Hannover: Warum die Expo vor 20 Jahren ein Gewinn war

Das Schönste an Hannover, soll Birgit Breuel mal gesagt haben, sei die Autobahnauffahrt Richtung Hamburg. Falls dieser Satz wirklich von ihr stammt, so hat sie selbst dazu beigetragen, dass sie dergleichen inzwischen nicht mehr behaupten kann. Und es war nicht die Tätigkeit der Hamburger Bankierstochter als CDU-Wirtschafts- und Finanzministerin des Landes Niedersachsen, die das bewirkt hat. Es war Birgit Breuels Job als Chefin der Weltausstellung Expo 2000 vor 20 Jahren. Der Ursprung der Idee mit der Expo war profan: Die hannoversche Messe AG suchte Ende der Achtziger nach Möglichkeiten, mit überschaubaren Eigeninvestitionen an eine modernere Infrastruktur zu kommen. Da war Birgit Breuel schon beteiligt, als Aufsichtsratschefin der Messe. Man überlegte, welche Fördertöpfe angebohrt werden könnten, und verfiel auf die Weltausstellungen. So nahmen die Dinge ihren Lauf. In der Rückschau darf man sagen, dass sie einen guten Lauf nahmen. Nicht nur die Messe, die ganze Stadt und die Region Hannover haben profitiert und profitieren bis heute. Und wenn man sich in diesen Tagen umhört, wie die Expo nach 20 Jahren beurteilt wird, gibt es weit überwiegend nur zwei Antworten. Die eine: „War toll!“ Die andere: „Blöd, dass ich nicht da war!“ Was nicht davon ablenken soll, dass der Weg dorthin gespickt war mit Fehlern, falschen Versprechungen, politischen (freundlich ausgedrückt) Flunkereien und Peinlichkeiten. Angst vor den Bürgern: „Das Grundübel“, sagt jemand, der sich damals im Zentrum der Macht im Rathaus befunden hat, „war, dass es in Hannover keinen gemeinsamen Willen gab, das Projekt durchzuziehen.“ Die SPD und die CDU und die Wirtschaft in Stadt und Land wollten die Expo, die Grünen und ihre Anhänger wollten sie nicht. Da sie aber im Rathaus wie im Landtag als Mehrheitsbeschaffer notwendig waren, musste man auf sie hören. So kam es zur Bürgerbefragung, die pro Weltausstellung ausging, was aber die Bedenkenträger nicht verstummen ließ. „In Hannover streitet man sich auch über Dinge, die gut laufen“, befindet der Rathaus-Insider. „Das Grundübel“, sagt jemand, der sich damals im Zentrum der Expo-Gesellschaft befunden hat, „war, dass die Politik Angst vor den Bürgern hatte. Die Politiker wollten die Expo, aber sie durfte nichts kosten. Alle wollten nur profitieren.“ So kam es, dass die Expo-GmbH in mehrere Fallen tappte. Die erste und größte war die 40-Millionen-Besucher-Prognose. Sie entstand aus dem „Bergerschen Dreisatz“, wie der damalige Expo-Sprecher Michael Sasse erzählt: Die Unternehmensberatung Roland Berger hatte den Finanzbedarf (3,5 Milliarden D-Mark) genommen und Zuschüsse und Sponsoreneinnahmen gegengerechnet und war damit auf einen notwendigen Kartenverkaufserlös von 1,8 Milliarden D-Mark gekommen. Daraus entstand die Zahl von 40 Millionen Besuchern. Aber niemand hatte ernsthaft überprüft, ob so viele Menschen auch zur Expo kommen wollten. Die „schwarze Null“: Sprich: Alle Verantwortlichen wussten vorher, dass es zu einem deutlichen Defizit kommen würde. Dennoch redeten sie, um die Bevölkerung nicht zu verschrecken, von dem Ziel der „schwarzen Null“. Uncharmante Kritiker wandten den Begriff später auf Birgit Breuel persönlich an. Der „Spiegel“ urteilte: „Schreckliche Blamage.“ Die „taz“ schrieb von einem „bombastischen Lügenprojekt“. Fehler Nummer zwei: zu wenig Rückhalt in der überregionalen Politik. Weltausstellungen sind eigentlich eine Staatsangelegenheit. Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) nannte die Expo nach außen „eine nationale Aufgabe ersten Ranges“, sprach intern aber abfällig von „einem Konjunkturprogramm für die norddeutsche Tiefebene“. Eine Mehrwertsteuerbefreiung, wie sie etwa für Sportereignisse möglich ist, wurde der Expo nicht eingeräumt. Gerhard Schröder (SPD), eine Woche nach dem Expo-Zuschlag für Hannover zum Ministerpräsidenten einer rot-grünen Koalition in Niedersachsen gewählt, bezeichnete die Expo als „Chance“. Aber er habe, erinnert sich der Soziologe Gerd Weiberg, der in der Staatskanzlei für die Weltausstellung zuständig war, das Projekt auch deswegen unterstützt, weil er seine Koalition von dem Image befreien wollte, immer nur zu wissen, wogegen sie sei. Alle dachten an sich selbst: Weiberg, der in der Nordstadt lebte, musste sich in der linken Szene viele Bosheiten anhören; einmal wurde er von drei Vermummten zu Hause überfallen, die Wohnung wurde mit Öl und stinkender Buttersäure eingesaut, und Weibergs Portemonnaie haben die vermeintlichen Weltverbesserer auch mitgehen lassen. Fehler Nummer drei war das Klein-Klein der Profiteure. Im Expo-Aufsichtsrat unter dem Vorsitz des