrlich blieben. Prof. Welte, der Corona-Erklärer: Es war ein Zufall: Praktisch zeitgleich mit dem Beginn der Corona-Pandemie in Deutschland wurde der international renommierte Lungenexperte Prof. Tobias Welte zum kommissarischen Vizepräsidenten der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) ernannt. Dem bescheiden auftretenden Wissenschaftler gelang es mit seiner unaufgeregten Art, das Coronavirus und die Folgen der Erkrankung fachlich fundiert zu erklären. Und der Ärztliche Direktor der MHH sagt auch klar, wenn er etwas nicht weiß oder die Wissenschaft auch keine Antwort hat. Dafür, dass es die Bundesländer im Norden nicht so stark getroffen hat wie den Süden, hat Welte eine Theorie, die inzwischen auch von anderen Experten übernommen wurde: „Da hat uns vielleicht unsere protestantische Zurückhaltung geholfen“, sagt er. Also weniger Umarmungen und Wangenküsschen. Schon vor anderen Experten hatte sich Welte für einen strengeren Lockdown eingesetzt, um die Zahl der Neuinfektionen nach unten zu drücken und eine Überlastung der Intensivstationen zu vermeiden. Pedro Prüser: „Die Menschen suchen nach Unterhaltung und wollten Ablenkung und Spaß haben.“ (Pedro Prüser, Comedy-Künstler und Entertainer aus der Calenberger Neustadt, lässt sich seit dem ersten Lockdown im Frühjahr ständig neue Onlineformate einfallen, um die Menschen in Hannover bei Laune zu halten.) Schnelle Helfer: Felicitas und Tobias Butzer: Die Idee, einen Einkaufsdienst zu starten, hatten Felicitas Butzer und ihr jüngerer Bruder Tobias sofort, als der Lockdown beschlossen wurde. Sie hätten zu Hause bei ihren Eltern gesessen und über ihre Großmutter gesprochen. „Die wohnt weiter weg, und wir haben uns gewünscht, dass jemand für sie einkaufen geht“, erzählt Felicitas Butzer. So musste es doch auch anderen gehen, dachten sich die beiden. „So ist die Idee entstanden, dass wir in Gehrden etwas organisieren wollen, um Menschen zu helfen“, sagt die 20-Jährige. Durch engen Kontakt zur evangelischen Jugend, aber auch zu jungen Menschen der katholischen Gemeinde, hätten sich rund 25 freiwillige Helfer gefunden. Die Nachfrage war gut, und sie kauften nicht nur ein. „Es war auch viel Gassigehen dabei, wir haben Handys eingerichtet oder Drucker angeschlossen“, sagt Butzer. Für die junge Frau ist das selbstverständlich. „Wir machen das gern, und es macht uns Spaß, anderen zu helfen.“ Udo und Ricarda Niedergerke sammelten 130.000 Euro für die Unterbringung von Obdachlosen: „Obdachlose Menschen brauchen ein warmes Einzelzimmer. Alles andere ist würdelos. Wenn es am Geld fehlt: Hier sind wir.“ Dem Virus auf der Spur – mit dem Telefonhörer: Manijeh Arbabian-Eckhard ist Hygieneinspektorin im Gesundheitsamt, und seit Monaten ist ihr Team im Corona-Dauereinsatz. „Im Sommer konnten wir ein bisschen durchatmen“, sagt sie. Danach stiegen die Fallzahlen wieder rapide. Das Virus erwies sich als übermächtiger Gegner, ihr Team stieß an seine Grenzen. Inzwischen ist es aufgestockt, unter anderem verstärken Helfer der Bundeswehr das Gesundheitsamt. „Wenn die Labore jemanden positiv auf Corona testen, landet das Ergebnis bei uns“, sagt Manijeh Arbabian-Eckhard. Ihr Job ist es dann, Infizierten die schlechte