Kunstausstellung: Baum-Schau im Sprengel Museum

Mit einer fulminanten Sonderausstellung katapultiert sich das Sprengel Museum in das Kunstleben der Stadt zurück. Der große Ausstellungsraum im oberen Stockwerk ist wieder zu einem Juwel des Hauses geworden. Was der ausgestellten Kunst von Albert Oehlen und Carroll Dunham zu danken ist. Beide zählten in den 1970er und -80er Jahren zu den angesagten Künstlern und beeinflussten ganze Generationen von Kunststudierenden. Oehlen in Deutschland und Dunham, der nie eine große und allgemeine Öffentlichkeit interessieren konnte, aber dafür, vielleicht sogar viel wichtiger, einer der Künstler für Künstler war, in den USA. Beide verbindet ein Motiv. Jedenfalls auf den ersten Blick. Es sind Bäume, die der Ausstellung auch ihren schlichten Titel geben: „Bäume/Trees“. An Bäumen wachsen Blätter. Und jedes Jahr treiben sie neu aus. Welch banale Beobachtung. Aber eigentlich ist es ja genau andersherum. Die Blätter erschaffen den Baum, er wächst erst durch sie in die Höhe, so ist es, und eben nicht umgekehrt. Diese Überlegung, dieser Perspektivwechsel, wie ihn Emanuele Coccia in seinem Philosophie-Bestseller „Die Wurzeln der Welt“ vorschlägt, ist nicht nur überraschend, er ist produktiv, und definiert gegenseitige Abhängigkeiten neu. Bäume – den Künstlern eigentlich egal: Jenseits jeder einengenden und banalen Konvention betrachten auch Oehlen und Dunham Bäume. Bei Ihnen sind Bäume weder etabliertes Machtsymbol, noch Stammbaum, kein Baum der Erkenntnis oder gar Retter der an ihrer eigenen verpesteten Luft erstickenden Welt. Ihr Perspektivwechsel ist verblüffender, ihnen sind Bäume - eigentlich egal. Carroll Dunham entdeckte irgendwann in seinen Bildern, ganz im Hintergrund, einen von ihm gemalten Baum und erhob ihn dann vom Randmotiv zu einem seiner zentralen Lieblingsmotive. Er erinnert sich im Rückblick noch genau an sein Gefühl: „Vielleicht ist das“ –Baummotiv –„beknackt genug, um wirklich interessant zu sein. Also fing ich an, mir zu überlegen, wie man daraus ein Gemälde machen könnte“. Oehlen ergänzt mit Überzeugung, „dass die besten Ideen zwar beknackt oder banal sind, aber ein unbegrenztes Potential für interessante Gedanken haben.“ Und diese Gedanken, die den Baum als Ausgangspunkt nehmen, führen die beiden Kunst-Senioren nun im Sprengel Museum vor. Zwei Werke berühren sich sanft: Albert Oehlen, Jahrgang 1954, der als Künstler der „Neuen Wilden“ und mit seinen „Bad Paintings“ in den 1980er Jahren das Licht der größeren Öffentlichkeit erblickte, hat seine Wildheit, sein lustvolles Dagegensein schon längst besänftigt. Er zählt zu den Etablierten, auch im Kunstmarkt. Carroll Dunham, fünf Jahre älter als Oehlen, konnte in Deutschland nie eine wesentliche Öffentlichkeit für sich gewinnen, blieb aber der kontinuierliche Geheimtipp von Künstlern. Was machen beide nun also mit dem Baum-Motiv? Die eine Wand der großen Halle bespielt Oehlen mit seinen großformatigen Werken, gegenüber sind die von Dunham platziert, in der Mitte des Ausstellungsraumes treffen sie immer wieder zusammen und zeigen deutlich, dass zwei singuläre Werke miteinander und nebeneinander gezeigt werden, die sich dann und wann sanft berühren. Oehlen: Struktur mit Wurzeln: Oehlens Bäume haben keine Blätter, sind Struktur mit Wurzeln, manchmal wie Synapsen, sie sind Astgespinste, Verzweigungen in einem manchmal auch farbigen Schattenreich, einem Reich der Kontraste und Nuancen, in der die Bildfläche immer wieder durch starke Farbverläufe akzentuiert wird. Der Baum ist nur gegenständlicher Vorwand zum Malen und Zeichnen. Heraus kommt bei ihm eine starke und rätselhafte Zauberwelt der Zeichen, manchmal auch ein Zitat aus der Mythologie, wie bei der „Frau im Baum“ von 2004. Dunham: faszinierend beunruhigend: Bei Dunham ist der Weg genau umgekehrt, er kommt aus der Abstraktion, der Tradition des Surrealismus. Mit der Zeit wurden seine Werke immer gegenständlicher, immer erzählerischer. Oft sind sie erotisch aufgeladen, pornografisch, manchmal kaum noch vorzeigbar. In seinen Baumbildern, die wie kraftvolle Farbstatements mit erigiertem Ast oder mit Blümchen aus dem Paradies der Naivität daherkommen, ist das allerdings nur noch zu erahnen. Er zeichnet, schreibt auf den Bildträger, malt, aquarelliert mit einer machtvollen Intensität, dass all seine Arbeiten zu bildgewordenen Ausrufungszeichen werden, aber nie sind sie einfach nur plakativ. Sie ziehen hinein und weisen den Betrachter gleichzeitig ab. Und sie hinterlassen das unbestimmte Gefühl, dass gerade etwas faszinierend Beunruhigendes passiert. Der Betrachter bleibt wehrlos. Tatsächlich ein fulminanter Auftakt im Sprengel Museum, nach so vielen Monaten Ruhe. Bis zum 18. Oktober. Eine offizielle Eröffnung fällt der Corona-Krise zum Opfer. Am 12. September ist aber eine Veranstaltung mit beiden Künstlern geplant. Von Frank G. Kurzhals