Hannover: So lief die Silvesternacht 2020/21

Es war ein gedämpfter Jahreswechsel. Kaum Raketen am Nachthimmel über Hannover, begleitet von deutlich weniger Knallerei als in den Vorjahren. Auf den Straßen kontrollierte ein massives Polizeiaufgebot die 50 Böllerverbotszonen der Stadt. Wo es aber erlaubt war, verschossen die Menschen Feuerwerksreste aus dem Vorjahr – und hörbar auch etliche illegale Knallkörper, die in den vergangenen Tagen zu Höchstpreisen unter der Hand verkauft wurden. Ruhige Silvesternacht 2020 in Hannover: Einer der ersten, der zum neuen Jahr eine Rakete in den Himmel schoss, war der Nordstädter Tarek Kien. „Sie ist schon drei Jahre alt – und ich hatte sie unverpackt gelagert“, sagte er skeptisch, bevor er um Punkt Mitternacht Feuer an die Lunte legte. Dann zischte es – und ein farbiger Funkenregen ergoss sich in den Himmel über der Stadt. Wenige Sekunden darauf folgten weitere Raketen. Vereinzelt nur, ganz anders als in den Jahren zuvor. Aber immerhin: Das neue Jahr wurde traditionsgemäß begrüßt. Die Familie von Katrin Szuggar und Ralf Bergmann hatte sogar ein ganzes Bündel Silvesterraketen über das Jahr gerettet – und Knallerbsen, Bodenfeuerwerk sowie Wunderkerzen noch dazu. In der Straße im Moore waren sie damit der Blickfang für die gesamte Nachbarschaft. Immer wieder durften die Kinder Raketen steigen lassen, und irgendwie erfreuten sich an an dem Stückchen Normalität. Aus Fenstern wurde sich gegenseitig zugeprostet. Nur das sonst so typische In-die-Arme-fallen zum Neujahresstart sah man deutlich seltener in dieser Nacht. Diskussion um Böllerverbote: Mit der Böllerei ist es ja so eine Sache. Immer mehr Menschen sind genervt von dem Krach und Dreck, der Umweltverschmutzung und dem sinnlosen Geldverplempern. Aber, wie Familienvater Dennis Meyer am frühen Abend in der Südstadt sagte: „Wenn so gar nichts los sein wird um Mitternacht, dann ist das schon schade.“ Mit zwei befreundeten Familien hatte er auf einem Spielplatz den Silvesterabend vorgefeiert. Die kleinen Kinder schwenkten leuchtende Luftballons in die Nacht – auch eine schöne Alternative zur lauten Feierei. Illegale Böller gab es kistenweise: Insgesamt hat Hannover die ruhigste Silvesternacht seit Jahrzehnten erlebt. Nachmittags hatte die Polizei Jugendliche mit illegalen, sogenannten Polenböllern in Langenhagen erwischt, es gab Anzeigen. Ab etwa 22 Uhr waren vermehrt die Kanonenschläge der lauten Kracher in der Stadt zu hören. Weil legales Feuerwerk in diesem Jahr nicht zu kaufen war, wird es sich bei den lautstarken Detonationen überwiegend um verbotene Böller gehandelt haben. Jugendliche berichteten der HAZ: „Die waren in den letzten Tagen überall in Kisten zu kaufen, aber die Preise haben stark angezogen.“ Polizei muss kaum einschreiten: Am Nordufer des Maschsees, wo sich sonst hunderte Feiernde versammeln und Böller und Raketen zünden, kamen in diesem Jahr nur gut 100 Menschen zusammen. Die Polizei war vor Ort, um die Einhaltung der geltenden Corona-Bestimmungen zu kontrollieren. Die Behörde ließ das Geschehen am Maschsee und in der Innenstadt auch von einem Polizeihubschrauber aus überwachen. Vom Nordufer aus war zu beobachten, dass in der Südstadt und im Bereich Linden das Jahr 2021 mit viel Feuerwerk begrüßt wurde. „Ich bin überrascht, dass doch so viel geknallt wird“, sagt Sven, der mit seiner Freundin zum Maschsee gekommen war. Auf der Ihmebrücke in Linden musste die Polizei zwischenzeitlich Ermahnungen aussprechen, weil es zu viel Gedränge gab, als Enercity seine fünfminütige Lasershow an den Heizkraftwerkstürmen zeigte. An vielen anderen Plätzen der Stadt bot sich ein ungewohntes Bild. Am Kröpcke, am Ernst-August-Platz, am Weißekreuzplatz und am Lister Platz hielten sich, anders als sonst zu Silvester, nur vereinzelt Menschen auf. „Eigentlich könnte das gerne jedes Jahr so sein, dann wäre alles viel entspannter“, sagt Michaela, die den Jahreswechsel mit einer Freundin auf der Lister Meile begangen hatte. Wie viele Einsätze die Polizei in der Silvesternacht bearbeiten musste, steht bislang nicht fest. Eine vollständige Bilanz des Einsatzgeschehens will die Behörde im Verlauf des Neujahrestags veröffentlichen. Ein Phänomen aber war diesmal kaum zu beobachten: Normalerweise sind viele Einsatzfahrzeuge auch von Feuerwehr und Rettungsdiensten unmittelbar ab Mitternacht unterwegs, weil Verletzte versorgt und Kleinbrände gelöscht werden müssen. Davon war in der Kernstadt so gut wie nichts zu hören. Viele Menschen hatten sich in kleinem Kreis privat getroffen, Raclette oder Fondue gegessen, Spiele gespielt. Vor allem in der Nordstadt und Linden waren vereinzelt auch etwas lautere Partys in Privatwohnungen zu beobachten. Wie unterschiedlich der Jahreswechsel gefeiert wurde, zeigte sich sehr illustrativ in der Nordstadt. In der Lutherkirche feierte die Gemeinde eine stimmungsvolle Mitternachtsandacht mit etwas mehr als einem Dutzend Besucher. Jugendliche sangen das Weihnachtslied Oh du fröhliche, Pastor Matthias Grießhammer predigte: „Wir blicken zurück auf die besonders guten Tage, auf die besonders schlechten Tage – aber auch auf die vielen normalen Tage des abgelaufenen Jahres.“ Es war eine ruhige, sehr stille Nachtandacht. Keine 80 Meter entfernt aber wurde das neue Jahr mit einer ausgelassenen Feier begrüßt: Eine bulgarische Familie tanzte zu lauter Musik, Köstlichkeiten waren im winzigen Wohnzimmer angerichtet. „Wir sind alles Familienmitglieder“, beschwor der Sohn des Gastgebers, als die HAZ an die Tür klopfte. Zwei Kulturen. Ein Land. Ein Jahreswechsel in der Krise, die von jedem anders bewältigt wird. Die Stadt sieht für einen Neujahrstag ungewohnt sauber aus. Wo sich sonst nach der Silvesternacht am Straßenrand Berge von Böllerresten türmten, Sektflaschen und Plastikverpackungen herumflogen, herrscht jetzt überwiegend Leere. Sonderteams von Aha sind im Einsatz, um die zentralen Straßen und Plätze zu reinigen. Sie haben aber deutlich weniger zu tun. Von Conrad von Meding und Tobias Morchner