Nachricht zu überbringen und Quarantänen auszusprechen. Mit detektivischem Spürsinn rekonstruiert sie Infektionsketten und unterbricht diese, indem sie Kontaktpartner isoliert. „Meistens geht es glimpflich aus“, sagt Arbabian-Eckhard. Menschen werden wieder gesund, Quarantänen enden irgendwann. Doch sie kann auch viele traurige Geschichten erzählen. Von Jugendlichen, deren Konfirmation gestrichen wurde. Oder von dem alten Mann, dessen Frau an Covid-19 starb. In ihrem Büro werden die Zahlen, die täglich in Statistiken einfließen, wieder zu Menschen, zu Schicksalen. An kaum einem Ort zeigt die Krankheit so unverhüllt ihr Gesicht wie hier. Max will Anschluss: Sie fühlten sich einfach vergessen: Die Kinder einer Straße am Rande des Ronnenberger Ortsteils Weetzen verzweifelten Anfang Mai im ersten Homeschooling an der schlechten Internetverbindung. Seit Jahren kämpften Eltern und Nachbarn bereits um eine Verbesserung für die letzte Straße ohne Anschluss im Ort. Dann nahmen die Kinder der 18 Haushalte die Sache in die Hand und malten einen riesigen Hilferuf auf das Pflaster der Straße. Der zwölfjährige Max ging noch einen Schritt weiter und schrieb einen Brief an die Telekom. Tenor: „Mit DEM Internet haben wir keine Zukunft.“ Nach einem Artikel in der HAZ wurden viele Medien deutschlandweit auf die Aktion aufmerksam. Nur wenige Wochen später hatte die Telekom einen Weg gefunden, Max und seine Freunde an das schnelle Internet anzuschließen. Seitdem sind auch Videokonferenzen für die Schüler möglich. Für den Briefautor hatte die Sache aber auch eine negative Seite: Das riesige Medieninteresse überrollte den Schüler, der sich deshalb schon wenige Tage nach dem Brief nicht mehr öffentlich äußern wollte. Laura Berman, Opernintendantin: „Kunst ist Teamwork. Wir wollen Oper, Tanz und Konzerte auf hohem Niveau für die Menschen vor Ort machen, die uns so offen aufgenommen haben.“ Rockahr macht das: Ullrich Rockahrs Nachbar kann sich glücklich schätzen. Der Wunstorfer ist gesundheitlich angeschlagen. Krankenhaus und Pflegeheim hat er hinter sich. Das war nichts für ihn. Er wollte nach Hause, brauchte aber Hilfe. Ullrich Rockahr (82) war da und ist es noch immer. Drei tägliche Mahlzeiten in festen Intervallen. Rockahr macht das. „Kein großes Ding“, sagt er. Kommen, machen und schnell verschwinden ist nicht Rockahrs Art. Er nimmt sich Zeit, redet und hört zu. Vor Jahren haben sie sich in lockeren Treffen unter Nachbarn kennengelernt. Inzwischen sind sie Freunde. „Ehrenamt gehört für mich zum Leben, auch unter Corona“, sagt der 82-Jährige. „In Corona sehe ich die Chance, darüber nachzudenken, wie wir eigentlich leben wollen – ganz grundsätzlich“, sagt Ullrich Rockahr. Marina Barth, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Sparkasse Hannover: „Uns hat besonders gefordert, für unsere Kunden da zu sein und ihnen schnell und unbürokratisch den Zugang zu den staatlichen Hilfsprogrammen zu sichern.