Landgericht Hannover: 19-Jähriger sticht Mithäftling mit Kuli in Hals und Gesicht

Fest steht, dass Dennis M. (19) am 9. Oktober 2019 einen Mithäftling in der Jugendanstalt (JA) Hameln mit einem angespitzten Kugelschreiber angriff und ihm mehrfach in Gesicht und Hals stach. Doch war dies ein ernsthafter Versuch, den 22 Jahre alten Anstaltsinsassen zu töten, oder wollte M. – wie er selbst im Zuge eines ausführlichen Geständnisses aussagte – dem Sexualstraftäter nur einen „krassen Denkzettel“ verpassen? Seit Montag muss sich der mehrfach vorbestrafte M. am Landgericht Hannover wegen versuchten Mordes verantworten. Weil er als Heranwachsender gilt, verhandelt eine Jugendkammer den Fall. Neben M. sitzt noch ein zweiter Mann auf der Anklagebank; Marcel S. (22) ist wegen Beihilfe zum versuchten Mord angeklagt. Verlegungswunsch als Motiv? Laut Anklageschrift soll Dennis M. den Wunsch gehegt haben, in die Sicherheitsabteilung der Haftanstalt verlegt zu werden; wie er selbst sagte, habe er dort mit einem ihm schon länger bekannten Mithäftling reden wollen. Doch der Weg, um in diese Sicherheitsabteilung zu gelangen, war äußerst ungewöhnlich: Dazu wollte der 19-Jährige ein neues Verbrechen begehen. Nach den Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft fragte M. den mitangeklagten S., wen er denn angreifen solle – woraufhin ihm S. den wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern einsitzenden 22-Jährigen vorgeschlagen haben soll. Am Montag bestritt S. diesen Tatvorwurf: Er habe sich immer von M. ferngehalten, sei dieser doch für seine Gewaltfantasien bekannt gewesen; einen Tipp, wen der Jüngere nun „stechen“ solle, habe er diesem keineswegs gegeben. Sicher ist, dass das Opfer mit einem anderen Häftling auf einer Bank saß, als M. in einer Freistunde ohne jegliche Vorwarnung auf den 22-Jährigen losging, ihn in den Schwitzkasten nahm und vielfach auf sein Gesicht, seinen Hals und den Oberkörper einstach. Der von ihm präparierte Kugelschreiber soll dabei abgebrochen sein. Durch das Eingreifen eines Mithäftlings und mehrerer Justizwachtmeister konnte das Opfer aus den Fängen von M. befreit werden. Mehrmals äußerte sich der Hauptangeklagte am Montag verächtlich über den 22-Jährigen, der Glück hatte, dass seine Halsschlagader nicht getroffen wurde; das Opfer kam mit zahlreichen Schnitt- und Platzwunden davon. Schon früh gewalttätig: M. zeigte sich bei seiner Befragung sehr gesprächig, stand der Kammer unter Vorsitz von Richter Stefan Lücke anderthalb Stunden lang Rede und Antwort. Er habe auf den 22-Jährigen eingestochen, damit dieser „mal über seine Taten nachdenkt“; wenn er diesen hätte töten wollen, hätte er eine andere Waffe als einen angespitzten Kugelschreiber benutzt. Der 19-Jährige räumte ein, aufgrund eigener Gewalterfahrungen in der Kindheit schon selbst frühzeitig gewalttätig geworden zu sein; so habe er als Neunjähriger einen Zwölfjährigen so zusammengeschlagen, dass dieser ins Krankenhaus eingeliefert wurde. „Bei mir müssen viele Therapien gemacht werden, das war mir schon als 14-Jähriger klar“, sagte M. Als Jugendlicher wurde M. zu einer 18-monatigen Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt, weil er einen Mordversuch vorbereitet hatte. 2018 kassierte er wegen Brandstiftung eine Jugendstrafe von drei Jahren; er hatte die Scheune einer Einrichtung für sexuell auffällige Jugendliche angesteckt, in der er selbst untergebracht war. Die Haftzeit verlängerte sich später um ein Jahr, weil M. zusätzlich wegen einer gefährlichen Körperverletzung in der JA Hameln verurteilt wurde. Richter Lücke hielt dem Angeklagten vor, dass dieser schon mehrfach Tötungsfantasien geäußert habe. M. soll auch öffentlich bekundet haben, dass es richtig „geil“ gewesen sei, den 22-Jährigen „anzustechen“. Derzeit ist der als sehr aggressiv geltende Hauptangeklagte in psychiatrischer Behandlung und wird medikamentös behandelt. Lesen Sie auch: Vergewaltiger rastet in Justizvollzugsanstalt Hannover aus Einschlägig vorbestrafter Häftling lädt in Gefängnis neue Kinderpornos herunter Psychisch auffälliger Arzt beleidigt JVA-Leiter als „Stück Scheiße“ Auch Mordlust ist denkbar: Auf diesem Hintergrund ist es erklärlich, dass die Kammer nicht nur die von der Staatsanwaltschaft vorgebrachten Mordmerkmale „Heimtücke“ und „niedrige Beweggründe“ zur Kenntnis nahm, sondern auch noch selbst die „Mordlust“ als mögliches Motiv hinzufügte. Der Fortgang des Prozesses könnte sich allerdings verzögern, da es in der Jugendanstalt einen Corona-Fall gibt; somit kann das Opfer der Kugelschreiber-Attacke wahrscheinlich nicht – wie geplant – am Mittwoch in den Zeugenstand treten, da zuvor eine Testreihe ins Haus steht. Von Michael Zgoll