Kulturpionier aus der Nordstadt verstorben: Veranstalter, Verleger und Szene-Vertrauter Matthias Göke ist gestorben

Lesungen sollten mehr sein als gut ausgeleuchtete Verkaufsveranstaltungen säuberlich gestapelter Lektüre. Es sollten Momente der Begegnung sein, tastendes Kennenlernen, ein Austausch, der nicht auf die reine Lesezeit begrenzt ist. Zwölf Jahre lang hat Matthias Göke in der Nordstadt Autoren und Autorinnen und ihr Publikum allein bei der Reihe „Fliegenköpfe“ bei fast 100 Lesungen zusammengebracht. In der Druckerei Interdruck traten von 1998 an Autoren wie Friedhelm Kändler, Bengt Kiene, Oskar Ansull, Ingo Siegner und Tobias Premper auf. Vor allem noch unbekannte Schriftsteller wie Finn-Ole Heinrich, Sonia Petner und Andy Strauß präsentierten Texte, mit denen sie später zahlreiche Preise gewannen. Göke stellte vielen Debüt-Autoren den Mikrofonständer ein, veröffentlichte ihre Schriften als kleine „Fliegenfalter“, verteilte Rotwein und Rauchwaren und sorgte für passende Gesprächsthemen. Göke war perfekter Gastgeber. Nun ist der umtriebige Netzwerker gestorben. Pionier, Filmer und Archivar: Matthias Göke mochte die Rolle des kulturellen Entdeckers, des Wegbereiters und Begleiters. Schon 1991 gehörte er zu den Studierenden, die aus der Idee der Professoren Leo Kreutzer und Jürgen Peters den Literarischen Salon schufen. Der Linguistik-Student brachte vor allem seine Fähigkeiten für Ton- und Videoaufnahmen ein und schuf ein erstes Archiv. Später zeichnete er immer wieder Lesungen auf, kümmerte sich als Grafikdesigner um Satztechniken und Layout bei Veröffentlichungen und half auch bei den ersten Poetry-Slams bei Technikfragen. Er unterstützte das Fährmannsfest, die Theatergruppe Hebebühne und die erste Lesebühne „Oral“. Man brauchte dafür keine Verträge und Verhandlungen. Göke war immer dabei, wenn es um kulturelle Neuanfänge ging. Die Liste der Veranstaltungen, an denen Matthias Göke beteiligt war, ist entsprechend lang. Er ermöglichte Kultur abseits von Förderungsfragen und Jahresprogrammplanung. Er agierte ohne ambitionierte Agentur und Umsatzhoffnungen. Er machte, was er mochte. Er präsentierte Künstler und Künstlerinnen, die in seinen Augen mehr Aufmerksamkeit verdienten und sorgte mit Haltung und Hingabe für den passenden Rahmen. Nach all seinen Veranstaltungen war er stets einer der letzten Gesprächspartner. Und fast immer hätte er noch einen klugen Gedanken gern etwas länger ausgeführt. Nun starb er nach längerer Krankheit. Er wurde 59 Jahre alt. Von Jan Sedelies