Lüttje Lage: Die Queue beim Bäcker

Die Engländer habe ich früher ein bisschen für ihre Disziplin beim Schlangestehen bewundert. Obwohl „bewundert“ es eigentlich nicht trifft. Ich habe sie belächelt. Ich erinnere mich noch sehr vage an dieses Bild aus einem alten Schulbuch: ein Mann im dunklen Anzug, Bowler auf dem Kopf, Stockschirm am Arm, die „Times“ lesend, mit drei oder vier anderen Engländern in einer kurzen Warteschlange an der Haltestelle eines roten Doppeldeckerbusses – darunter der Satz „waiting in a queue“. Oder so ähnlich. In diesen Tagen werden wir nun alle zu Engländern. Queues im Supermarkt, Queues am Spargelstand, heute war sogar eine Queue beim Bäcker. Aber wir sind eben noch keine Engländer – auch wenn wir kurz mal einen gemeinsamen König hatten. Wir hier bekommen keine ordentliche Queue hin. Und schon gar nicht beim Bäcker. Ein Typ mit speckiger Mütze steht mitten im Laden, zweimeterfünfzig weg vom Tresen. Er versperrt den Eingang, man käme vielleicht noch knapp vorbei, müsste ihm dabei aber doch ziemlich auf die Pelle rücken. Wer mag das schon in diesen Tagen? Draußen vor der Tür lümmelt links ein anderer an der Hauswand und raucht. Auf der anderen Seite, ein Stück zurück an einem Fahrradständer, unterhalten sich intensiv zwei Frauen. Ich stelle mich also an die Eingangstür. Da raunzt der Raucher: „Erstma bin ick dran“ und inhaliert schlecht gelaunt. Ich würdige ihn keines Blickes und mache einen Schritt zur Seite. Von hinten, vom Fahrradständer, kommt freundlich, aber bestimmt der Hinweis: „Ich warte übrigens auch.“ Was soll das für eine Schlange sein? Jeder stellt sich einfach irgendwo hin. Ich sage erstmal nichts. Die Leute mögen mich wohl nicht. Vielleicht weil ich als einziger einen Mund-Nasenschutz trage. Weitere lustige Geschichten aus unserer Reihe lesen Sie hier Von Hans-Peter Wiechers