Die neue Finanzdezernentin der Region Hannover, Cordula Drautz, im Interview

Frau Drautz, Corona, erhebliche finanzielle Probleme der Region, der Aufbau eines Impfzentrums für mehr als eine Million Menschen: Ihr Start hier in Hannover hätte einfacher sein können ... Da haben Sie recht. Aber mit der Übernahme des Themas Impfzentrum in mein Dezernat wollten wir das Dezernat von Frau Hermenau entlasten, in dem das Gesundheitsamt angesiedelt ist, die mit den übrigen Aufgaben rund um die Bewältigung der Corona-Pandemie genug zu tun hat. Mir persönlich ist wichtig, das Impfzentrum gemeinsam mit der Landeshauptstadt aufzubauen und zu betreiben. Mein vordringlichstes Ziel ist, möglichst schnell ein Angebot zu schaffen, in dem möglichst breite Teile der Bevölkerung zügig geimpft werden können. Cordula Drautz (38) ist seit November Leiterin des Dezernats für Finanzen und Gebäudewirtschaft der Region. Drautz war wissenschaftliche Mitarbeiterin für Ulrich Kelber, den damaligen stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion mit Zuständigkeit für die Themen Umwelt, Nachhaltigkeit, Energie und Verbraucherschutz. Es folgte eine Beschäftigung als Finanzexpertin im Berliner Senat, in dem sie seit 2016 die Leitstelle der Haushaltsabteilung für Investitionsplanung mit einem Jahresbudget von 2,3 Milliarden Euro verantwortete. Zum Vergleich: Der Gesamtetat der Region hat aktuell ein Volumen von rund 2,1 Milliarden Euro, ab 2021 werden es rund 2,4 Milliarden Euro sein. Dezernentin Drautz, Mutter eines Kindes, hat zum Teil mehrjährige Auslandsaufenthalte in Moskau, Brüssel und Afghanistan in ihrem Lebenslauf stehen. Korrekturhinweis: In der Ursprungsversion dieses Textes hatte gestanden, dass der Etat der Region Hannover aktuell 2,1 Millionen (statt Milliarden) Euro betrage. Diese Angabe war falsch. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen. Ist das nicht aber eine Riesenpanne, dass die Region Hannover als größte Gebietskörperschaft Niedersachsens erst einmal keinen Impfstoff bekommt, stattdessen aber die Landkreis Cloppenburg und Osnabrück? Das sehe ich anders, das ist eher eine Adelung. Die Region Hannover wird nicht als erstes beliefert, weil es gelungen ist, hier die Infektionszahlen vergleichsweise niedrig zu halten. Aber eine Pandemie lässt sich ohnehin nicht bekämpfen, indem jeder nur auf sein eigenes kleines Gebiet schaut. Da muss der Blick auch über die Regionsgrenze hinausgehen. Natürlich wünsche ich mir trotzdem, dass es jetzt möglichst schnell losgeht, da bin ich eigentlich auch guter Dinge. Jetzt stellt das Land zwar kurzfristig 1000 Impfdosen für Städte und Kreise zur Verfügung – aber in der Region sah es zunächst so aus, als könne es erst nach Neujahr losgehen, weil der Impfstoff hier zunächst nicht abgefragt wurde. Sind wir zu unflexibel? Auch die Region Hannover startet am 30.12. mit den Impfungen. Wir haben hier mit der Kooperation zweier Katastrophenschutzbehörden, der Region Hannover und der Landeshauptstadt Hannover, eine Besonderheit, die noch nicht überall abgebildet war und die die Kommunikation mitunter etwas erschweren kann. Diese Schwierigkeiten haben wir jetzt behoben, und der Impfstoff steht auch hier kurzfristig zur Verfügung. Wie viele Menschen in der Region werden sich impfen lassen? Die Region Hannover hat rund 1,2 Millionen Einwohner, es werden nur die Erwachsenen geimpft, dann sind wir bei rund einer Million, die geimpft werden könnten. Sicherlich werden sich nicht alle Menschen impfen lassen, wir gehen von 30 von 50 Prozent Impfwilligen aus. Wann sind Sie damit fertig? Wenn eine ausreichende Menge an Impfdosen zur Verfügung steht, bin ich zuversichtlich, dass wir das innerhalb eines halben Jahres hinbekommen. Das Impfzentrum schafft aber auch mehr als diese gerade kalkulierte Zahl von 300.000 bis 500.000 Impfwilligen, wenn nötig. Es ist für eine Million Menschen ausgelegt. Eine Impfquote von 30 Prozent klingt sehr wenig, Mediziner sprechen von deutlich mehr als 60 Prozent, die für eine sogenannte Herdenimmunität nötig sind. Wenn sich aber in der Region Hannover nur 30 Prozent der Menschen impfen lassen, müssen ja weiterhin alle mit Masken rumlaufen, um die Impfverweigerer zu schützen ... Das wird ohnehin der Fall sein. Die