HAZ-Leserbriefe zur NSDAP-Mitgliedschaft von Rolf Zick

Der Presseclub Hannover zeichnet seit 1997 in jedem Jahr eine Persönlichkeit mit dem Leibniz-Ring aus – für eine besondere Leistung oder auch für ihr Lebenswerk. In diesem Herbst soll der 99-jährige Journalist Rolf Zick diese Ehrung erhalten. Doch jetzt hat ein Historiker Dokumente entdeckt, die belegen, dass Zick Mitglied der NSDAP war. Sollte die Auszeichnung aufgrund dieser neuen Erkenntnisse überdacht werden? Die Mehrheit der HAZ-Leser, die uns einen Leserbrief geschrieben haben, meint: nein. Leserin Anette Winkelmüller aus Hannover: Herr Zick hat die Ehrung voll verdient: Mitgliedschaften in Organisationen einer Diktatur (hier in der NSDAP) muss man differenziert betrachten, besonders wenn derjenige erst 18 Jahre alt und nicht Täter war. Es ist eher wichtig, zu welchen Erkenntnissen und zu welchem Handeln die oft traumatischen Erlebnisse dieser Zeit in der weiteren Lebensgestaltung führten, das Bekenntnis dazu nicht ausgeschlossen. Wir Nachgeborenen können uns meist nicht das Leben in der Diktatur der Nazi-Zeit vorstellen beziehungsweise es beurteilen. Ich erlebte Herrn Zick auf einer Podiumsveranstaltung in Mellendorf vor zwei Jahren, in der wir mit drei Generationen unsere „Antikriegsbücher“ vorstellten und diskutierten. Das war nicht seine erste Aktion zu diesem Thema. Sollen hier die Auszeichnung eines um die Demokratie verdienten Journalisten mit dem Leibniz-Ring und damit sein Ruf und seine Lebensleistung demontiert werden? Herr Zick hat die Ehrung voll verdient. Dr. Anette Winkelmüller, Hannover Leser Christian Pfeiffer aus Hannover: Ihn an den Pranger zu stellen ist falsch: Die HAZ hält es für eine berichtenswerte Nachricht, Herr Zick sei 1939 als 18-Jähriger in die NSDAP eingetreten. Offenbar soll allein diese Mitgliedschaft ausreichen, Zweifel an seiner Eignung für die Verleihung des Leibniz-Ringes zu wecken. Doch damit wird ausgeblendet, mit welcher Perfektion es die Propagandamaschine der Nazis Ende der Dreißigerjahre verstanden hat, die Menschen vom eigenen Kurs zu überzeugen. Gerade in ländlichen Regionen Niedersachsens dürfte es damals sehr schwer gewesen sein, überhaupt an Infos zu gelangen, die einen jungen Mann in Distanz zu den Nazis bringen konnten. Es war deshalb falsch, Herrn Zick so an den Pranger zu stellen. Für die Verleihung des Leibniz-Ringes ist entscheidend, was er nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft ab dem Alter von28 Jahren in Deutschland geleistet hat. Das aber wird in dem Text nur ansatzweise erwähnt, obwohl Herr Zick aus guten Gründen schon bisher mit der höchsten Auszeichnung des Landes geehrt wurde. Die Frage, ob er tatsächlich als 18-Jähriger Parteimitglied wurde, wird streitig bleiben. Aber darauf kommt es hier nicht an. Prof. Dr. Christian Pfeiffer, Hannover Leser Michael Wiedemann aus Hannover: Ohne Respekt und Würde: Journalismus ohne Respekt und Würde. Herr Zick hat in jahrzehntelanger Arbeit als Journalist und Leiter der Landespressekonferenz gezeigt, dass er die Werte unserer demokratischen Gesellschaft bejaht und für ihre Erhaltung eintritt. Dass er in jungen Jahren wie auch immer Mitglied der NSDAP geworden ist, vermag das Bild des Mannes nicht zu verdüstern. Es ist sehr zu bedauern, dass Zick vom anscheinend nicht durch Arbeit belasteten