HAZ-Kommentar zum Chaos beim Impfen in Niedersachsen

Die Liste der Pannen bei der Impfkampagne reißt nicht ab: Eine dauerhaft verstopfte Hotline für Anrufer, eine komplett überforderte Anmeldeseite im Internet, SMS-Bestätigungen, die nicht ankommen, Impftermine, die per Post und dann viel zu spät kommen. Ganz ehrlich: So kann man mit Menschen nicht umspringen und insbesondere nicht mit den über 80-Jährigen. Sie gehören zu der Gruppe, die von der Corona-Pandemie am stärksten bedroht sind, sie hoffen seit Monaten auf den Impfstoff und müssen nun erleben, dass die zuständigen Behörden bei der Organisation grandios scheitern. Dabei ist natürlich richtig, dass das größte Problem außerhalb der Reichweite der Behörden in Stadt und Land liegt: Es gibt bei Weitem nicht genug Impfstoff. Aber hinter diesem Mangel dürfen sich die regionalen Behörden nicht verstecken, denn er erklärt und entschuldigt nicht das Chaos mit Hotline und Homepage. Ganz im Gegenteil: Es wäre ein Anlass gewesen, die gesamte Organisation anders aufzuziehen und nicht alle Beteiligten in dieses unwürdige Wettrennen um die wenigen Plätze zu schicken. Wenn es um Konzertkarten geht, dann ist das Prinzip „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ vertretbar. Aber die Chance auf ein potenziell lebensrettendes Vakzin als Wettlauf in der Warteschleife zu veranstalten, erzeugt Frust und Unverständnis. Beim Kampf gegen eine Pandemie, in der Solidarität und Vertrauen immer noch die größten Waffen sind, ist das, gelinde gesagt, kein guter Ansatz. Reform der Kampagne dringend geboten: Stichwort Vertrauen: Es ist erst wenige Monate her, da konnten die Deutschen und insbesondere die Niedersachsen sich in dem Gefühl sonnen, die Covid-19-Krise einigermaßen gut zu bewältigen: Die Infektionszahlen im Sommer waren auch im europäischen Vergleich niedrig und Niedersachsens Landesregierung hatte mit ihrem Lockerungsplan aus dem ersten Lockdown bundesweit Schule gemacht. So etwas stärkt den Zusammenhalt und auch die Bereitschaft, den Verantwortlichen auch beim nächsten Schritt aus der Pandemie zu folgen. Doch dieser Eindruck ist nach der Pannenserie in der Impfkampagne nun erst einmal erheblich beschädigt worden. Lesen Sie auch Senioren verpassen Impftermine, weil der Bescheid zu spät ankommt Impftourismus ärgert niedersächsische Landkreise Jetzt einfach nur abzuwarten, dass es mehr Impfstoff gibt und sich damit alle Probleme gewissermaßen in Luft auflösen, ist nicht der richtige Weg. Es braucht in Niedersachsen und wo nötig auch auf kommunaler Ebene eine deutliche Analyse und anschließend auch Korrektur der Impfkampagne. Mehr Steuerung, weniger Wettlauf und mehr direkte und analoge Ansprache der älteren Generationen wäre ein erster wichtiger Ansatz. Von Heiko Randermann