„Lüttje Lage“: Cineastischer Frontalunterricht

Vor langer, langer Zeit, als Kinder noch in die Schule gingen, erzählte mir ein Schüler von einer bemerkenswerten Vertretungsstunde. Für den Fall, dass die Menschheit Corona überlebt und irgendwann die Schule wieder startet, sei dieses Gespräch an dieser Stelle wiedergegeben. Es lief etwa so: „Woaaaah, wir hatten ’ne Vertretungsstunde, und der Vertretungslehrer ist so ein ganz Schlauer, der viele Sprachen spricht und irgendwie alles weiß. Er sagte, dass wir jetzt erstmal einen kurzen Film gucken und dann frei arbeiten können.“ „Klingt ja erstmal ganz gut“, sagte ich. „Ja, aber dann hat er den Fünf-Minuten-Film über die komplette Stunde gestreckt. War das nervtötend!“ Ich zog eine Augenbraue hoch. „Die komplette Stunde? Wie geht das denn?“ „Alle 30 Sekunden unterbrach der den Film und erklärte alles noch mal in eigenen Worten. Und dann spulte er zurück, damit es auch noch der Letzte begreift.“ „Aber das füllt doch trotzdem keine ganze Schulstunde“, zweifelte ich. „Do-hoch! Er hat sich unheimlich Mühe gegeben und mit seinen Erklärungen krass weit ausgeholt. Belastend, so was. Gut, dass ihn irgendwann die Pausenklingel stoppte.“ „Um was ging es denn?“ „Was?“ Ich legte den Kopf schief. „Na der Film. Um was ging es in dem Film?“ „Keine Ahnung.“ Ich zuckte zusammen. „Moment mal. Ihr habt eine Dreiviertelstunde über einen Film gesprochen, und du weißt das Thema nicht mehr?“ Er zuckte die Achseln. „Es war so nervig – ich konnte einfach nicht hinhören.“ Und die Moral von der Geschicht’? Akribie taugt nicht für Unterricht. Lesen Sie auch: Lüttje Lage: Hier finden Sie weitere lustige Texte aus unserer Serie Von Rüdiger Meise