“ Jochen Köckler, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Messe AG: „2020 hat gezeigt, dass nichts selbstverständlich ist. Globalisierung wurde abrupt unterbrochen und Digitalisierung boomt. Für unser klassisches Messegeschäft eine Katastrophe, und deshalb war es beruflich ein Jahr mit massiven Herausforderungen. Jetzt müssen wir die Chance nutzen, mit mehr Demut und den richtigen Schlüssen aus der Krise hervorzugehen. Ich freue mich auf den kreativen Austausch im direkten Gespräch. Ideen, Impulse, Innovation gibt es in der Livekommunikation und nicht mit Videocall.“ Fels in der Brandung: Lea Steinkamp: Es war einer dieser anstrengenden Tage, von denen es 2020 nicht wenige gab. Am 23. Oktober, passenderweise von 23 Uhr an, galt die erste Corona-Sperrstunde in Hannover. Zapfhähne zu, Gäste raus, Ruhe im Karton. Und in (fast) allen Gaststätten herrschte bis 22.59 Uhr hektische Betriebsamkeit. Im Teestübchen am Ballhofplatz war auch Betrieb. Drinnen alle Tische besetzt, die besetzt sein durften, draußen ebenso. Aber Hektik? Hinter der Theke stand Studentin Lea Steinkamp. Sie holte Teller und schnitt Kuchen und befüllte Weingläser und munterte ihre Kollegin auf. Lea Steinkamp war der Fels in der Aufregungsbrandung. Nebenbei konnte sie auch noch erzählen, wie schwer die Zeiten seien und dass es bestimmt einen Umsatzverlust geben werde, denn freitags habe das Teestübchen lange auf. Aber Verordnung ist Verordnung: Die Chefin habe eigens eine Nachricht geschickt, dass die Sperrstunde unbedingt einzuhalten sei, mit ganz vielen Ausrufezeichen. Dann muss das eben sein. Lea Steinkamps Wunsch für 2021: „Etwas mehr Normalität.“ Melanie Botzki und Inga Samii, Teamleitung Kulturhauptstadtbewerbung: „Mit Mut und kreativer Leidenschaft haben wir im Kollektiv eine innovative und kraftvolle Kulturhauptstadtbewerbung organisiert. Auch ohne den Titel zu tragen, haben wir gewonnen. Die Bewerbung hat das Potenzial unserer starken Kulturszene freigelegt. Und sie hat gezeigt, dass Hannover eine Kraft hat, mit der wir gemeinsam viel für diese Stadt erreichen können!“ Zeichen der Hoffnung: Farah Demir: Sie ist dankbar. Für die vielen Anrufe und Solidaritätsbekundungen teils wildfremder Menschen. „Mit so viel Beistand hätte ich nicht gerechnet“, sagt Farah Demir. Anfang Dezember berichtete die HAZ darüber, dass der MHH-Krankenschwester, die auf der Intensivstation um das Leben von Corona-Infizierten kämpft, die Abschiebung droht. Die 36-Jährige, die vor 34 Jahren mit ihren Eltern aus dem Libanon floh, hat bis heute nicht die richtigen Papiere, um auf Dauer gesichert in Deutschland zu leben. Ihr Fall wurde rasch zu einer Art Symbol für skandalöse Behördenentscheidungen und eine Ausländerpolitik, deren Sinn niemand versteht. Mittlerweile zeichne sich eine Lösung ab, sagt Farah Demir. Sie klingt hoffnungsvoll dabei – und zugleich so, als könne sie es selbst noch nicht richtig glauben. Applaus beim Abgang: Andreas Tecklenburg: MHH-Vizepräsident Andreas Tecklenburg musste im Februar von einem Tag auf den anderen die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) verlassen. Wissenschaftsminister Björn Thümler hatte ihn für die schlagzeilenträchtige Behandlung von Igor K., angeblich ein Mitglied der montenegrinischen Mafia, verantwortlich gemacht. Igor K. hatte zahlreiche Schusswunden und war mit einem Privatflugzeug nach Hannover gebracht worden. Wie beliebt Tecklenburg bei den Mitarbeitern war, war bei seinem Abschied zu erleben. Ärzte und Pflegekräfte standen Spalier für den scheidenden Vizepräsidenten und Ärztlichen Direktor. Und sie spendeten minutenlang Applaus. Tecklenburg verteidigte die Entscheidung der MHH, Igor K. zu helfen: Es sei der Auftrag der MHH, allen Menschen zu helfen. Nathalie Wolk, Pastorin der Johannes-und- Matthäus-Gemeinde, List: „Es war ein besonderes Jahr für viele Kirchengemeinden; mit den Planungen für Weihnachten haben wir im Juni begonnen. Da hilft eine Portion Gottvertrauen!