„Es brennt“: City-Händler setzen in dramatischer Lage auf Onlinegeschäft

Die Stimmung bei den Einzelhändlern in der City ist mehr als getrübt – und das bereits vor der Verlängerung von Öffnungs-Beschränkungen. „Die Situation ist dramatisch, das Jahresende war desaströs“, sagt Martin Prenzler von der City-Gemeinschaft. Wichtige Umsatzmonate seien weggefallen, „die Gewerbetreibenden kehren gerade ihre Scherben zusammen“. Auch das Beantragen der Hilfen gestalte sich komplizierter als vom Bund versprochen. „Noch ist kein Euro geflossen, und die Einzelhändler kommen irgendwann auf eine Fixkostenübernahme von lediglich 41 bis 47 Prozent“, so Prenzler. „Es brennt.“ Noch lange Durststrecke einkalkuliert: Schlimm sei zudem die ungewisse Perspektive. „Die Umsatzsteuervorausszahlung ist jetzt fällig, aber von welchem Umsatz?“ Viele City-Händler seien einfach ohne Zuversicht. Auch Juwelier Jörg Stichnoth spricht von einer Katastrophe. Für seine Branche sei auch mit Onlinehandel kein Umsatz zu retten. „Hochwertiger Schmuck verkauft sich nicht über das Internet.“ In der Manufaktur werde noch gearbeitet, dort werden neue Kollektionen entwickelt. „Für das Ende des Lockdowns wollen wir ja startklar sein. Aber planerisch gehe ich davon aus, dass das erst Ende März passieren wird“, sagt Stichnoth. Derzeit habe er nur Ausgaben, er digitalisiere fleißig, „aber das löst auch nicht das Kostenproblem.“ In Filialen in Bremen und Frankfurt habe er bereits die Miete gekürzt, es werde geklagt. In Hannover indes konnte mit dem Privatvermieter eine Einigung erzielt werden. „Es tut gut zu spüren, dass man fehlt“: Bei IG von der Linde werden derzeit vor allem Onlinegeschäfte abgewickelt. Die Abholung auf Bestellung laufe genauso weiter wie der Versand. Allerdings sei dieses Geschäft nicht annährend mit den Zeiten vor der Corona-Pandemie zu vergleichen. „Wir generieren einen Bruchteil der Umsätze“, sagt Geschäftsführer Sebastian Rechenbach. Die Website muss sehr aufwendig aufgestellt werden, „wir haben schließlich mehrere Tausend Artikel“. Mit einer überschaubaren Zahl an täglichen Ordern und einer kleinen zweistelligen Prozentzahl Onlineumsatz sei das Unternehmen weit von einer Normalität entfernt. „Wir setzen aber auf unsere Kunden, die nach einem Lockdown wieder gern persönlich einkaufen und sich inspirieren lassen“, sagt Rechenbach. In jedem Falle gebe es rührende Kundenrückmeldungen. „Es tut gut zu spüren, dass man fehlt.“ Stadtentwicklung als Zukunftsthema: Jürgen Weitz vom gleichnamigen Küchenausstatter erträgt den Zustand mit Leid, wie er sagt. „Es ist ein großer Einbruch, vor allem das Jahresendgeschäft fehlt uns außerordentlich.“ Weitz macht derzeit Inventur, danach schließt er das Haus und setzt auf Onlinehandel - immerhin hat sich in dem Bereich der Umsatz von 10 auf 20 Prozent verdoppelt. Zur Jahreswende habe es noch gut funktioniert für Abholung und Tausch vor Ort zu sein. „Jetzt macht das keinen Sinn, die Frequenz in der City ist ja auch nicht da“, betont Weitz. Der Einzelhändler lege weniger wert auf Subventionen. „Ich finde es wichtiger, dass sich die Verantwortlichen Gedanken darüber machen, wie die Innenstadt attraktiver gestaltet werden kann – für die Zeit nach den Schließungen.“ Er denkt an Toilettenanlagen, Bänke, neue Pflasterungen zur Aufwertung der City. „Die Politik ist in der Pflicht, Stadtentwicklung ist das Zukunftsthema.“ Abholtresen hilft der Parfümerie Liebe: Caroline Prenzler von der Parfümerie Liebe sucht das Positive in der umsatzschwachen Krise und wird kreativ. „Wir haben einen Abholtresen mit Spuckschutz und Klingel, da können unsere Kundinnen ihre Bestellungen kontaktlos abholen.“ Diese „Kiosklösung“ funktioniere ganz gut, außerdem sei von Vorteil, dass viele Liebe-Produkte sich verbrauchten. Dann ordere die treue Stammkundin Nachschub. Von ihnen gebe es reichlich, „zum Teil werden Fotos geschickt, um zu zeigen, was alles im Bad fehlt“. Ansonsten, so Prenzler, gebe es eine störungsfreie Inventur, und das Geschäft werde auf Hochglanz gebracht. „Zehn von 85 Mitarbeitern sind täglich vor Ort, wir tauschen immer durch.“ Vor allem aber für die Auszubildenden habe die Situation auch Vorteile. „Die wachsen über sich hinaus und lernen richtig viel. Weil Zeit da ist.“ „Krone richten und weitermachen“: Auch Birgit Schmalstieg von der Altstadtboutique Marie Jo setzt auf das Motto „Krone richten und weiter machen“ und fügt an: „Wir arbeiten an unserem Webshop und gehen auf Kundenwünsche ein – aber der Handel ist schwer getroffen.“ Sie sitze auf Ware vom Juli, und die neue stehe bereits in den Startlöchern. Die Unternehmerin hat 70 Lieferanten angeschrieben und um einen Lieferaufschub gebeten. „Ein Problem ist, Rotwein hält sich, unsere Ware läuft ab.“ Von Susanna Bauch

„Es brennt“: City-Händler setzen in dramatischer Lage auf Onlinegeschäft – und machen Inventur