früheren Mercedes-Chefs Helmut Werner saßen Vertreter von Bund, Land, Stadt und Wirtschaft, und alle, berichtet jemand, der die Feinheiten mitbekommen hat, taktierten, was das Zeug hielt. Alle wollten eine Expo-Geschäftsführung, die den eigenen Interessen dienen sollte, der sie was vorschreiben konnten: Bund, Stadt und Land achteten auf den eigenen Nutzen, die Firmen suchten Werbemöglichkeiten. Deswegen wurde keine starke Persönlichkeit als Expo-Chef berufen, sondern zunächst der für den Job nur mäßig talentierte Mittelständler Konrad Heede, und, nach Heedes Scheitern, der Möbelfirmenchef Theodor Diener, für den die Schuhe auch zu groß waren. Danach erst übernahm Birgit Breuel selbst das Zepter. Breuel wurde Chefin: „Mama Breuel“, wie sie in der Expo-GmbH genannt wurde, war als Generalkommissarin eigentlich nur Botschafterin der Expo gewesen. Aber sie war offenbar die Einzige, die dem Chefposten gewachsen war. Denn sie ließ sich nicht instrumentalisieren. Als die Stadt maulte, irgendein Vorhaben widerspreche den Planverfahren, schnappte sie: „Hören Sie doch auf mit Ihrem Flächennutzungsplan!“ Als die Wirtschaft den Themenpark und seine Befassung beispielsweise mit der Zukunft der Arbeit oder den Grundbedürfnissen der Menschen infrage stellte, weil sie lieber eine Verkaufsausstellung gehabt hätte, bestand Breuel auf dem inhaltlichen Konzept unter dem damals schon ziemlich sozialen und ökologischen Motto „Mensch, Natur, Technik“. Blamiert hat sich die Stadt Hannover mit ihrer Idee, von der Expo-GmbH eine Abgabe in Höhe von 2,5 Millionen D-Mark zu fordern, weil die Expo-Besucher die Innenstadt verunreinigen könnten. Expo-Sprecher Sasse kommentierte, andere Orte erhöben eine Kurtaxe, Hannover eine Kehrtaxe. Die Republik lachte sich schlapp, der Gedanke war vom Tisch. Die Expo wiederum sah sich leider, leider nicht in der Lage, einem Vorschlag der Stadt zu folgen und für arme Länder aus Lateinamerika oder Afrika die Standgebühren zu senken. Doch als dann die Expo vor 20 Jahren, am 1. Juni 2000, eröffnet wurde, waren alle Debatten und Streitereien vom Tisch. Auch die Idee des seinerzeit seit einem halben Jahr amtierenden Ministerpräsidenten Sigmar Gabriel (SPD), das Niedersachsenross auf der Expo-Plaza aufzustellen, konnte noch rechtzeitig vorher abgebogen werden. 20 Stunden „Faust“: Nein, es kamen keine 40 Millionen Besucher, es waren – bloß? – 18 Millionen. Aber sie feierten und sie lernten, und sie taten es gern. Sie bestaunten Länderpavillons und Stände von 155 Nationen, kosteten fremde Speisen, sie besuchten mehr als 15.000 Konzerte, Shows oder Theateraufführungen wie den kompletten, 20 Stunden dauernden „Faust“. Erst gab es noch Ärger wegen zu hoher Bratwurst- und Eintrittspreise, dann kreierte die Expo flugs das zuvor nicht vorgesehene Abendticket, und die Mundpropaganda, sagt Ex-Sprecher Sasse, tat ein Übriges. Ende Oktober, kurz vor Schluss, überlegte man sogar, ob die Weltausstellung verlängert werden könnte, aber das war nicht mehr drin. Und Hannover? Bekam zwar keine Kehrtaxe, aber eine Modernisierung der S-Bahn mit erstmaligem Anschluss des Flughafens, eine neue Stadtbahnlinie (die Linie 6 Richtung Messe/Ost), einen runderneuerten Hauptbahnhof und eine Pferdeturmkreuzung, über die der Entertainer Harald Schmidt lästerte, jetzt könne man ohne zu bremsen durch Hannover durchfahren. Auf dem Kronsberg ist, was sonst praktisch nie gelingt, ein funktionierender Stadtteil auf der grünen Wiese hochgezogen worden, und die Arena an der Expo-Plaza, die mal nach diesem, mal nach jenem Unternehmen benannt wird, gilt als eine der erfolgreichsten Deutschlands. Die Messe hat natürlich auch profitiert, mit etlichen Hallen in herausragender Architektur. Mehr Selbstbewusstsein: Nun gut, das mit dem tollen Wahrzeichen hat nicht geklappt. London hat einen Kristallpalast, Paris hat einen Eiffelturm. Hannover hat einen vor sich hin rottenden niederländischen Pavillon. Und im Gewerbegebiet Expo-Park treten sich die Nachnutzer auch nicht gerade auf die Füße. Aber man kann nicht alles haben. Das Defizit lag am Schluss bei 1,1 Milliarden D-Mark, getragen vom Steuerzahler. Hat sich das gelohnt? Für die Hannoveraner schon. Zumal man bei ihnen seit der Expo ein viel ausgeprägteres Selbstbewusstsein als zuvor beobachten kann. Früher, erzählt der ehemalige Oberbürgermeister und Expo-Mitinitiator Herbert Schmalstieg gern, hätten Hannoveraner im Ausland gesagt, sie kämen aus einer Gegend südlich von Hamburg. Wo liegt noch mal Hamburg? (Okay, das war jetzt ein Kalauer. Aber Hamburg-Vergleiche sind trotzdem passé. Egal, was Birgit Breuel heute sagen mag.) 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