Hochwasser 1946 in Hannover: Rückschau auf eine Katastrophe vor 75 Jahren

Die Stadt lag in Trümmern. Hannover war vom Krieg noch schwer gezeichnet, als sich hier im Februar 1946 die schlimmste Naturkatastrophe in der Geschichte der Stadt anbahnte. Ich war damals fast 18 Jahre alt und arbeitete im „Büro Schumacher“ mit, der heimlichen SPD-Parteizentrale für Westdeutschland. Kurt Schumacher hatte sein Büro in der Lindener Jacobsstraße 10 im Erdgeschoss, direkt darüber residierte die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft. Es hatte in Niedersachsen seit Tagen heftig geregnet, als ich einen besonderen Auftrag bekam. Ich sollte an diesem Februartag zwei SPD-Politiker vom Hauptbahnhof abholen, die aus dem Exil heimkehrten – Fritz Heine und den späteren Partei- und Bundestagsfraktionschef Erich Ollenhauer. Beide sollten künftig im Büro Schumacher mitarbeiten. Diese Fahrt sollte ich mein Leben lang nicht vergessen. Eine von Menschen gemachte Katastrophe: Die Hochwasserkatastrophe vor 75 Jahren war zumindest in Teilen von Menschen gemacht. Im Harz hatte die britische Besatzungsmacht abgeholzt, was an Bäumen abgeholzt werden konnte – man brauchte Brennholz. Das Schmelzwasser schoss nun ungebremst ins Tal, im gefrorenen Boden konnte nichts versickern. Schließlich brachen mehrere Dämme, Ihme und Leine traten über die Ufer. Die Alliierten hatten auf dem Schützenplatz ein Treibstofflager eingerichtet. Bald trieben 700.000 Kanister in dreckigen Fluten durch die Straßen und verstopften zusätzlich die Brückenlöcher. Das Wasser stand schon am Rand der Innenstadt, als ich Ollenhauer und die anderen am Hauptbahnhof in Empfang nahm. Sie waren mit einem britischen Militärzug angekommen. Ollenhauer und seine Frau Martha trugen dicke britische Armeemäntel. Ich brachte sie zu einem Lastwagen, und der Fahrer bahnte uns einen Weg über noch passierbare Straßen bis zu Ollenhauers Quartier am Küchengarten. Möbel trieben durch die Straßen: Das Wasser stieg immer weiter. Das Friederikenstift war zeitweise ganz von der Außenwelt abgeschnitten. Ein Feuerwehrboot, das 200 Mahlzeiten in die Klinik bringen wollte, schaffte es nicht, sich einen Weg durch die Fluten zu bahnen. In der Calenberger Neustadt stand das Wasser bald 2,50 Meter hoch in den Straßen, am Goetheplatz blieb eine Straßenbahn in den Fluten stecken. Ein Landwirt schleppte in Ricklingen 400 Schafe und Lämmer auf den Dachboden seines Stalls hinauf. Rund 20 000 Menschen konnten in Hannover ihre Häuser tagelang nicht verlassen. Teils trieben Möbel und Autos durch die Straßen. Die britischen Militärs verhängten schließlich eine Art Ausnahmezustand. Englische Soldaten und deutsche Feuerwehrleute kämpften gemeinsam gegen die Katastrophe. Rund 1500 Menschen wurden mit Booten gerettet, die zwischen den Straßenlaternen navigierten. Kein Lunch im Büro Schumacher: Im Büro Schumacher war damals regelmäßig der spätere Labour-Abgeordnete Austen Albu zu Gast, der dann aus dem britischen Hauptquartier in Bad Oeynhausen nach Linden kam. Er brachte häufig Lunchpakete für Kurt Schumacher und seine Genossen mit – doch das Hochwasser behinderte auch diese Lieferungen. Als der Wasserpegel Mitte Februar sank, waren die Schäden immens. In vielen Häusern blieben dicke Schlammmassen zurück. Die Aufräumarbeiten zogen sich lange hin. Weil auch Dutzende Transformatorenhäuschen überschwemmt waren, fiel der Strom in weiten Teilen der Stadt aus. Historische Akten, die teils im Keller des Neuen Rathauses lagerten, hatten sich in Schlammblöcke verwandelt; bis heute werden historische Dokumente in mühsamer Kleinarbeit restauriert. Erich Ollenhauer, der unter so dramatischem Umständen nach Hannover gekommen war, wurde 1952 schließlich Schumachers Nachfolger als Parteichef und trat zweimal als Kanzlerkandidat der SPD an. Die Tage des Hochwassers aber zählen bis heute zu den schwärzesten in der Geschichte der Stadt. Aufgezeichnet von Simon Benne Der Journalist Dieter Tasch, Jahrgang 1928, kam kurz nach deren Gründung im August 1949 zur HAZ. Der langjährige Chefreporter ging 1993 in Ruhestand, doch bis heute meldet er sich gelegentlich mit Beiträgen in seiner Zeitung zu Wort. Von Dieter Tasch