Lüttje Lage: Die erste Stunde

Kinder großzuziehen, ist einfach. Man bringt sie zur Schule, sie machen ihr Abitur, danach schickt man sie zur Universität, und schon hat man einen netten Menschen, der einem später mal unter die Arme greift, wenn’s mit der Rente knapp wird oder man zum Impfzentrum gefahren werden muss. Es ist ungleich schwieriger, einen jungen Hund ins Leben zu führen. Wir hatten jetzt die erste Stunde in der Hundeschule. Das ging gut los. Marta, die portugiesische Wasserhündin, und ich, wir waren pünktlich. Der Labrador fehlte – unentschuldigt. Der dritte in der Klasse war ein American Staffordshire Terrier. Unter Kennern auch Amstaff genannt und nicht etwa Pit Bull. Das klingt weniger gefährlich. Ich weiß jetzt, wie sich ein Vater fühlen muss, der aus Uetze nach Berlin gezogen ist und seine Tochter zum ersten Mal in ihre neue Schule ins tiefste Neukölln bringt. Auswuchs meiner Vorurteile: Aber wie so oft auch im richtigen Leben entpuppten sich meine Ängste als Auswuchs meiner Vorurteile. Der Amerikaner hat ja kaum Fell und sah irgendwie rundbäuchig, aber mager aus, jedenfalls ungefährlich. Ein fröhlicher, kleiner Kerl. Die Portugiesin trägt einen imposanten, krausen Pelzmantel und lässt sich sowieso von niemandem die Butter vom Brot nehmen. Die erste Schulstunde verlief problemlos. Wir haben am Ende eine Hausaufgabe bekommen: spazieren gehen am Aegi, damit die Hündin quietschende Autos, rasende Radfahrer und mächtige Busse kennenlernt. Ich dränge mich nicht nach solchen öffentlichen Auftritten mit einem zappelnden Welpen, der gern auch mal in die Gegend pinkelt, aber da muss ich wohl durch. Gemessenen Schrittes einen Kinderwagen durch die Stadt schieben, wäre würdevoller. Lüttje Lage: Hier finden Sie weitere lustige Texte aus unserer Serie Von Hans-Peter Wiechers