Gesundheitsamleiter Yilmaz: "Eine Maskenpflicht halte ich nicht für sinnvoll"

Herr Yilmaz, ein Sommer in Hannover ohne Maschseefest, ohne Konzerte, ohne Schützenfest, muss das wirklich sein? Die Corona-Epidemie wird weiter andauern, auch wenn wir die Lawine verlangsamen konnten. Deswegen ist es weiterhin notwendig, Kontakte einzuschränken. Und da sind solche Großveranstaltungen, so leid mir das tut, besondere Gefahrenpunkte, die wir ausschließen müssen. Werden wir dann hier nicht irgendwann depressiv, wenn es gar keine Feste und Feiern, gar keine Abwechslung mehr gibt? In der derzeitigen Situation müssen wir abwägen zwischen dem Risiko von Erkrankungen und Tod sowie dem Vergnügen. Natürlich ist das keine einfache Situation. Zum Glück gibt es Alternativen zu Großveranstaltungen. Jeder kann sich für sich selbst überlegen, was besondere Lichtblicke im Alltag sein können - zum Beispiel Lesen, Malen, Puzzeln oder Videokonferenzen mit Freunden oder Familie. Das ersetzt keinesfalls das soziale Leben. Aber das ist das Beste, was wir derzeit tun können. Sprechen die guten Zahlen bei den Neuinfektionen nicht dafür, dass man großzügiger hätte sein können? Es ist uns gelungen, die Infektionsgeschwindigkeit in den vergangenen Wochen zu verlangsamen. Aber die Lawine kann sofort wieder beschleunigen, und das sehr schnell. Das Abbremsen ist dagegen ein viel langsamerer Prozess. Wir dürfen jetzt also nicht leichtsinnig werden. Die Abstandsregeln sind am wichtigsten: Kritik gibt es von Ladeninhabern, die mehr als 800 Quadratmeter Verkaufsfläche haben. Die dürfen nicht öffnen. Dabei würden sich Kunden in einem großen Möbelgeschäft doch viel besser verteilen. Ist die Regelung sinnvoll? Das Wichtigste ist, dass die Abstandsregeln eingehalten werden. Die Frage, wie man das am besten umsetzt, ist eine politische Entscheidung. Sinnvoll ist es aber auf jeden Fall, schrittweise vorzugehen und nicht gleich wieder alles auf einmal zu erlauben. Hätten Sie sich weitere Lockerungen gewünscht? Die Lockerungen, die jetzt beschlossen wurden, sind maßvoll. Es ist wichtig, dass man Licht am Ende des Tunnels sehen kann. Aber eins ist auch sicher: Wir werden die Einschränkungen noch einige Zeit aushalten müssen. Von Altenheimbetreibern und Medizinern kommt die Forderung, das Besuchsverbot in den Alten-und Pflegeheimen nicht mehr so strikt zu handhaben. Was ist da Ihre Meinung? Menschen sind soziale Wesen, wir brauchen Kontakte. Aber gerade die Älteren sind gefährdet, oft zusätzlich noch durch Vorerkrankungen. Sie sind es, die wir durch die Maßnahmen besonders zu schützen versuchen. Schon jetzt beobachten wir eine Verlagerung der Infektionszahlen auf Menschen im höheren Lebensalter. Wir müssen aufpassen, dass die Erkrankungszahlen in Alten- und Pflegeheimen nicht explodieren. Deshalb sollten wir die Beschränkungen so weit wie möglich aufrechterhalten. Bei jemandem, der sterbenskrank ist, muss man natürlich einen Weg finden, damit die Angehörigen ihn sehen können. Aber diese Ausnahme hat das Land ja auch vorgesehen. Besonders in Bussen und Bahnen kommen sich die Menschen derzeit nahe. Wie könnte diese Situation verbessert werden, um dort Neuinfektionen zu vermeiden? Auch hier ist es wichtig, Abstand zu halten, wo es geht. Gerade in Stoßzeiten ist das nicht immer möglich. Eine Mund-Nasen-Bedeckung kann helfen, Tröpfchen, die beim Sprechen aus dem Mund kommen, aufzuhalten. Wer eine solche Alltagsmaske trägt, schützt nicht sich selbst, aber andere. Eine Bedeckung ist immer dann sinnvoll, wenn man keinen Abstand halten kann. Professionelle Schutzausrüstung sollte den Mitarbeiterinnen und den Mitarbeitern in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen oder den Rettungsdiensten vorbehalten sein, die mit Erkrankten im direkten Kontakt stehen. Und was halten Sie von einer generellen Pflicht, eine