Die tägliche Hannover Glosse Luettje Lage: Der Klügere gibt nach

Wir saßen auf unserem Balkon, der nur ein sogenannter Zweierbalkon ist, weil ihn jemand mit diversem Grünzeug und unzähligen Blumentöpfen zugestellt hat. Unsere Hündin, die so groß wie ein kleiner Mensch ist, kümmert das nicht. Immer drängt sie mit nach draußen, steht in der Tür und damit gleich neben dem Tisch – die Nase in Höhe meines Holzbretts und starrt aus etwa einem Meter Entfernung permanent auf mein Vollkornbrötchen. Wer erzieht eigentlich den Hund? Ich sage: „Verschwinde, du aufdringliche Ziege!“ Sofort greift meine Frau ein: „Ich möchte nicht, dass du das Tier so anschnauzt. Sie ist schon alt. Sie soll einen schönen, friedlichen Lebensabend bei uns verbringen.“ Soll ich mich jetzt durchsetzen? Soll ich die Gretchenfrage stellen: „Wer erzieht hier eigentlich den Hund?“ Wir leben in einer Zeit, in der es üblich ist, auf seiner Meinung zu beharren. Noch nie habe ich erlebt, dass zum Beispiel in einer Talkshow jemand nachgegeben hätte. Dabei wäre das doch mal ganz schön. Etwa so: Olaf Scholz hält einen mitreißenden Fünf-Minuten-Vortrag über den neuen Haushalt. Christian Lindner hört aufmerksam zu. Und dann: „Da ist was dran, Herr Scholz. Wie Sie das jetzt so sagen, überzeugt mich das.“ Rechthaberei ist mir ein Gräuel: Die Szene ist leider reines Wunschdenken. Politiker beharren stur auf ihren Standpunkten. Auf Biegen und Brechen. Es sei denn, sie sind amerikanischer Präsident und sprechen zur Maskenpflicht. Mir ist jedenfalls diese ganze Rechthaberei überall um mich herum ein Gräuel. Ich bin anders. Ich lenke ein und reiche dem Tier die Scheibe Käse, die ich mir eigentlich aufs Brötchen legen wollte. Ich nehme stattdessen etwas Marmelade und meine Frau lächelt zufrieden. Weitere lustige Texte unserer Reihe lesen Sie hier. Von Hans-Peter Wiechers