Klinik in Hannover sagt Operation von 93-Jähriger ab: Familie findet verstörte Seniorin hilflos auf dem Sofa

Annemarie T. hat es sich mit ihrer Entscheidung nicht leicht gemacht. Die noch recht rüstige 93-jährige Seniorin aus der Südstadt war gestürzt und hatte Frakturen, die operiert werden sollten. Ein Klinikaufenthalt während der Corona-Pandemie behagte ihr nicht sonderlich, aber die Schmerzen und die Familie überzeugten sie von der Notwendigkeit des Eingriffs. Dass sie sich statt auf dem Operationstisch an einem Mittwoch Ende Januar nach einer überhasteten Entlassung dann in Hut, Winterstiefel und Mantel auf ihrem Wohnzimmersofa wiederfinden sollte, war indes nicht so geplant. Überhastete Entlassung verstört Seniorin: „Ich habe sie eher zufällig am Nachmittag des geplanten Operationstages als Häufchen Elend zu Hause angetroffen“, erzählt Schwiegertochter Karin T. Die Reisetasche stand im Flur, die Entlassungspapiere lagen auf dem Tisch, die Schwiegermutter lag reichlich verstört in Winterkleidung auf dem Sofa. „Meine 93-jährige Schwiegermutter war Ende Januar in der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie des Friederikenstifts in der stationären Behandlung“, berichtet Karin T. „Die dort gestellten Diagnosen von Frakturen eines Brustwirbels sowie eines Lendenwirbels haben nach Abwägung aller Risiken zur Indikation einer operativen Therapie geführt.“ Annemarie T. habe der Operation explizit zugestimmt, zumal sie bis dato mobil gewesen sei. Sie konnte sich komplett allein versorgen, war geistig fit und ohne demenzielle Anzeichen. Am geplanten OP-Tag sei die Seniorin dann aber auf Veranlassung des Friederikenstifts am Vormittag „in einer Nacht-und Nebelaktion“ entlassen und über einen Krankentransport nach Haus gebracht worden. „Darüber hat uns keiner informiert, das geschah ohne Einverständnis der Patientin, und auch ihr Sohn - dort als Angehöriger mit Vorsorgevollmacht bekannt – wurde nicht darüber informiert“, sagt Karin T., die mit ihrer Familie in Hemmingen lebt und regelmäßig bei der Schwiegermutter nach dem Rechten sieht. Eingriff wegen Corona-Verdacht spontan abgesagt: Als Begründung hat die Klinik auf eine Bettnachbarin der alten Dame verwiesen, die seitens der Krankenhaushygiene als Covid-Kontaktpatientin eingestuft wurde. „Daraufhin hat das Friederikenstift meine Schwiegermutter nach Hause entlassen und eine 14-tägige Quarantäne veranlasst“, erzählt Karin T. Das Vorgehen des Entlassungsmanagements sei ungeheuerlich. „Man hat allen Ernstes eine 93-jährige Patientin, die allein lebend ist, die aufgrund der diagnostizierten Frakturen immobil ist, ohne Information der direkten Angehörigen in eine häusliche 14-tägige Quarantäne geschickt.“ Für das Friederikenstift stellt sich die Situation ein wenig anders dar. „Die Patientin war gestürzt und stellte sich als Notfall vor. Bei einer MRT-Untersuchung ist festgestellt worden, dass eine Operation zur Schmerzbehandlung angezeigt wäre“, erläutert Matthias Büschking, Leiter der Diakovere-Unternehmenskommunikation. Der Eingriff sei wegen eines vermutlichen Corona-Falls einer Mitpatientin abgesagt worden. „Wenngleich selbst negativ getestet und symptomfrei, wurde die Patientin zur Sicherheit für 14 Tage in häusliche Quarantäne entlassen.“ Vital und ansprechbar: „Da die Seniorin generell im Gespräch klar, voll orientiert, einsichts- und kommunikationsfähig auftrat, haben wir die Angehörigen nicht noch einmal gesondert informiert“, sagt Büschking. Dies habe sie selbst auf mehrfache Frage der Ärzte abgelehnt mit dem Hinweis, das werde sie sofort selbst telefonisch erledigen. Es wurde ein Spezialtransport bestellt und die Patientin am Vormittag zum Transport in ihre Wohnung abgeholt. „Zum Zeitpunkt der Entlassung war sie wach, ansprechbar, stabil in allen Vitalparametern, schmerztherapeutisch gut eingestellt und selbstständig mobil, sodass sie sich selbst einen Aufschub der Operation auf die Zeit nach der Quarantäne zutraute“, erklärt der Diakovere-Sprecher. Lesen Sie auch: Patientin steckt sich in Klinik mit Coronavirus an und stirbt Grundsätzlich sind auch die Transportdienste angehalten, den Zustand eines Patienten bei einer Entlassung im Blick zu haben. „Die Verantwortung einer Entlassung ins häusliche Umfeld obliegt jedoch dem Krankenhaus“, erklärt Sylke Heun, Sprecherin der Johanniter-Unfall-Hilfe, die für diesen Transport allerdings nicht verantwortlich gewesen ist. „Wir begleiten die Patienten in ihre Wohnungen. Wenn der Rettungsdienst dann vor Ort während seiner kurzen Anwesenheit den Eindruck gewinnt, dass etwas nicht stimmig ist, wird umgehend Rücksprache mit der Feuerwehrleitstelle über das weitere Verfahren gehalten“, sagt Heun. Diese entscheide über eine Kontaktierung des Krankenhauses oder des Medizinischen Dienstes. In Einzelfällen würden über diesen Weg Patienten ins Krankenhaus zurückgebracht. „Meine Schwiegermutter ist geradezu traumatisiert“: Annemarie T. wurde nur durch einen Zufall relativ früh in ihrem Haus entdeckt. „Die Auffindesituation war mehr als bedenklich. Sie lag bäuchlings in Mantel und Winterstiefel auf dem Sofa im Wohnzimmer und war nur sehr eingeschränkt ansprechbar“, betont Karin T. Ohne die ungeplante Stippvisite wäre die alte Dame dort noch weitere Stunden unentdeckt geblieben. „Meine Schwiegermutter ist seitdem geradezu traumatisiert. In den Entlassungspapieren stand außer der Quarantäneanweisung noch, dass sie sich ja danach erneut in der Klinik vorstellen könne, sollten die Beschwerden noch andauern.“ Klinik sieht keine Fehler: Das Beschwerdemanagement des Friederikenstifts hat sich auf das Anschreiben der Familie T. noch nicht gemeldet, ebenso wie die zuständige Station für Unfallchirurgie. „Die Abläufe sind ja grundsätzlich nachvollziehbar, aber man muss in so einem Fall doch miteinander kommunizieren, und eine alte Frau nicht einfach ohne Vorwarnung auf ihrem Sofa abkippen“, sagt die Schwiegertochter. Das Beschwerdemanagement hätte innerhalb der üblichen 14-Tages-Frist reagiert, sagt der Kliniksprecher. „Wir bedauern die Unannehmlichkeiten von Frau T., können jedoch keinen Fehler des Diakovere-Teams feststellen.“ Die Corona-Tests bei Annemarie T. sind negativ ausgefallen. Sie wird jetzt in einer anderen Klinik behandelt. Und vielleicht muss sie doch nicht operiert werden. Von Susanna Bauch

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