solche Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, wie sie zum Beispiel in Jena gilt? Ich hätte Sorge, dass die Menschen dann nicht mehr die wichtigsten Regeln beachten: Abstand zu halten, Hände zu waschen und in die Armbeuge zu husten und zu niesen. Die Basishygiene zu beachten, ist wesentlich sinnvoller als eine Maske zu tragen. Wir haben hier viele Krankenhäuser und dazu noch die Notklinik auf dem Messegelände, können sich die Menschen in der Region Hannover besonders sicher fühlen? Es gab am Anfang die große Sorge, dass wir auch in der Region Hannover explosionsartig viele schwere Fälle haben könnten. Deshalb wurden viele Maßnahmen ergriffen: Zum Beispiel wurde die Zahl der Intensivbetten aufgestockt und das Behelfskrankenhaus gebaut. Im Moment gibt es für jeden Erkrankten ein Bett, das ist ein ermutigendes Zeichen. Und es zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Für das Personal in Krankenhäusern, Pflegeheimen und bei den Ärzten ist Schutzkleidung noch immer knapp, was ist da schief gelaufen? Diese Entwicklung hat niemand so vorhergesehen. Zudem ist die Pandemie zunächst in dem Land ausgebrochen, das die Welt mit medizinischer Schutzausrüstung versorgt – in China. Bund, Land und auch die Region bemühen sich intensiv um die Beschaffung von Schutzmaterial. Aber die Lage bleibt noch schwierig. Das wird sich ändern, wenn die Produktion in China wieder voll läuft, dann werden wir ausreichend Schutzkleidung haben. Die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten wollen pro 20.000 Einwohner fünf zusätzliche Mitarbeiter im Gesundheitsamt. Was bedeutet das für das Gesundheitsamt der Region? Die Region hat schon zu Anfang schnell reagiert. Wir haben unser Personal mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus anderen Bereichen der Regionsverwaltung aufgestockt und mehr als verdoppelt. Derzeit haben wir 160 Mitarbeiter im Infektionsschutz. Um die Forderung des Bundes zu erfüllen, werden wir auf 300 Mitarbeiter wachsen müssen. Wenn wir etwas aus der Krise lernen, dann auch, dass wir mehr fachlich qualifiziertes Personal im öffentlichen Gesundheitsdienst brauchen. Tatsächlich war es schon vorher schwierig, Ärztinnen und Ärzte zu bekommen, weil sie in anderen Bereichen besser bezahlt werden. Wie hat sich Ihr Leben seit dem 29. Februar, als der erste Corona-Fall in der Region Hannover bekannt wurde, verändert? Ich bin jetzt an sieben Tagen in der Woche in einer Rund-um-die-Uhr-Bereitschaft. Jeden Tag verbringe ich 12 bis 14 Stunden im Büro. Aber ich bin nicht der Einzige: Die Kolleginnen und Kollegen engagieren sich enorm und machen auch viele Überstunden. Das schweißt uns zusammen und gibt uns die Kraft, weiterzumachen. Wir merken, dass unsere Arbeit sehr sinnvoll ist. Herr Yilmaz, wenn Sie in die Zukunft blicken, wo stehen wir in sechs Monaten, wie wird dann die Lage in der Region sein? Wenn es keinen Rückfall gibt und alles gut läuft, werden wir im Oktober vielleicht 80 Prozent unseres normalen Lebens wiederhaben. Haben Sie einen Sommerurlaub gebucht? Nein. Ich hoffe aber, dass wir im Sommer alle ein bisschen verreisen können, zumindest im Inland. Es kann aber auch sein, dass das erst am Ende des Jahres möglich ist. Wann wird sich das Thema Corona erledigt haben? Da gibt es zwei Szenarien: Sobald es einen Impfstoff in ausreichender Menge gibt, wird sich die Lage sehr schnell beruhigen. Oder wir leben mit dem Coronavirus, bis sich 50 bis 60 Prozent der Menschen infiziert haben, so dass die Infektionswelle von selbst abebbt, weil es nicht mehr so viele Menschen gibt, die sich neu anstecken können. Dann hätten wir die sogenannte Herdenimmunität. Bis es soweit ist, kann es noch ein bis zwei Jahre dauern. Das tägliche HAZ Corona-Update als Newsletter Alle News zum Coronavirus in Hannover täglich gegen 6 Uhr im E-Mail-Postfach. 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