Zu den Unannehmlichkeiten des Lockdowns gehört auch, dass die Friseure geschlossen haben. Meine Haare wissen das aber nicht und wachsen einfach weiter. Man kann sagen, dass ich lauter kleine Lockdown-Verweigerer auf dem Kopf habe. „Du siehst aus wie ein explodierter Wolfskadaver“, mäkelten jetzt meine drei Töchter mit Blick auf meinen ergrauten Schopf. Dann musste ich mich auf einen Stuhl in der Küche setzen, und sie legten mir ein Handtuch um die Schultern.
Die Bastelscheren klappern
Die Mittlere hatte schon einmal Rasen gemäht und war damit noch am ehesten qualifiziert für das, was nun getan werden musste. Beherzt griff sie zu Kamm und Schere. Tapfer kniff ich die Augen zusammen. „Jaaa, sieht schon viel besser aus“, sagten die Schwestern, während ich die Bastelschere klappern hörte. Ich öffnete die Augen einen Spalt weit. Das Mittelkind hatte die Zunge im Mundwinkel und schnippelte. Die Schwestern wurden allmählich stiller.
„Im Grunde zählen doch die inneren Werte“, sagte die Erstgeborene dann tröstend. Ich fühlte mit den Fingern, dass die Haare jetzt links viel kürzer waren als rechts. „So bleibt das nicht, macht sofort meine Haare überall gleich lang!“, forderte ich. Es klapperte wieder. „Vielleicht müssen wir ja bald in Quarantäne, dann sieht dich gar keiner“, munterten sie mich auf. Ich erfühlte, dass die Haare jetzt rechts kürzer waren als links. Mich erfüllte tiefe Dankbarkeit dafür, dass nicht auch noch die Zahnärzte schließen mussten.
Eine Art Billardkugel
Es klapperte weiter, und die Töchter schauten immer betretener drein. „Es gibt viel größeres Leid auf der Welt, und die Hauptsache ist doch, wir sind gesund“, sagte die Jüngste mild. Als ich schließlich in den Spiegel sah, blickte mir eine Art Billardkugel entgegen. „Du musst auch nichts dafür bezahlen“, sagte die Jungfriseurin. Aber auf die Idee wäre ich auch gar nicht gekommen.
An dieser Stelle möchte ich allen Frisurenfachkräften einmal von Herzen danken. Halten Sie durch! Denn der lange Weg zu einer schöneren Welt besteht aus vielen kleinen Schnitten.
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Von Simon Benne