Historiker Christian-Alexander Wäldner in den Blick genommen worden ist und dieser nicht die Größe hatte, Erkenntnisse über eine bloße Parteimitgliedschaft angesichts von Zicks Verdiensten für sich zu behalten. Die HAZ setzt noch eins drauf. Die Aufmachung auf Seite 1 mit Bild und die ganzseitige Darstellung im Hannover-Teil machen Herrn Zick gegen Ende seines verdienten Lebens zum Objekt eines Sensationsjournalismus, der Fußnoten in einem Lebensweg aufwertet und sich besserwisserisch überhebt. Das hat Rolf Zick nicht verdient. Michael Wiedemann, Hannover Leser Hilmar von Poser aus der Wedemark: Großes publizistisches Werk: Rolf Zick ist ein völlig unabhängiger Journalist. Sein großes publizistisches Werk hat ihn weit über die Grenzen Niedersachsens bekannt gemacht. Er ist zu Recht mit höchsten Orden ausgezeichnet worden und hat weitere Ehrungen verdient. Dr. Hilmar von Poser, Wedemark Leser Peter Wannemacher aus Barsinghausen: Mitgliedschaft ist rechtlich fraglich: Nach Ihrem Bericht soll der hoch angesehene Rolf Zick im Alter von 18 Jahren in die NSDAP eingetreten sein, er selbst erinnere sich nicht daran, einen Aufnahmeantrag gestellt zu haben. Die Mitgliedschaft in einer Partei, einem Verein und in vielen anderen Organisationen ist auch mit Pflichten verbunden, mindestens der, Mitgliedsbeiträge zu entrichten. Daher kann ein Minderjähriger nur mit Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters aufgenommen werden. Von einer solchen Zustimmung ist im Fall des damals noch nicht volljährigen Rolf Zick nichts bekannt. Deshalb dürfte allein schon aus rechtlichen Gründen eine Mitgliedschaft in der Partei nicht zustande gekommen sein, auch wenn die NSDAP aus Eigeninteresse etwas anderes dokumentiert hat. Ferner kritisiert der Historiker, dass Zick in dem Buch über seine Kriegserlebnisse nicht reflektiere, dass bei Abschüssen feindlicher Flugzeuge Menschen umkamen. Auf Seite 154 liest sich bei Rolf Zick der Abschuss eines russischen Panzers so: „Das Geschoss fliegt und trifft! Die Explosion riß zwischen Turm und Unterteil des T34 ein riesiges Loch. Es brannte und qualmte schrecklich. Für die Besatzung gab es keine Rettung. Wie grausam ist der Krieg.“ Keine Reflexion? Peter Wannemacher, Barsinghausen Leser Hans Reinhard Rapp aus Hermannsburg: Nichts gewusst? Nicht vorstellbar: Als 94-jähriger Zeitzeuge der NS-Episode kann ich mir nicht vorstellen, dass es eine Mitgliedschaft in der NSDAP gab, von der das Mitglied nichts wusste. Immerhin bekam der neu gewonnene Parteigenosse doch eine Urkunde und den „Bonbon“, das runde Parteiabzeichen mit dem großen Hakenkreuz in der Mitte. Es gab jedoch eine Sammelmitgliedschaft, wie ich sie im Frühsommer 1944 als Abi-Schüler in Celle erlebte. Es erschien in unserer Klasse ein Parteifunktionär, der an uns Eintrittsformulare verteilte. Er forderte uns auf, die Formulare auszufüllen, zu unterschreiben und abzuliefern. Nun wollte ich in Vorausahnung des sieglosen Kriegsendes auf keinen Fall „Parteibonze“ werden. Aber ich hatte den Zettel ja schon abgegeben. Da wagte ich den Versuch, mir unter einem Vorwand das Formular noch einmal aushändigen zu lassen. Der Versuch gelang, und ich sorgte dafür, dass mein Antrag nicht im Parteibüro, sondern in der Aller landete. Nach dem Krieg war ich froh, im alliierten Fragebogen an entsprechender Stelle einen Strich machen zu können. Hans Reinhard Rapp, Hermannsburg Leserin Ingrid Dietsch aus Hannover: Völlig uninformierte Gesellschaft damals: Ende Juni 2011 hatte ich eine längere Unterhaltung mit Herrn Zick für meine Zeitzeugensammlung „Gespräche vom Kriege“. Der für mich bemerkenswerteste Satz in diesem Interview lautete: „Das kann sich heute niemand mehr vorstellen, was für eine völlig uninformierte Gesellschaft wir waren!