Gilde-Kundgebung in Hannover: Hunderte unterstützen die streikenden Brauer

Julian Weinz blickt über das das bunte Fahnenmeer, das sich am Altenbekener Damm im frühlingshaft warmen Wind bewegt. ,,Das macht stolz“, sagt der Betriebsratsvorsitzende der Gilde: „Das gibt uns Kraft in der Tarifauseinandersetzung.“ Mehr als 400 Vertreter zahlreicher Gewerkschaften und Parteien haben sich vor der Brauerei in der Südstadt versammelt, um sich mit der streikenden Belegschaft solidarisch zu zeigen. Bis zur Schlusskundgebung am Opernplatz wird die Zahl noch auf bis zu 750 anwachsen. 75 von 140 Kollegen am Standort streiken seit Monaten immer wieder – und seit einer Woche erneut, wie Weinz berichtet. Mehr als ein Dutzend Warnstreiks hat es seit Oktober 2019 gegeben. Ende November wurde die Gilde, wie zuvor angekündigt, in vier Gesellschaften zerteilt – die Kerngesellschaft, die Fass- und Flaschenabfüllung, die Dosenabfüllung und die Logistik. Alle sind sie Töchter der TCB Beverages Holding aus Frankfurt/Oder, die die am Limit wirtschaftende hannoversche Brauerei 2015 übernommen hat. Die Geschäftsführung begründet die Aufspaltung damit, dass vor allem in der Abfüllung die Effizienz gesteigert werden müsse. „Ohne Tarif gildet es nicht“: Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) spricht dagegen davon, dass Betriebsratsarbeit und Arbeitskampf torpediert würden. „Wir fordern die Geschäftsführung auf, endlich an den Verhandlungstisch zu kommen“, sagt Herbert Grimberg, Vorsitzender NGG, Landesbezirk Nord, bei der Auftaktkundgebung am Sonnabend. „Ohne Tarif gildet es nicht.“ Die Gewerkschaft will für die Gilde-Mitarbeiter Tarifverhandlungen erreichen. Das Ziel sind einheitliche Löhne und Gehälter für gleiche Arbeit. Derzeit gibt es ihren Berechnungen nach erhebliche Unterschiede zwischen Beschäftigten mit Altverträgen und den mehr als 50 Mitarbeitern, die seit der Übernahme durch die von Karsten Uhlmann und Mike Gärtner als Gesellschafter geführte Holding TCB Beverages dazukamen. Neue Beschäftigte, die ab Januar 2016 eingestellt wurden, verdienen nach NGG-Angaben im Jahr durchschnittlich rund 15.000 Euro brutto weniger, weil sie im Gegensatz zu den Alt-Beschäftigten keinen Anspruch auf tarifvertragliche Leistungen haben. Die Geschäftsführung will frühestens dann über Lohnangleichungen sprechen, wenn der Standort nicht mehr in den roten Zahlen stecke. „Das ist Lohnraub“, sagt bei der Gilde-Kundgebung Guido Zeitler, der Bundesvorsitzender der NGG. Unter anderem werde den Neueingestellten weder Urlaubs- noch Weihnachtsgeld gezahlt. Ältere stehen zu neuen Kollegen: Einer der Betroffenen ist Burkhard Klages, seit 2016 Beschäftigter in der Gilde-Schlosserei. In gelber Streikweste verfolgt der 57-Jährige, wie eine Gewerkschaftsdelegation nach der anderen vor der Brauerei eintrifft: aus Bremen und Osnabrück, aus Hessen und Nordrhein-Westfalen. „Man muss besonders den älteren Gilde-Mitarbeitern hoch anrechnen, dass sie zu uns stehen“, sagt Klages. Erbost sind die Streikenden dagegen über die zwar rechtlich einwandfreien, aber in der Praxis selten angewandten Aussperrungen durch die Arbeitgeber. Seit Ende Januar durften Mitarbeiter wiederholt das Betriebsgelände nicht betreten, zunächst bei der Dosenabfüllung, später auch bei anderen Gesellschaften. Alexander Benkert, Geschäftsführer der Dosenabfüllung, begründete dies gegenüber der HAZ so: „Wenn der Beginn und das Ende von Streiks kurzfristig angekündigt werden, behindert das die Planung der Schichten.“ „Dies hier ist nur der Anfang“: Unter beschwingtem Trommeln der Gewerkschaftsband Adams Family setzt sich der Demonstrationszug zum Maschsee und weiter Richtung Innenstadt in Bewegung, vorneweg die SPD-Bundesabgeordnete Yasmin Fahimi. Auch Vertreter der Grünen, der Linken und der Piraten marschieren mit. „Power für die Brauer“ skandieren die Demonstranten, die Band spielt „Sag mir quando, quando, quando.“ „Dies hier ist nur der Anfang“, sagt dann auf dem Podium am Opernplatz der DGB-Bundesvorsitzende Reiner Hoffmann. Wenn sich die Brauerei-Geschäftsführung nicht bewege, werde ihr bald noch deutlicher gezeigt, „was gewerkschaftliche Solidarität heißt“. Schon an diesem Tag reicht das Spektrum der Beteiligten von der GEW, Verdi und der IG Metall bis zur Eisenbahnergewerkschaft EVG. Die wohl größte Delegation stellt die IG BCE mit ihrem Vorsitzenden Michael Vassiliadis an der Spitze. „Kein gutes Bier ohne gute Arbeit“: Unterdessen haben sich auch Vertreter der Grünen mit den Demonstranten solidarisch erklärt. „Die einseitige Aufkündigung der Sozialpartnerschaft durch die Geschäftsführung der Gilde Brauerei macht mich fassungslos“, sagt Stadtverbandsvorsitzende Gisela Witte. „Die berechtigten Interessen der Beschäftigten dürfen nicht weiter ignoriert werden“, betont sie. Sven-Christian Kindler, grüner Bundestagsabgeordneter aus Hannover, meint, es sei nicht zu akzeptieren, dass die Gilde-Geschäftsführer Gespräche über einen Tarifvertrag verweigern. Die zusätzliche Behinderung der Betriebsratsarbeit sei ein Bruch mit der Tradition der Sozialpartnerschaft. „Es gibt kein gutes Bier ohne gute Arbeit“, sagt Kindler. „Gilde darf keinen schalen Beigeschmack bekommen.“ Lesen Sie auch: Warum die Situation bei der Gilde-Brauerei so festgefahren ist Brauerei sperrt Mitarbeiter aus Gilde-Brauerei wird über Nacht zerschlagen Von Gabriele Schulte