Gastro-Sperrstunde ab 23 Uhr: Das sagen Wirte, der Gastroverband und die Polizei

In Hannover und im Umland müssen Restaurants und Kneipen wegen steigender Corona-Infektionszahlen ab sofort abends um 23 Uhr bis zum Folgetag um 6 Uhr schließen. Das erklärte am Freitag ein Sprecher des niedersächsischen Gesundheitsministeriums auf Anfrage der HAZ. „In Hannover gilt ab heute eine Sperrstunde für Gastronomiebetriebe, da die Region den Sieben-Tage-Wert von 35 Infektionen auf 100.000 Einwohner überschritten hat.“ Am Freitag lag der Sieben-Tage-Wert nach Angaben des Gesundheitsamts der Region Hannover bei 49,5 – knapp unter dem Wert von 50, dessen Erreichen zu weiteren Einschränkungen wie einem nächtlichen Außerhausverkaufsverbot von Alkohol für Gaststätten führen würde. Lesen Sie auch: Sperrstunde, Masken, private Treffen: Das gilt jetzt in Niedersachsen Die Sperrstunde war in die jüngste Corona-Verordnung des Landes eingefügt worden, die seit Freitag in Kraft ist. Die Regionsverwaltung, in Hannover und dem Umland für den Infektionsschutz zuständig, muss dafür keine eigene Allgemeinverfügung erlassen. Sie könnte aber Ausnahmen von der Sperrstunde verfügen – will davon nach Angaben eines Sprechers jedoch keinen Gebrauch machen. Auch in etlichen anderen Städten und Landkreisen Niedersachsens, die den Grenzwert von 35 überschritten haben, gilt damit ab sofort die Sperrstunde. Einige Gegenden wie Hildesheim oder Schaumburg liegen schon über dem 50er-Wert – und unterliegen damit dem nächtlichen Alkoholverkaufsverbot. Ein Osnabrücker Gastronom wehrt sich inzwischen vor Gericht gegen die Sperrstunden-Verordnungen der Stadt und des Landes. Der Unternehmer habe beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht am Freitag einen Normenkontrollantrag gegen das Land Niedersachsen eingereicht, teilte eine Sprecherin des Osnabrücker Verwaltungsgerichts mit. Zuvor hatte der Wirt bereits einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht gegen die Sperrstunde eingereicht. Das Gericht gab dem Antrag statt, weil die Verordnung unverhältnismäßig sei. Trotz der Entscheidung bleibt die Sperrstunde allerdings vorerst in Kraft. Gastronomen reagieren mit Unverständnis: Der deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) kritisierte die Sperrstunde scharf. Landesgeschäftsführer Rainer Balke hält sie für „absoluten Unsinn“. Der Verband habe nicht die Erfahrung gemacht, dass in der Nacht unkontrolliert getrunken werde. Vielmehr sei das Gegenteil der Fall. „Die Gastronomen haben im Blick, wie viel die Gäste trinken. Da wird keiner abgefüllt“, sagt Balke. Doch der Dehoga-Landeschef zeigt auch Verständnis: „Die Landesregierung macht das auch nicht freiwillig. Wir sind ganz unglücklich damit, aber die Regierung vielleicht genauso.“ Auch im Brauhaus Ernst August in der Schmiedestraße ist man verwundert über die neuen Regelungen. „Wir können die Sperrstunde nicht nachvollziehen“, sagt Inhaber Hannes Aulich. Er habe extra mehr Personal eingestellt, um die Einhaltung der Sicherheitsabstände zu kontrollieren. „Hier, im kontrollierten Rahmen, ist es doch viel sicherer, als wenn die Gäste zusammen nach Hause gehen und dort weitertrinken“, sagt er. Zu welcher Uhrzeit er die Gäste nach Hause schickt, weiß er am Freitagnachmittag noch nicht. Fest steht, dass es vor 23 Uhr sein wird. „Bis dann muss schließlich der letzte Gast gegangen sein, und wir wollen ja nicht jemanden einfach vor die Tür setzen, wenn er um 22:59 Uhr noch sein letztes Bier austrinkt“, sagt Aulich. Kommunikation unzureichend: „De facto wird der Laden um 22 Uhr leer sein“, sagt auch Jan Sennert, Inhaber des Centrum am Lindener Markt. „Da kommt doch keiner mehr, wenn er weiß, dass um 23 Uhr ohnehin Schluss ist“. Er habe erst am Freitagvormittag von der Sperrstunde erfahren. Ihn ärgere vor allem, dass die neue Regelung nicht deutlich kommuniziert wurde. Zudem weist Sennert auf ein Schaubild auf der Seite des Landes Niedersachsen hin. In der Grafik wird die Sperrstunde erst für einen Sieben-Tage-Wert von 50 Infizierten pro 100.000 Einwohner eindeutig ausgewiesen. Für 35 Infizierte ist lediglich in kleiner Schrift der Hinweis platziert, dass eine Sperrstunde möglich ist. „Das habe ich nicht gewusst“: In der Kneipe Destille in der Nordstadt ist Mitarbeiterin Karolina Jankowski überrascht, als die HAZ sie zu der Sperrstunde befragt. „Das habe ich noch gar nicht gewusst. Da muss ich gleich mal den Chef kontaktieren“, sagt sie. Normalerweise habe die Traditionskneipe bis 3 Uhr morgens geöffnet. Die Sperrstunde treffe die Hauptgeschäftszeit, oft sei bis halb drei kein Durchatmen für die Mitarbeitenden. „Dass wir jetzt um 23 Uhr schließen müssen, ist für den Betrieb natürlich fatal“, sagt Jankowski. Bei einem Verstoß drohen Bußgelder, die im schlimmsten Fall bis zu 25.000 Euro reichen können. Für die Kontrolle der Einhaltung der Sperrstunde sind die Ordnungsbehörden der Kommunen gemeinsam mit der Polizei zuständig. Die Stadt Hannover erklärte am Freitag, die Polizei werde die Kontrollen durchführen. Polizei appelliert an die Bevölkerung: Die appellierte am Freitag an die Bevölkerung: „Es soll jetzt möglichst auch niemand mehr abends erst gegen 22.30 Uhr noch aufbrechen, um noch in eine Bar oder Kneipe zu gehen“, sagte Polizeisprecher Michael Bertram. Grundsätzlich seien die Ordnungsämter zuständig. „Aber wir sind ja ohnehin anlässlich unserer Schwerpunktkontrollen gegen illegale Prostitution und Rauschgift im Einsatz“, sagte Bertram. Neben Mindestabstand, Hygienekonzepten und Maskenpflicht werde nun auch von den Beamten die Einhaltung der Sperrstunden kontrolliert. Das bedeute sicherlich einen noch größeren Aufwand für die Einsatzkräfte, in den Umlandkommunen für den Streifendienst. „Wir appellieren deshalb vor allem auch vor dem Hintergrund der Sperrstunde noch einmal an den gesunden Menschenverstand der Bürger und Gastronomen“, sagte Bertram. Lesen Sie auch Corona-Regeln in Niedersachsen: Sperrstunde und eingeschränkte Kontaktmöglichkeiten Von Karl Doeleke, Thea Schmidt und Ingo Rodriguez