Hannover: Wiedereintrittsstelle der Kirche zählt rund 5000 neue Mitglieder

Acht Minuten. So lange dauern die Formalitäten. Doch oft gehen diesen acht Minuten Jahre des Haderns, des Zweifelns und Suchens voran; ein langer und manchmal schleichender Prozess, bei dem die Entscheidung reift. Das ist beim Kircheneintritt wohl nicht anders als beim Kirchenaustritt. „Als es soweit war, wusste ich, dass es für mich ein einfaches Gespräch werden würde“, sagt Rolf Heinrich Troeder, „es ging letztlich nur noch um die Unterschrift“. Der 48-Jährige war als Kind getauft worden. Vor 15 Jahren trat der Architekt dann aus der Kirche aus, obwohl er sich selbst nach wie vor als Christ sah. „Ich war auf der Suche nach einer stärkeren Intensität des Glaubens, als sich sie damals in den Gottesdiensten erlebte“, sagt er. Über die Jahre kam es dann wieder zu einer Annäherung; die Beziehung zu Gott und seinem Bodenpersonal kann ein komplexes, intimes Geschehen sein. „Ich habe mich verändert, die Kirche hat sich auch verändert – jetzt passt es wieder“, sagt Troeder. Also ging er in die evangelische Wiedereintrittsstelle in der Buchhandlung an der Marktkirche und ließ sich wieder in die Kirche aufnehmen – binnen acht Minuten. „Ein Erfolgsmodell“: Seit genau 20 Jahren gibt es die Wiedereintrittsstelle. Am 31. Mai 2000, am Vorabend des Expo-Beginns, öffnete sie als erste Einrichtung ihrer Art in Hannovers Landeskirche ihre Pforten. „Sie hat sich als Erfolgsmodell erwiesen“, sagt Pastor Stephan Lackner, der die Stelle seit 2014 leitet. Rund 5000 Menschen sind hier seither wieder in die Kirche eingetreten, dazu kamen etwa 600 Erwachsenentaufen von Menschen, die noch nie Mitglied gewesen waren. Das Gros der Heimkehrer sei zwischen 25 und 50 Jahre alt, unter ihnen seien etwas mehr Frauen als Männer, sagt Lackner. Lange hatten die Kirchen in ihren Ex-Mitgliedern eher abtrünnige Schäfchen gesehen, die erst einmal demütig Buße tun und Zerknirschung zeigen sollten. Erst allmählich trat eine Willkommenskultur an die Stelle von Rechtfertigungsdruck und Gewissenszwang. „Bei mir muss niemand das Glaubensbekenntnis aufsagen“, sagt Pastor Lackner. Er bietet aber Glaubenskurse und offene Gespräche über Gott und die Welt an. Wer möchte, kann beim Wiedereintritt mit ihm auch eine Kerze in der Marktkirche anzünden, mit Gebet und Segen. „Wie freuen uns über jeden, der wiederkommt“, sagt auch die Seelsorgerin Ulrike Langer von der katholischen Wiedereintrittsstelle im Kirchenladen Ka.punkt in der Grupenstraße. Oft seien die Menschen gar nicht im Groll gegangen: Manchmal habe sich einfach nach einem Umzug keine Gemeinde um sie gekümmert. „Es ist uns wichtig zu wissen, warum sie ausgetreten sind, damit die Kirche etwas lernen kann“, sagt Langer. In der Marktkirchenbuchhandlung hat Pastor Lackner seine Wiedereintrittsstelle in einer kleinen Nische zwischen Bibeln und Büchertischen. Natürlich weiß er, dass einige nur wieder eintreten wollen, weil der kirchliche Arbeitgeber das verlangt oder weil das nötig ist, damit sie Taufpaten werden können. „Aber viele sind ja gar nicht aus Glaubensgründen ausgetreten, sondern um Kirchensteuer zu sparen – und einige sehen dann irgendwann auch, das ihnen etwas fehlt, das ihnen gut tut“, sagt er. „In der Krise bietet Glaube Halt“: Manche