Hannover-Glosse Lüttje Lage: 1,5 PS von Andreas Schinkel

Wir haben einen neuen Haushaltshelfer. Eigentlich ist das Ding auf unserer Küchenarbeitsplatte nur ein schnöder Mixer mit Retrocharme, doch die Maschine stellt den Haushalt auf den Kopf. Denn hinter der cremefarbenen Fassade schlummert eine Bestie, die auf Knopfdruck erwacht. Mit sage und schreibe 1,5 PS zerhäckseln zwei rotierende Messer alles, was sich im Glaszylinder befindet. Eisblöcke werden zu Pulverschnee, Steine zu Kies, feste Nahrung wird in flüssige verwandelt. Meine Tochter bedient das Gerät nur mit Ohrenstöpseln, auch mir ist die Maschine unheimlich. Die pure Zerstörung tarnt sich hinter schickem Design. Ein schwarzes Loch in unserer Küche: Doch meine Frau hat eine alchemistische Freude an dem Gerät gefunden. Es ist ein bisschen wie Zauberei: Was vorher groß, rund und fest gewesen ist, wird innerhalb von Sekunden zu Matsch. Wandel von Materie mit einem einzigen Knopfdruck. Womöglich sind mit ein paar PS mehr Veränderungen möglich, die die Grenzen unserer Vorstellungskraft sprengen. Materie verdichtet sich, implodiert und mitten in unserer Küche entsteht ein kleines Schwarzes Loch. Aber ich schweife ab. Lesen Sie auch: Mehr Lüttje-Lage-Glossen unserer Autoren Klar ist, dass unsere Familie nur noch flüssige Nahrung zu sich nimmt. Früher haben wir Spinat gedünstet, Karotten gekocht und einen Gemüseeintopf zubereitet. Danach Äpfel, Birnen und Bananen für einen Obstsalat geschnippelt. Jetzt kommt alles gleichzeitig in den Häcksler und wird zu einem grünlichen Schleim püriert, den wir uns portionsweise über den Tag verteilt einflößen. Das ist nicht nur praktisch, sondern bereitet mich auch auf die gängige Art der Nahrungsaufnahme vor, wenn ich 30 Jahre älter bin. Die größte Überraschung aber ist: Der Schleim schmeckt. Von Andreas Schinkel