Finanzlage: Wie schlecht geht es der Stadt Hannover wirklich?

Rekorddefizite, einbrechende Steuereinnahmen, Sparprogramme – der Stadt Hannover stehen düstere Jahre bevor. Die Corona-Krise hat die Stadtfinanzen ins Wanken gebracht, Besserung ist erst ab 2025 in Sicht. Kann Hannover die Krise verkraften? Um eine Antwort zu finden, ist der Blick auf die Ausgangslage hilfreich. Wie hat die Stadt in den vergangenen Jahren ihre Finanzen geordnet? Hat sie auf Pump gelebt? Kämmerer Axel von der Ohe (SPD) ist sich sicher: „Hannover hat eine starke finanzielle Basis.“ Daher sei es jetzt auch möglich, den Belastungen zu begegnen. Drei Zahlen kennzeichnen den Zustand der Finanzen: Anhand von drei Kennzahlen lässt sich beurteilen, wie sich die finanzielle Lage der Stadt in den vergangenen Jahren verändert hat: Höhe der kurzfristigen Kredite (Liquiditätskredite), Verhältnis der Schulden zum Gesamtvolumen des Haushalts und Entwicklung des Eigenkapitals, bei Kommunen „Nettoposition“ genannt. Kennzahl 1: Höhe der Liquiditätskredite: Liquiditätskredite sind mit Dispokrediten vergleichbar. Sie sollen dazu dienen, kurzfristige Engpässe zu überbrücken. Wenn die Stadt zum Beispiel tief in die Kasse greifen muss, um an einem Stichtag die Gehälter aller 11.000 Mitarbeiter zu zahlen, darf sie ihr Konto schon mal überziehen. Aber das Gesetz verbietet den Kommunen, die kurzfristige Geldausleihe zum Dauerzustand zu erklären. Genau das war in Hannover viele Jahre passiert. Stephan Weil (SPD) musste gute Nerven haben. Als der derzeitige Ministerpräsident das Amt des Stadtkämmerers bekleidete, lebte Hannover jahrelang auf Pump, und zwar in großem Maßstab. 2005 und 2006 borgte sich die Stadtverwaltung pro Jahr durchschnittlich rund 300 Millionen Euro von der Bank – Höchstwerte in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Erst ab 2007 schrumpften die kurzfristigen Kreditaufnahmen, bewegten sich aber noch immer in dreistelliger Millionenhöhe. Weils Nachfolger, Kämmerer Marc Hansmann (SPD), hatte stets Bauchschmerzen angesichts der hohen Überziehungskredite. Die Stadt Hannover lebe über ihre Verhältnisse, mahnte er. Doch erst 2016 gelang es Hansmann, die kurzfristigen Darlehen wesentlich zu reduzieren. In den vergangenen vier Jahren hatte die Stadt ihr Konto im Griff und musste es nicht ständig überziehen. Einnahmen und Ausgaben hielten sich die Waage, es wurden sogar Überschüsse generiert. Jetzt droht wegen der Corona-Krise der Rückfall in alte Zeiten. Kennzahl 2: Verhältnis von Schulden und Haushaltsvolumen: Der U-Bahn-Bau hat Hannovers öffentlichen Nahverkehr enorm vorangebracht, aber finanziell war das Bauvorhaben ein Schlag ins Kontor. Noch immer belasten langfristige Kredite aus der Zeit des U-Bahnbaus den Haushalt. Der Anteil der Schulden am gesamten Haushaltsvolumen ist zwischen den Jahren 2011 und 2018 stetig gesunken. Nicht so sehr weil die Stadt ihre Schulden getilgt hat, sondern weil das Haushaltsvolumen angestiegen ist, eine Folge des konjunkturellen Booms, aber auch des Bevölkerungswachstums. Ein bisschen Schulden habe man aber auch abgebaut, betont die Kämmerei. Angesichts von Corona-Krise, wirtschaftlicher Rezession und der Notwendigkeit neuer Investitionen, etwa in den Schulausbau, kehrt sich die Tendenz um. Der Anteil der Schulden dürfte wieder steigen. Kennzahl 3: Nettoposition (Eigenkapital): Auch eine Stadt stellt Bilanzen auf und weist Eigenkapital aus, im Kommunal-Jargon Nettoposition genannt. 2011 hat Hannover zum ersten Mal ermittelt, was das Rathaus, die Eilenriede und etliche Kunstobjekte im Eigentum der Stadt wert sind. Herausgekommen ist eine stattliche Summe von 7,1 Milliarden Euro. Das Eigenkapital ist seitdem leicht geschrumpft – auf jetzt 6,8 Milliarden Euro. Das liegt zum großen Teil daran, dass die Stadt ihre ermittelten Werte aus dem Jahr 2011 immer wieder korrigieren musste – nach unten. Ein Grund liegt darin, dass die Stadt zu wenig in den Werterhalt investiert hat. Das soll sich ändern. Die Stadtspitze hat ein millionenschweres Investitionsprogramm geplant und will vor allem neue Schulen und Kitas bauen. In der Kämmerei geht man davon aus, dass das Eigenkapital wieder auf mehr als 7 Milliarden Euro steigt. Fazit: Hannover hat in den vergangenen fünf Jahren seine Finanzen geordnet und vom wirtschaftlichen Aufschwung profitiert. Das ist eine gute Basis. Jedoch ist unterm Strich zu wenig in die eigene Infrastruktur investiert worden. Das rächt sich jetzt. Hohe Ausgaben sind nötig, der Schuldenberg wächst und die Stadt muss ihr Konto wieder kräftig überziehen, um Engpässe auszugleichen. Lesen Sie auch: Haushalt in der Corona-Krise: Hannover investiert in Schulen und Kitas - aber verzichtet auf Fössebad-Neubau Haushalt der Stadt Hannover: So ordnet die Stadt für die kommenden zwei Jahre ihre Finanzen Kommentar zu Hannovers Finanzsituation von Andreas Schinkel Von Andreas Schinkel