“ Die neue Tante: Kati Müller: Über eine neue Familie konnte sich Kati Müller in diesem Jahr freuen. Seit September kümmert sich die 48-Jährige aus Barsinghausen um Hayat (4) und deren kleine Schwester Hanin (2) aus Wennigsen. Müller ist inzwischen für die Kinder eine Ersatztante. In der HAZ hatte der Vater der syrischen Mädchen, Ahmad Mohamad, gemeinsam mit dem Flüchtlingsverein Miteinander Wennigsen nach weiblichen Bezugspersonen gesucht. Denn die Mutter hatte die Familie verlassen. Mittlerweile sind Hayat, Hanin und Müller ein eingespieltes Team. Vater Mohamad berichtet: „Meine Töchter sind nicht die gleichen Mädchen wie noch vor Monaten.“ Sie hätten anfangs keine Familie in Wennigsen gehabt, nun hätten sie neben Müller noch drei weitere Ersatzomas und -tanten. Matthias Brodowy, Kabarettist, über den Lockdown: „Bei den Meldungen über Schließungen kommen die Theater irgendwo im Abspann vor. Das ist fast noch deprimierender als die Schließung selbst. Kultur ist offenbar wurscht.“ Paula Jendrny, Doktorandin an der TiHo, die mit Corona-Spürhunden arbeitet: „Eigentlich wollte ich in meiner Doktorarbeit Gangstörungen bei Hunden untersuchen. Doch mein Doktorvater kam mit der Idee, Hunde auf ihre Tauglichkeit als Corona-Detektive zu testen. Ich liebe Hunde, und alles, was bei der Eindämmung der Pandemie hilft, ist gut. Unsere erste Studie hat schon super Ergebnisse gebracht. Ich habe sehr viel von den Hunden, ihren Trainern und den Verhaltensexperten im Team gelernt.“ „Fragen zu meiner Infektion? Ruft an!“: Christian Hessler aus Ingeln-Oesselse ist Anfang März 2020 einer der Ersten in der Region Hannover gewesen, die positiv auf das Coronavirus getestet wurden. Er hatte sich beim Skifahren in Ischgl angesteckt. „Ja, es sind Tränen geflossen nach dem positiven Testergebnis“, erinnert sich Hessler – aber nicht aus Angst oder Panik, „sondern weil meiner Frau und mir sofort klar war, was für eine Verantwortung wir für Familie, Freunde und Kollegen haben“. Für 14 Tage geriet das Familienleben in dem Haus im Laatzener Ortsteil völlig aus den Fugen. In Quarantäne mussten zwar alle – aber er, als der einzig positiv Getestete, musste sich zusätzlich von Frau und Kindern separieren. Hessler ging damals sehr offensiv mit seiner Infektion um, machte die Diagnose per Aushang im Ort öffentlich und lud alle ein, ihm Fragen zu stellen. Die Resonanz in dieser frühen Phase der Pandemie war absolut positiv, die Hilfsbereitschaft aus der Nachbarschaft überwältigend. Auch deshalb blickt er nicht mit Groll auf das Jahr 2020 zurück. Carola und Bilsad Ramović, Facebook-Aktive: „Der 21. Dezember ist der zweite Geburtstag unserer Facebook-Gruppe „Wir sind Wunstorf – gemeinsam sind wir stark“. Zu Weihnachten haben wir unser Spendenzelt aufgebaut. Bis zum 23. Dezember kann jeder kostenlos etwas mitnehmen. 