“ Wer Zicks Erinnerungen von 1994 liest, kann seiner Selbsteinschätzung beipflichten. Als junger, unbedarfter, sportbegeisterter 18-jährigerAbiturient hatte er den Wunsch, Flieger zu werden. Eine Möglichkeit dafür könnte der Rat eines „wohlmeinenden“ Vorgesetzten gewesen sein, ein Parteieintrittsformular zu unterschreiben. Konnte ein Jugendlicher die Tragweite eines Parteieintritts damals bewerten? Ich bin der Meinung, dass unsere nach 1945 geborenen Kinder – selbst als Historiker – sich in manche Situationen der Nazi-Zeit trotz aller Akribie beim Nachforschen der Umstände nicht genug einfühlen können. Vergessen wird in diesem Fall etwa das familiäre Umfeld von Rolf Zick: der Vater, ein gestandener SPD-Mann, verdienter Bürgervorstand und angesehener Lehrer, der 1933 aus dem Amt gejagt wird und der der Familie gegenüber schweigt und das ihm geschehene Unrecht bis zu seinem Tode mit sich selbst ausmacht; eine behinderte Schwester, – verschwiegenes – Opfer der Euthanasie; ein Bruder gefallen. Einem Abiturienten, der nach einer unüberlegten Unterschrift Krieg und Kriegsgefangenschaft in voller Härte zu spüren bekam, der nie in eine Situation geraten war, einem anderen Schaden zufügen zu müssen, dem soll für ein anschließendes verdienstvolles Leben eine gebührende Anerkennung verweigert werden? Es wurde während der Nazi-Zeit in vielen Familien wenig miteinander gesprochen. Ich selbst war bei Kriegsende siebeneinhalb Jahre alt, konnte vieles, was ich nebenbei sah, gar nicht einordnen. Doch ich werde die beklemmende Stimmung nicht vergessen, die in der Luft lag, wenn zum Beispiel die vertrauten und vermeintlich starken Erwachsenen sich in bestimmten Situationen plötzlich anders verhielten, anders als sonst sprachen. Seien wir dankbar dafür, dass wir und unsere Kinder 75 Jahre danach in einer Atmosphäre ohne Beklemmung leben dürfen! Ingrid Dietsch, Hannover Veröffentlichungen in dieser Rubrik sind keine redaktionelle Meinungsäußerung. Wir behalten uns vor, Leserbriefe zu kürzen. Bei allen Einsendungen bitten wir um Angabe der vollständigen Absenderadresse. Wollen auch Sie uns Ihre Meinung mitteilen? Dann schreiben Sie uns auf diesem Weg. Leser Detlev Schwinges aus Hannover: Was sage ich meiner polnischen Ehefrau? Beim Interview mit der HAZ stellt Rolf Zick für sich fest: „Ich war kein fanatischer Nazi.“ Wäre es nicht zutreffender gewesen, wenn er gesagt hätte: „Ich war Nazi, daran kann ich mich erinnern.“ Was machen Millionen von den Nazis ermordete Menschen, diese können sich auch nicht erinnern, denn sie sind tot. Getötet von Mitgliedern der NSDAP und deren Helfern. Was sage ich meiner polnischen Ehefrau, deren Großmutter in Auschwitz-Birkenau als Widerstandskämpferin zusammen mit ihrer Schwester ermordet wurde? „Die Täter waren keine fanatischen Nazis, sie hatten nur ihre Menschlichkeit vergessen.“ Detlev Schwinges, Hannover Von HAZ