Hannover: Marktkirche darf Fenster von Lüpertz einbauen

Seit den Nanas wurde in Hannover über kein Kunstwerk mehr so kontrovers diskutiert; die Debatte polarisierte die Stadtgesellschaft. Jetzt hat das Landgericht Hannover im Streit um das Buntglasfenster des Künstlers Markus Lüpertz, das Altkanzler Gerhard Schröder der Marktkirche schenken will, eine Entscheidung verkündet. Die Gemeinde darf das rund 13 Meter hohe Fenster an der Südseite des Kirchenschiffs installieren. Der Stiefsohn des Nachkriegsarchitekten Dieter Oesterlen, Georg Bissen, hatte gegen den Einbau des sogenannten Reformationsfensters, das neben einer stilisierten Luther-Figur auch fünf dicke Fliegen zeigt, geklagt. Der in Tokio lebende Rechtsanwalt beharrt darauf, dass das rund 150.000 Euro teure Buntglasfenster die Konzeption des Kirchenraums zerstöre, den sein Stiefvater beim Wiederaufbau nach dem Krieg bewusst schlicht gehalten habe. Die 18. Zivilkammer, die auf Urheberrechtsfragen spezialisiert ist, musste entscheiden, inwieweit das sogenannte Reformationsfenster das Urheberrecht Oesterlens berührt. „Wir haben uns nicht leichtgetan mit dieser Sache“, sagte Richter Florian Wildhagen bei der Begründung des rund 40-seitigen Urteils. Die Marktkirche sei ein geschütztes Werk der Baukunst, und der Einbau des Fensters verändere auch die Gesamtwirkung des Innenraums. „Wir gehen aber nicht davon aus, dass die bisherige Gestaltung völlig zerstört wird“, sagte er. Richter beruft sich auf Religionsfreiheit: Zur Begründung führte der Richter das kirchliche Selbstbestimmungsrecht und die im Grundgesetz garantierte Glaubensfreiheit ins Feld. Die Gestaltung von Kirchen sei als Akt der Religionsfreiheit anzusehen. „Bilder sind besonders geeignet zur Vermittlung von Inhalten“, sagte Wildhagen, „die Ästhetik des Raumes soll die Ästhetik des Glaubens befördern.“ Die Kirche habe ein legitimes Interesse daran, Menschen in die Kirchen zu locken: „Nur so kann sie letztlich das Ziel erreichen, Menschen anzusprechen und ihre religiösen Lehren zu verbreiten.“ „Wir sind froh und erleichtert“, sagte Marktkirchen-Pastorin Hanna Kreisel-Liebermann. „Die Urteilsbegründung wird wegweisend für Auseinandersetzungen in vergleichbaren Fällen sein“, sagte auch Reinhard Scheibe, Vorsitzender des Kirchenvorstands. Das Fenster solle eine neue Sicht auf Luther und die Reformation eröffnen. „Es symbolisiert auch das Ringen Luthers mit dem Bösen“, sagte Stadtsuperintendent Rainer Müller-Brandes. „Es wäre nicht gut, wenn Kirchen ihr Gesicht über Jahrzehnte nicht verändern dürften.“ Schon im Frühjahr hatte die Glasmanufaktur Derix im hessischen Taunusstein („Päpstliche Hofglasmalerei seit 1908“) damit begonnen, Glasflächen für das Fenster zuzuschneiden. Im Vertrauen auf einen Erfolg vor Gericht hatte die Gemeinde den Auftrag für die Produktion schon einmal erteilt. Droht eine weitere Runde? Mittlerweile sei die Herstellung zu mehr als 50 Prozent abgeschlossen und von Lüpertz bereits abgenommen worden, sagte Scheibe. „Wir hoffen, dass der Einbau im Frühsommer beginnen kann.“ Allerdings will die Gemeinde das Fenster erst installieren, wenn das gerichtliche Tauziehen endgültig abgeschlossen ist. Bissen hat jetzt die Möglichkeit, binnen eines Monats Berufung einzulegen, dann ginge der Streit vor dem Oberlandesgericht Celle in die nächste Runde. Danach wäre noch eine Revision vor dem Bundesgerichtshof denkbar. Er wolle das Urteil jetzt prüfen und voraussichtlich Anfang Januar über das weitere Vorgehen entscheiden, teilte Bissen mit. Die juristische Auseinandersetzung könnte sich noch über Jahre hinziehen. Lesen Sie auch Kommentar zum Kirchenfenster: Orte des Wandels Von Simon Benne