Homeoffice in Hannover: Was tun, wenn der Chef der Heimarbeit misstraut?

Auf den ersten Blick gehört nicht sonderlich viel dazu, um einen Angestellten ins Homeoffice zu schicken. Bei vielen Bürojobs reicht inzwischen ein Notebook. Während Betriebe und Behörden solche Hardware relativ schnell ordern können, zeigt die Praxis Probleme auf: Was ist, wenn der Arbeitgeber dem Angestellten im Homeoffice nicht traut? Woher soll der Vorgesetzte wissen, dass die Belegschaft zu Hause genauso produktiv ist wie im Büro? Und: Wie viel Kontrolle hat er aus der Entfernung? Immer mehr Unternehmen machen in der Corona-Krise Erfahrung mit diesen Fragen. Denn Hubertus Heil (SPD), Bundesminister für Arbeit und Soziales, hat eine Verordnung zur Ausweitung des Homeoffice vorgestellt. Voraussichtlich Mitte nächster Woche soll sie in Kraft treten und bis zum 15. März gelten. In der Verordnung heißt es wörtlich: „Der Arbeitgeber hat den Beschäftigten im Falle von Büroarbeit oder vergleichbaren Tätigkeiten anzubieten, diese Tätigkeiten in deren Wohnung auszuführen, wenn keine zwingenden betriebsbedingten Gründe entgegenstehen.“ Wie kann man Angestellte kontrollieren? Die Arbeitspsychologin Hannah Schade vom Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund forscht seit dem ersten Lockdown vermehrt zum Thema Homeoffice – und was es mit dem Verhältnis zwischen Angestellten und Arbeitnehmern macht. Ihrer Meinung nach geht es vielen Betrieben noch immer darum, die Produktivität ihrer Angestellten vor Ort überblicken zu können. „Aber kann ich die Leute im Büro wirklich besser kontrollieren?“, fragt sie. Grundsätzlich ist sie der Meinung: „Arbeitgeber versprechen sich zu viel von Präsenz.“ Lesen Sie auch Kein Homeoffice trotz Corona-Beschluss: Arbeiter aus Hannover erzählen Aber was ist, wenn Mitarbeiter das Homeoffice ausnutzen und tatsächlich weniger arbeiten? Eine Güteverhandlung am Arbeitsgericht Hannover zeigt, welche Probleme durch Distanz entstehen können. Ein Verlag für Branchenverzeichnisse kündigt einer Mitarbeiterin. Die alleinerziehende Mutter arbeitete zuvor im Homeoffice. Per E-Mail und Telefon war sie dort für Kundenakquise und Kontakte zuständig. Das hannoversche Unternehmen nutzt ein sogenanntes Customer-Relationship-Management-Programm (CRM), in das die Angestellten ausgehende Kundenkontakte eintragen. Gemeinsam mit dem Betriebsrat glichen die Vorgesetzten die eingetragenen Arbeitsstunden der Sales Managerin mit der Summe der Kunden ab, die sie in dieser Zeit kontaktiert hatte. Dabei kam heraus, dass die 40-Jährige an einem Tag lediglich einen Kunden angerufen hatte. Viel zu wenig, befand ihr Arbeitgeber. In einem Personalgespräch wollte sie sich nicht zu den Gründen äußern – der Verlag warf ihr Vertrauensmissbrauch vor und kündigte ihr zum Ende des Jahres. „Homeoffice ist prekär“: Rolf Schaefer, Anwalt für Arbeitsrecht, vertritt die Frau nun im Güteverfahren – und fordert eine Abfindung vom Verlag. Er kritisiert, dass das CRM-Programm kein legitimes Mittel ist, um die Produktivität im Homeoffice nachzuweisen. Das wiederum sieht der Verlag anders. Eine Einigung der beiden Seiten gibt es noch nicht. „Der Fall zeigt, wie prekär Heimarbeit sein kann“, sagt Anwalt Schaefer. Seiner Meinung nach ist das Arbeitsmodell, das wegen Corona derzeit überall ausgeweitet wird, noch zu wenig durchdacht. Nicht mit einer Kündigung, aber gegen das Misstrauen ihrer Vorgesetzten hatte die Angestellte einer Versicherungsagentur aus Hannover zu kämpfen. Sie möchte anonym bleiben. Erst mit der Verordnung des Arbeitsministeriums wurde den Beschäftigten erlaubt, von zu Hause aus zu arbeiten. „Davor war Homeoffice nicht gewollt, und die Aussagen der Regierung waren zu schwammig“, sagt sie. Ihr Arbeitgeber habe auf die strenge Einhaltung von Abstandsregeln und Hygienemaßnahmen im Büro verwiesen. „Und das, obwohl 80 Prozent der Arbeit von daheim aus möglich sind.“ Es herrsche Misstrauen seitens der Vorgesetzten gegenüber einigen Mitarbeitern – „das wird auf uns alle umgemünzt“. Über Bedenken reden: Arbeitspsychologin Schade kann die Blockadehaltung mancher Arbeitgeber in der Corona-Krise nicht nachvollziehen. Sie plädiert dafür, mögliche Bedenken transparent zu machen und mit den Angestellten zu diskutieren. „Wenn sie nicht auszuräumen sind, kann man auch einen Jour fixe einrichten oder in einer Online- oder Telefonkonferenz besprechen, wer wie viel gearbeitet hat“, rät Schade. Auch die Angestellte der Versicherungsagentur arbeitet mit einem CRM-Programm, in das ihre Vorgesetzten Einblick haben. „Jeder hat Vorgaben, welche Leistung er oder sie täglich erbringen muss. Es würde sofort auffallen, wenn man zu Hause weniger arbeitet.“ Hätte das Bundesministerium nicht die Homeoffice-Verordnung erlassen, so sagt sie, müsste sie noch immer jeden Tag ins Büro. Anwalt Schaefer findet das typisch deutsch: „Wir wollen den anderen noch immer beim Arbeiten sehen“, sagt er. Von Manuel Behrens