Herdenimmunität werden wir nicht von heute auf morgen erreichen. Es ist auch die Frage, wie lange der Impfschutz anhält. Ich warne davor, sich darauf einzustellen, dass das Leben wieder seinen normalen Gang geht, weil man zwei Mal einen Piks in den Arm bekommen hat. Das wird nicht so sein, da sind sich alle Fachleute einig. Aber natürlich ist die Impfung ein wichtiger Beitrag, eine gewisse Freiheit und Bewegungsmöglichkeit wiederzuerlangen und vor allem auch die alten, schwerstkranken oder immungeschwächten Menschen vor einem lebensgefährlichen Infekt zu schützen. Aber die Impfung ist kein Wunder, das auf die Erde fällt. Themenwechsel, Frau Drautz. Die Region Hannover hatte sich finanziell gerade berappelt, dann kam Corona. Jetzt gibt es finanzielle Schwierigkeiten durch massive Mehrausgaben, die Region will ihre Investitionen trotzdem nicht stoppen, ist jetzt nicht Sparen das Gebot der Stunde? Nein, es ist unabdingbar, weiter zu investieren. Eine öffentliche Infrastruktur, die in einer Krise zusammengespart wird, werden Sie nie wieder kurzfristig aufbauen können. Ich rede da aus Erfahrung: In Berlin, wo ich vorher in der Finanzverwaltung gearbeitet habe, waren auf Grund der finanziellen Situation ganz banale Investitionen auf das Minimum reduziert oder ganz abgeschafft worden. Deshalb ist der Weg, den wir hier in der Region gehen, richtig. Und gerade jetzt brauchen Menschen Unterstützung, zum Beispiel Familien und Pflegebedürftige. Aber wir schauen uns auch alle Bereiche ganz genau an, um Sparpotenziale zu finden. Trotzdem gab es schon vor einem Jahr heftige Auseinandersetzung mit den Städten und Gemeinden der Region um die Regionsumlage, die von den Kommunen fließt und mit rund 750 Millionen Euro die größte Einnahmequelle der Region ist. Wie sind sie auf die Verteilungskämpfe vorbereitet? Die Stärke der Region ist, dass es ein gemeinsames Bewusstsein für diese Stärke gibt. Ich habe bisher keinen einzigen Akteur erlebt, der auch nur angedeutet hat, diese Stärke aufs Spiel zu setzen. Und die Stärke beruht wesentlich darauf, dass es ein Einverständnis und Einvernehmen gibt, dass man gemeinsame Entscheidungen treffen und einen solidarischen Weg geben muss, wie man Lasten und Aufgaben verteilt. Das ist übrigens unabhängig von der Parteizugehörigkeit. Aber wie geht denn jetzt die Debatte ums Geld mit den Städten und Gemeinden weiter? Ich werde mit den Bürgermeistern im Gespräch bleiben. Viele Faktoren sind noch unsicher, zum Beispiel die Frage, wie sich die Gewerbesteuereinnahmen tatsächlich entwickeln. Wir haben in diesem Jahr schon 45 Millionen Euro an die Städte und Gemeinden zur kurzfristigen Entlastung weitergegeben. Das zeigt unsere Solidarität untereinander. Man muss aber auch sagen, die sogenannten Hebesätze, also der prozentuale Anteil von der Gewerbesteuer, den die Kommunen an die Region zahlen, sind im Vergleich zu anderen Landkreisen sehr niedrig. Das sehen die Kommunen natürlich anders. Ihre Aufgabe als Finanzdezernentin der Region ist es, einerseits genug Geld für die Region herauszuholen, andererseits es sich mit den Kommunen nicht zu verscherzen. Wie wollen Sie das in der derzeitigen Lage schaffen? Es geht darum, dass sich alle verständigen, wer welche Aufgaben zu welchem Zeitpunkt mit welchen Finanzmitteln erfüllt. 18 von 21 Kommunen hatten im Jahr 2018 mit einem Defizit gerechnet, am Jahresende hatten nur drei ein Minus. Es ist viel Bewegung im Finanzsystem, und nicht jede Zahl ist unveränderbar, aber wir fahren derzeit auch ein bisschen auf Sicht. Wie stark wird sich denn die Pandemie auf die öffentlichen Haushalte auswirken? Das kann man so pauschal nicht beantworten. Die Landeshauptstadt rechnet mit einem anteilig viel höheren Defizit als einige andere Städte und Gemeinden. Eins ist sicher: Die Planbarkeit ist schlechter geworden. Aber wir haben hier in Deutschland ein vielfältiges Unterstützungsprogramm von Bund und Land, zum Beispiel die Teilerstattung der Ausfälle bei der Gewerbesteuer. Aber auch die solide Haushaltspolitik in der Region in den vergangenen Jahren wirkt sich positiv aus. Dadurch haben wir eine gewisse Widerstandskraft entfaltet. Deshalb bin ich im Blick auf die kommenden Jahre vorsichtig optimistisch. Von Mathias Klein