700 Besucher waren schon hier. Die Spendenbereitschaft ist bombastisch. Die Aktion ist für gelebtes Wunstorf. Wer Hilfe braucht, bekommt sie. Und es findet sich immer ein Anlass zu helfen. Als Bilsad einen Unfall hatte, haben wir Hilfe bekommen. Jetzt geben wir etwas zurück.“ Stefan Basler, Musiker aus Barsinghausen: Ich hätte nie gedacht, dass dieses Jahr so verrückt werden würde. Aus einem Videodreh über den Dächern Barsinghausens wurde ein sommerliches Konzert aus der Höhe für alle, die es von unten hören konnten. Danach startete in Wochen der Ungewissheit eine Tour durch verschiedenste Orte bis nach Thüringen, wo ich spontane Straßenkonzerte gegeben habe. Besonders berührende Momente bleiben mir im Herzen, denn der Weg führte uns auch in Altersresidenzen und Pflegeheime. Claudia Schröder, Vizeleiterin Corona-Krisenstab der Landesregierung: „Die Italiener waren sehr hilfsbereit und haben uns eine Botschaft gesendet: Ihr dürft nicht warten, sondern müsst jetzt handeln, sonst gerät alles außer Kontrolle.“ Sarah Danquah: Demo aus dem Stand: Mehr als 8500 Teilnehmer hatten sich im Juni zur ersten Black-Lives-Matter-Kundgebung in Hannover versammelt, um gemeinsam Flagge zu zeigen gegen Rassismus. Anlass: der Mord am Afroamerikaner George Floyd durch einen Polizisten in Minneapolis. Ins Rollen gebracht hat den hannoverschen Protest Abiturientin Sarah Danquah mit einer Freundin. Nach einer Stunde habe sie bereits 40 Nachrichten von potenziellen Mitstreitern gehabt, „das ist im positiven Sinne schnell eskaliert“. Und es wurden immer mehr. Sarah Danquah hat auch auf der Bühne vor dem Opernplatz gestanden und ihr eigenes Gedicht vorgelesen – über Rassismus und darüber, was es bedeutet, schwarz zu sein in Deutschland. „Meine Mama hat mir immer gesagt, dass solche Anfeindungen zu einem Ohr rein und zum anderen raus sollen – bei mir ging es eher zu einem Ohr rein und direkt ins Herz.“ Lesen Sie auch: Ein Beitrag von Sarah Danquah auf MADS.de, dem Jugendportal der HAZ: „Meine Haare sind keine Attraktion“ Marc-Oliver Schrank, genannt „Onkel Olli“, Kioskbesitzer, Satiriker: „Ich hatte ein Jahr mit Höhen und Tiefen. Als mich das Bauamt anwies, meinen Kiosk zu schließen, verstand ich die Welt nicht mehr. Jetzt hoffe ich, dass der Bauantrag schnell genehmigt wird.“ Cornelia Hau, Kita-Leiterin in der AWO-Kita in Stöcken in der Freudenthalstraße: „Nicht nur Eltern haben ein Recht auf Betreuung. Kinder haben auch ein Recht auf Bildung. Kitas sind keine Aufbewahrungsanstalten – und das wurde im Corona-Jahr lange nicht genügend berücksichtigt. Immer da war aber auch die Frage: Wer schützt die Erzieherinnen? Dass man nicht mit der vollständigen Öffnung der Kitas gewartet hat, bis es Gewissheit über die Ansteckungsgefahr von Kindern gab, war im Grunde ein unverantwortliches Experiment.“ Heiko Heybey, Spandau-Gastwirt, Mitinitiator der Leinewelle: „2020: So einsam wie noch nie, familiär aber nah wie selten. Bewegungsradius eingeschränkt, doch draußen bewegter als normal. Angst um vieles, Glück bei vielem.