Digitales Lernen an Hannovers Schulen: So läuft es mit den Videokonferenzen

Drei von vier Schülern haben seit zweieinhalb Monaten kein Schulgebäude mehr betreten – sie lernen ausschließlich zu Hause. Doch wie läuft das in Hannover nach gut einem Jahr Corona-Krise mit dem Homeschooling? Findet mehr digitaler Unterricht als im Frühjahr 2020 statt? Immerhin fordert Niedersachsens Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) „mehr Verbindlichkeit, mehr Einheitlichkeit, mehr klare Vorgaben“ für Unterricht im Szenario C. Zu Beginn eines jeden Schultages solle fest vereinbart ein Treffen stehen, zum Beispiel per Videokonferenz. Aber halten die Server das technisch überhaupt durch? Das Problem seien weniger die Server oder fehlende Endgeräte bei den Schülern, sagen Rektoren aus Hannover, sondern eher schlechte Internetanbindungen zu Hause. Schulleiter: Es läuft gut: Grundsätzlich bewerten Schulleiter und Schulleiterinnen in Hannover die vergangenen Wochen im Distanzunterricht positiv. „Es läuft gut“, sagt Tobias Langer, Leiter der Integrierten Gesamtschule (IGS) Linden. Dennoch hofften alle Lehrkräfte auf mehr Normalität – nicht nur die Abschlussjahrgänge, sondern alle Klassen sollten bald wieder in die Schule gehen können. Zumindest in halber Klassenstärke. Langer begrüßt klare Vorgaben für das Distanzlernen – die einzelnen Lehrkräfte brauchten aber auch Freiheit. Nicht alle seine 1400 Schüler müssten zum Beispiel zeitgleich um 8 Uhr in Videokonferenzen sitzen. Die IGS Linden ist eine von ursprünglich sechs Pilotschulen in einem Modellprojekt der Stadt zum digitalen Lernen. Hier gelten vor allem zwei klare Regeln: Die Videokonferenzen finden zur üblichen Unterrichtszeit statt. Wenn also am Montag in der erste Stunde Mathematik auf dem Stundenplan steht, dann ist zu der Zeit auch die Videokonferenz in Mathe. Die zweite Regel sei, dass jede Lehrkraft ihre Schüler mindestes einmal in der Woche auf dem Bildschirm sieht. So soll verhindert werden, dass Kinder „verloren gehen“. „Videokonferenzen schlauchen Kinder und Lehrer“: Digitaler Unterricht sei ungleich anspruchsvoller, sagt Langer. Pädagogen müssten nicht nur unterrichten und die Schüler im Blick behalten, sondern seien zeitgleich auch noch Administrator ihrer eigenen Konferenz sein. Auch für Kinder sei das Lernen am Bildschirm anstrengend, sagt Laura Pooth, Vorsitzende der niedersächsischen Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Nach mehreren Videokonferenzen am Tag seien die Schüler geschlaucht und unkonzentriert: „Und dann wartet da noch der Aufgabenberg, der erledigt werden muss.“ Pooth findet, das Lernen am Bildschirm könne nur ein Zusatzangebot sein, kein Ersatz für den Unterricht in der Klasse. „Mehr Videokonferenzen bedeuten nicht unbedingt mehr Unterrichtsqualität.“ Am Bildschirm fehle ein Teil der sozialen Interaktion. Es sei darum gar nicht sinnvoll, den Stundenplan eins zu eins digital abzubilden. Darin scheinen sich Rektoren in Hannover einig zu sein: Zwei Konferenzen täglich in den höheren Jahrgängen seien vermutlich das Maximum. Erst zu wenig, jetzt zu viel digitaler Unterricht? Lehrkräfte haben der Gewerkschafterin Pooth erzählt, dass Eltern sich früher über zu wenige Aufgaben für die Kinder beschwert hätten. Jetzt heiße es, es seien zu viele Aufgaben und zu viel digitaler Unterricht. Pädagogen, die zu Hause eigene Kinder hätten, litten unter der Doppelbelastung von Homeoffice und Homeschooling. Häufig seien sie – wie viele andere Familien auch – am Rande ihrer Kräfte. Darum setzten einige Lehrkräfte an der IGS Stöcken Videokonferenzen mit jüngeren Kindern auch eher gegen Abend an, berichtet Schulleiter Philipp Ruppert. Trotz der widrigen Umstände seien alle bemüht, ihre Schüler zu erreichen. Von Eltern kämen zurzeit viele zufriedene Rückmeldungen. Das Ausgabenvolumen passe, die Zahl der Videokonferenzen auch. Es gebe jetzt viel mehr Videokonferenzen als noch vor einem Jahr, sagt Ruppert, und die Qualität sei auch besser. Die Lehrkräfte hätten auch viele Fortbildungen besucht. Es sei gut, wenn Lehrer versuchten, über Videokonferenzen eine Struktur in den Schüleralltag zu bekommen. Würden aber alle Klassen gleichzeitig Konferenzen ansetzen, reichten die Leitungskapazitäten der Schule nicht. Die Lösung sind Schwerpunkttage für bestimmte Fächer und ein Videokonferenzplan. Kein Netz zu Hause: Auch auf die Verhältnisse bei den Schülern zu Hause müssen die Lehrer Rücksicht nehmen. Teils lebten die Familien in beengten Wohnverhältnissen mit nur einem Rechner für drei Kinder, teils gebe es in den Wohnungen kein stabiles Netz. Dennoch will Ruppert nicht auf die Videokonferenzen verzichten. „Wenn sich alle mal sehen, anlächeln und mal zuwinken können, ist das auf jeden Fall ein Plus für die Gesamtkommunikation in der Gruppe.“ Viele Schüler würden sich danach auch wieder trauen, den Lehrer anzusprechen oder mal Kritik zu üben. Im Digitalunterricht kommt ein ganzer Strauß von Apps und Programmen zur Anwendung. An der IGS List sind das nach Angaben von Schulleiterin Petra Hoppe neben IServ vor allem Zoom, Webex und Jitsii genutzt. Die Videokonferenzen würden über den Tag verteilt angesetzt – eben zu dem Zeitpunkt, wenn die Stunde auch im Stundenplan liege. Es komme aber immer wieder vor, dass Schüler wegen einer schlechten Internetverbindung an der Konferenz nicht teilnehmen könnten. Kinder mit vielen kleinen Geschwistern könnten der Konferenz nicht konzentriert folgen. Zusätzlich zum Klassenrat, der einmal pro Woche mit den Klassenlehrern stattfinde, gebe es verbindliche Konferenzen in Deutsch, Mathematik und den Fremdsprachen. Auch die Lehrer lernen derzeit noch viel dazu, hat Katharina Badenhop von der Tellkampfschule beobachtet. „Das digitale Lehren und Lernen befindet sich nach wie vor im Prozess, nimmt mittlerweile deutlich an Qualität zu.“ Die Belastung der Lehrkräfte sei enorm – gerade, wenn ein Teil der Klasse in die Schule komme, der andere ausschließlich im Distanzunterricht sei. Teils gebe es vier unterschiedliche Lernformate für eine Lerngruppe. Die Möglichkeiten von IServ für den digitalen Unterricht seien praktikabel, aber immer noch technisch mit Unsicherheiten verbunden. „Es läuft sich irgendwie alles zurecht“, sagt Martin Thunich von der Wilhelm-Raabe-Schule und spricht damit sicher vielen Schulleitungen aus der Seele. Nach Euphorie klingt das aber nicht. Von Saskia Döhner