Hannover: Bismarckbahnhof wird zum jüdischen Chabad-Zentrum

Noch prangt das Schild des Hofbräu-Wirtshauses, das hier bis vor zwei Jahren war, über dem Portal des Bismarckbahnhofs. Doch das soll sich bald ändern. „Wir hoffen, dass wir schon in den kommenden Monaten hier einziehen können“, sagt Shterna Wolff. Die 42-Jährige ist Vorsitzende der jüdischen Gemeinschaft Chabad Niedersachsen. Diese hat den Bismarckbahnhof in der Südstadt jetzt gekauft. Sie will in dem historischen Gebäude eine religiöse Bildungs- und Begegnungsstätte einrichten, mit Gebetsraum und Räumlichkeiten für Kinder- und Jugendgruppen. „Dies soll ein Ort der Toleranz und des Miteinanders werden, der Menschen jeder Religion offensteht“, sagt der Berliner Rabbiner Yehuda Teichtal, der das Projekt unterstützt. „Wir wollen Berührungsängste überwinden.“ Türkisches Restaurant bleibt: Größere Renovierungen seien nicht nötig, sagt Shterna Wolff: „Es geht eher um kosmetische Umbauten.“ Das 1911 errichtete Gebäude sei erst vor vier Jahren gründlich saniert worden. Das türkische Restaurant Kale soll als Mieter auch künftig im Südflügel des Bismarckbahnhofs bleiben. Zur Kaufsumme, die sie an den privaten Vorbesitzer bezahlt hat, äußert sie sich nicht. „Der Kauf ist durch Spenden und mit einem Darlehen möglich geworden“, sagt sie. Das Zentrum soll Haus Benjamin heißen, in Erinnerung an ihren Mann Benjamin Wolff. Der Rabbiner war im April im Alter von nur 43 Jahren verstorben. Der Tod des Vaters von acht Kindern hatte viele Menschen erschüttert und unter anderem bei Onlinespendenaktionen eine Welle der Solidarität ausgelöst. „Etwa 16.000 Menschen aus aller Welt haben uns nach seinem Tod finanziell oder moralisch unterstützt“, sagt Shterna Wolff. „Das gibt mir Kraft, unsere Arbeit fortzuführen. Ein eigenes, festes Gebäude zu haben war immer Benjamins Traum.“ Umzug aus Kleefeld geplant: Das Ehepaar war 2005 aus Israel nach Hannover gekommen. Es gehört der streng religiösen orthodoxen Bewegung Chabad an, die im 18. Jahrhundert im Dort Lubawitsch bei Smolensk entstand. Heute hat sie ihr Zentrum in New York, ist aber weltweit aktiv. Mit seiner Frau baute der beliebte Rabbiner in Kleefeld ein Chabad-Zentrum auf. Seine Mission sah er darin, den oft aus der Sowjetunion stammenden Juden in Hannover, die teils nur noch wenig von ihren kulturellen Wurzeln wissen, die jüdischen Traditionen wieder nahezubringen. Zugleich machte er jüdisches Leben öffentlich sichtbar, etwa mit groß angelegten Feiern des Lichterfestes Chanukka auf dem Opernplatz im Dezember. „Eine mutige Entscheidung“: Neben dem Chabad-Zentrum gibt es in Hannover noch die große Jüdische Gemeinde an der Haeckelstraße, die Liberale Jüdische Gemeinde in Leinhausen und die Synagoge der sogenannten bucharischen Juden in Ricklingen, die meist aus Zentralasien stammen. Dass Shterna Wolff nach dem Tod ihres Mannes in Hannover blieb, sei eine mutige Entscheidung gewesen, sagt Rabbiner Teichtal: „Sie glaubt fest an die Zukunft jüdischen Lebens in Deutschland.“ Für eine Übergangszeit unterstützt derzeit der 63-jährige Rabbiner Eliyahu Naymark aus Israel die Chabad-Gemeinschaft in Hannover. Im kommenden Jahr soll Shterna Wolffs Schwiegersohn neuer Rabbiner hier werden: Der in der Ukraine geborene Levi Gottlieb ist 24 Jahre alt und lebt mit seiner Frau Mussia derzeit noch in Israel. Das Haus Benjamin soll seine künftige Wirkungsstätte werden. „Dann wird in Hannover nicht nur das Grab meines verstorbenen Mannes sein“, sagt Shterna Wolff, „dann wird seine Arbeit hier auch so fortgeführt, wie er es sich gewünscht hat.“ Das Lichterfest Chanukka wird in diesem Jahr am 10. Dezember um 17 Uhr auf dem Opernplatz gefeiert. Coronabedingt steht noch nicht fest, ob Publikum dabei sein kann. Es ist aber geplant, die Feier im Internet zu übertragen. Der Bismarckbahnhof ist heute ein Haltepunkt der S-Bahn. Das 1911 errichtete Empfangsgebäude ist als Baudenkmal geschützt. In den vergangenen Jahren sind dort mehrere Gastrokonzepte gescheitert: Die Stadt beendete 2011 die Nutzung der historischen Halle als Partylocation unter anderem wegen fehlender Konzessionen und Beschwerden von Nachbarn. Danach gab es dort ein Steaks-and-more-Restaurant, und 2018 wurde dort nach nur zwei Jahren das bayerische Hofbräu-Wirtshaus wieder geschlossen. Lesen Sie auch: In Deutschland erblüht das jüdische Leben wieder neu. Doch auch 75 Jahre nach der Reichspogromnacht gibt es immer noch Ressentiments. Von Simon Benne