Helmpflicht für Radfahrer? So diskutieren HAZ-Leser das Thema

Fahrrad-Helmpflicht – nein danke? Der Präsident des Deutschen Verkehrsgerichtstags, Ansgar Staudinger, hat sich vorerst gegen eine solche Maßnahme ausgesprochen. Seine Sorge: Ein entsprechendes Gesetz könnte dem Trend zum Radfahren entgegenwirken. „Wir erlauben jedem, sich selbst zu gefährden.“ Dies ergebe sich aus der im Grundgesetz verankerten freien Entfaltung der Persönlichkeit. Es bräuchte triftige Gründe, damit der Staat da eingreifen dürfte, sagt Staudinger. Auch die HAZ-Leserschaft hat das Thema stark bewegt. So diskutieret sie eine mögliche Helmpflicht für Fahrradfahrer: Leserin Dr. Britta Constapel aus Hannover: „In Radverkehrssystem investieren“: Es ist davon die Rede, dass es jedem erlaubt ist, „sich selbst zu gefährden“. Es wird kein Wort darüber verloren, wer die Radfahrenden in Wirklichkeit gefährdet. In den wenigsten Fällen fallen Radfahrer einfach von allein vom Rad. Sie werden von unvorsichtigen Auto- oder Lastwagenfahrern angefahren und verletzt, unter anderem auch deshalb, weil die Radverkehrsinfrastruktur flächendeckend miserabel ist – oder auch schlicht und einfach nicht vorhanden. Wer den Radverkehrsanteil erhöhen will, sollte in ein sichereres Radverkehrssystem investieren anstatt in Infokampagnen und Werbeaktionen, die zum Tragen eines Helms anregen sollen. Sobald die Verhältnisse für Radfahrer sicherer sind, werden immer mehr Leute vom Auto aufs Rad umsteigen. Der Anteil des Radverkehrs nimmt dann von allein zu – und die Anzahl der Radverkehrstoten ab. Eine Debatte über eine Helmpflicht würde sich damit erübrigen. Dr. Britta Constapel, Hannover Veröffentlichungen in dieser Rubrik sind keine redaktionelle Meinungsäußerung. Wir behalten uns vor, Leserbriefe zu kürzen. Bei allen Einsendungen bitten wir um Angabe der vollständigen Absenderadresse. Wollen auch Sie uns Ihre Meinung mitteilen? Dann schreiben Sie uns auf diesem Weg. Leserin Cathrin Compte aus Isernhagen: „Kein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte“: Interessant, dass in diesen Zeiten eine Helmpflicht für Radfahrer schon als Eingriff in die freie Entfaltung der Persönlichkeit gesehen wird. Landen die Träger von Schirmmützen nach einem Radfahrunfall mit Kopfverletzungen etwa nicht auf der Intensivstation? Hier auf Einsicht zu hoffen, ist naiv. Mein Großvater fuhr bis zum Ende seines Lebens ohne Gurt Auto. Warum? Er konnte sich ja am Lenkrad abstützen. Eine Helmpflicht für Radfahrer oder Reiter wie eine Gurtpflicht für Autofahrer einzuführen, ist daher überfällig. Im Übrigen hat mich mal ein Reithelm vor wesentlich Schlimmerem bewahrt – da musste ich nach dem Sturz nur zum Optiker. Cathrin Compte, Isernhagen Leser Jan Krüger aus Hannover: „Alltagsradeln ist ungefährlich“: Immer wieder kommt diese untote Debatte zum Thema Fahrradhelm auf die Tagesordnung. Es ist erstaunlich, dass ein Professor der Rechtswissenschaften auf den Plan tritt, um den Unfallopfern die Schuld in die Schuhe zu schieben, anstatt die Verursacher zur Rechenschaft zu ziehen. Das sind – sieht man von Radler-Alleinunfällen ab – so gut wie immer Auto- und Lkw-Fahrer. Radverkehrssicherheit erhöht man durch sichere Infrastruktur und die Durchsetzung von Regeln. Überhöhte Geschwindigkeit ist nach wie vor Unfallursache Nummer eins, gefährdendes Falschparken nimmt Radfahrern und Fußgängern die Sicht, rote Ampeln haben für manche nur noch Empfehlungscharakter. Darum kann sich der Verkehrsgerichtstag bitte mal kümmern! Wer einen Helm tragen möchte, soll das gerne tun, aber man muss sich Folgendes klarmachen: Alltagsradeln ist ungefährlich! Man setzt ja auch keinen Helm auf, wenn man eine Treppe runtergeht oder im Haushalt auf eine Leiter steigt – beide Tätigkeiten sind deutlich unfallträchtiger als Radfahren. Die Schutzwirkung der Fahrradhelme ist überschaubar, denn damit der Helm etwas nützt, müssen mehrere Faktoren zusammenkommen: 1. Der Radler muss einen Unfall haben. Das ist zum Glück selten. 2. Der Unfall darf nicht zu schwer sein; wer vom Lkw überrollt oder von einem schnellen Pkw gerammt wird, dem nützt der Helm leider gar nichts. 3. Der Kopf muss betroffen sein; Menschen neigen etwa bei einem Sturz dazu, sich mit den Armen abzufangen, sodass der Kopf nichts abbekommt. Nur wenn in sehr seltenen Fällen diese drei Bedingungen erfüllt sind, nützt der Helm etwas. Eine Schramme oder Platzwunde mag er verhindern, mehr sollte man nicht erwarten. Es gibt also wenig Gründe, Fahrradhelme zu empfehlen oder gar vorzuschreiben. Dass die Debatte immer wieder hochkocht, mag auch daran liegen, dass die Förderer des Automobils uns gerne einreden möchten, dass Radfahren gefährlich ist. Nicht, dass noch jemand sein Auto abschafft, weil’s auch mit dem Fahrrad geht. Jan Krüger, Hannover Leser Hagen Fischer aus Hannover: „Es lauern viele Gefahren“: Den Menschen, die sich gerne und häufig mit einer Helmpflicht für Radler beschäftigen, möchte ich gerne folgendes Betätigungsfeld auftun: Die ungefähre Anzahl tödlicher Treppenstürze pro Jahr liegt bei 4000! Also etwa 400-mal so viele Sterbefälle wie angeblich durch Helm vermeidbare Fahrradunfalltote! Fahrstuhlpflicht für alle Häuser über ein Stockwerk? Lobbyisten, euch fehlt einfach die Fantasie für die Generierung höherer Industrieumsätze. Schnelle Pedelecs, BMX-Fahrer oder Downhillracer: Da sehe ich so gut wie keinen Fahrer ohne Helm, da sind die Menschen wohl doch intelligenter als man denkt. Tote durch Ertrinken in Deutschland? Etwa 400 bis 600 jedes Jahr. Was ist mit der Schwimmflügelpflicht? Ich glaube, ich muss selbst Lobbyist werden, da die politischen Entscheider deutlich besser Fahrradfahren können, als sich zu informieren. Hagen Fischer, Hannover Leser Frank Helbig aus Hannover: „Helm schützt nicht immer“: Wie viele Alleinunfälle gibt es bei Radfahrern? Die relevanten Unfälle mit schweren Verletzungen gehen stattdessen von motorisierten Fahrzeugen aus. Wenn ein Pkw oder Lkw einen Fahrradfahrer übersehen hat und die Beine oder sogar der komplette Torso überfahren wird, bringt ein Helm überhaupt nichts. Frank Helbig, Hannover Von HAZ