“ Maike Bielfeldt, Hauptgeschäftsführerin IHK Hannover: „Dieses Jahr hat uns vor Augen geführt, wie zerbrechlich das Fundament unserer Wirtschaft sein kann, aber auch, wie wichtig kreativer Unternehmergeist und Zuversicht sind.“ Gute Arbeit, gutes Essen: Ferdinand Münder: Die Lasten waren zu Beginn der Corona-Krise ungleich verteilt. Medizinisches Personal, Supermarktangestellte, Müllabfuhr, Polizei und andere Berufsgruppen wurden dringend gebraucht. Die Gastronomen dagegen mussten ihre Lokale schließen, Köche in Kurzarbeit schicken, und Lieferanten blieben auf Ware sitzen. Diese Schieflage gab Ferdinand Münder vom Unternehmen Gastro Trends Hagedorn zu denken. Darum rief er mit seinen Kollegen Ende März die Aktion Hannovers Gute Essen ins Leben: Restaurantbetreiber und Caterer bereiteten Speisen für „systemrelevante“ Berufe zu und stellten diese kostenlos zur Verfügung. VW Nutzfahrzeuge half mit Leihbullis beim Transport. „Die Aktion war ein großer Erfolg“, berichtet Münder. Post für die Seele: Eva Schan: Sie ist einfach gern für ältere Menschen im Einsatz. Darum war es für Eva Schan keine Frage, dass sie auch im ersten Lockdown weiterhin den Kontakt zu den Seniorinnen und Senioren hielt, für die sie sich sonst ehrenamtlich im Café Allerlei in Linden-Süd abwechslungsreiche Freizeitangebote ausdenkt. Als Ersatz für die wöchentlichen Treffen bekam jedes der sieben Mitglieder der Café-Gruppe eine „Überraschungspost“ mit Rätsel- und Denksportaufgaben oder Lektüre zugeschickt. Und weil sich das im Stadtteil herumsprach, wurde die Adressatenliste länger. „So um die 20 oder 25 Umschläge habe ich Woche für Woche verschickt“, berichtet die Lindenerin, die gelernte Altenpflegerin und Seniorenbetreuerin ist. Zweieinhalb Monate lang kopierte und scannte sie aus Dutzenden Büchern Texte und Bilder, die dann in die Post gingen. Das örtliche Quartiersmanagement sponsorte die Materialkosten. Auch im aktuellen Lockdown würde die 66-Jährige gern wieder prall gefüllte Umschläge versenden. Doch sie hat nur eine kleine Rente und braucht daher finanzielle Unterstützung bei den Kosten. Frank Post, Leiter der Grundschule Fuhsestraße, hat das Land auf Freizeitausgleich für Mehrarbeit verklagt: „Ich habe zu viele Aufgaben und zu wenig Zeit. Ich bin nicht nur für die Lehrkräfte zuständig, sondern für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der Schule. Aufgaben delegieren, das klingt so einfach. Aber an wen? Grundschulen haben anders als Gymnasien keine Kollegen, die für bestimmte Aufgaben freigestellt werden. Wenn ich etwas delegiere, dann weiß ich, dass ein anderer dafür unbezahlte Überstunden machen muss.“ Ulrike Haase, Hotel Haase, Laatzen-Grasdorf: „Wir haben unser Hotel in diesem Jahr durchgängig geöffnet gehabt. Von 45 Zimmern waren zeitweilig nur drei bis vier mit Geschäftsreisenden belegt. Wir verzeichnen etwa 60 Prozent Umsatzeinbuße. Aber wir lassen uns nicht unterkriegen. Wir haben im Corona-Jahr den Außer-Haus-Service ausgebaut und alle Bäder und Zimmer in der dritten Etage modernisiert.“ Thomas Nixdorf, Direktor des Intercity- Hochhaushotels am Raschplatz: „Wir hatten fünf Wochen Spaß nach der Eröffnung am 10. Februar, dann kam Corona. Seitdem haben wir für Geschäftsreisende geöffnet. Wir hoffen, dass 2021 besser wird.“ Von red