singen im Chor oder gehen Weihnachten in die Kirche – und unmerklich keimt bei ihnen dann der Wunsch, wieder dazuzugehören. Andere entdeckten den Glauben durch Krankheiten oder Krisen neu, sagt Lackner. Obwohl die Eintrittsstelle geschlossen war, hat er in den vergangenen Wochen 15 Menschen in die Kirche aufgenommen – nach Telefongesprächen und per Onlineformular. „In der Corona-Krise kann der Glaube Halt bieten – viele sehnen sich danach, Gott an ihrer Seite zu haben“, sagt er. Wer wieder eintritt, schwimmt längst gegen den Strom. Glaubt man den Prognosen, verlieren die großen Kirchen in Deutschland bis 2060 die Hälfte ihrer Mitglieder. Allein in der Landeskirche Hannovers soll ihre Zahl von 2,6 auf 1,2 Millionen sinken. Über Generationen war die Kirchenmitgliedschaft so etwas wie eine Gewohnheit. Heute ist sie das Resultat einer bewussten Entscheidung. Die Volkskirchen alten Schlages erodieren, sie verwandeln sich in kleinere Bekenntnisgemeinschaften. „Das Kirchenleben ist damit intensiver geworden – im Gottesdienst sitzen heute Menschen, die sich bewusst mit dem Glauben auseinandersetzen“, sagt Rolf Heinrich Troeder. Viele, die der Kirche den Rücken kehren, bezeichnen sich weiterhin als gläubig. Er habe aber die Erfahrung gemacht, dass es sich in Gemeinschaft mit anderen besser bete als allein, sagt der 48-Jährige: „Ich gehe dann gestärkt in die Woche.“ So geht es auch Marina Heidel. Sie wurde mit 14 konfirmiert – und hatte danach im Alltag mit der Kirche nur noch wenig zu tun. „Als ich ausgetreten bin, habe ich mir gar nicht mehr viel dabei gedacht“, sagt sie. Das taten schließlich viele in ihrem Umfeld. Sie beschäftigte sich mit anderen Religionen und fühlte sich dennoch in Kirchen immer besonders wohl. Nach einem familiären Umbruch ging sie vor einigen Monaten in die Wiedereintrittsstelle. „Ich wollte für mich ein Zeichen setzen“, sagt sie. Sie nahm an einem Glaubenskurs teil und wurde mit einer Tauferinnerungsfeier wieder in die Kirche aufgenommen. „Es war gut, dass ich nicht nur einen Zettel unterschrieben habe“, sagt sie. Manchmal reichen acht Minuten eben doch nicht aus. Heute geht sie wieder regelmäßig in die Kirche. „Im Gottesdienst bekommt der Glaube eine andere Qualität“, sagt sie. Sie genießt den gemeinsamen Gesang und den Austausch mit anderen Kirchgängern. „Wenn man das nicht hat“, sagt sie, „geht schnell etwas verloren.“ Die evangelische Wiedereintrittsstelle an der Marktkirche ist nach Pfingsten montags bis freitags von 15 bis 19 Uhr besetzt und telefonisch unter (0511) 3536836 erreichbar. Die im katholischen Ka.Punkt ist unter Telefon (0511) 27073943 erreichbar. Pfingsten gilt als „Geburtstag der Kirche“: Christen erinnern sich daran, wie die Jünger vom Heiligen Geist erfüllt wurden und eine neue Gemeinschaft bildeten. Wegen der Corona-Einschränkungen stehen bei Gottesdiensten in den Kirchen in diesem Jahr deutlich weniger Plätze zur Verfügung als sonst, in vielen Gemeinden ist eine vorherige Anmeldung im jeweiligen Gemeindebüro erforderlich. Besucher müssen Abstände einhalten und Masken tragen.Informationen zu evangelischen Gottesdiensten in Hannover gibt es unter www.kirche-hannover.de, zu katholischen Messen unter www.kath-kirche-hannover.de. 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