Lüttje Lage: Tiefenentspannt im Diaschlaf

Wir haben es gemacht! Es war nur eine Frage der Zeit, wann wir es in der Corona-Zeit tun würden, aber eines Abends waren wir von uns selbst überrascht. Wir holten ihn tatsächlich aus seinem Versteck. Er war etwas angestaubt, aber noch voll funktionstüchtig. Dann ging das Licht aus, und der sehr, sehr alte Diaprojektor warf seinen rauchigen Strahl durch die Dunkelheit unseres Wohnzimmers. Für die jüngere Leserschaft: Ein Dia ist eine Fotoaufnahme, abgeschnitten von einem Filmstreifen, das in zwei Plastikhälften geklemmt wird, ganz früher noch mit zwei dünnen Glasscheiben. Und ein Diaprojektor ähnelt einem Beamer, aber alles offline. Man kann eine Plastikschiene mit meist 50 Dias einführen, die dann im abgedunkelten Raum auf eine oft viel zu wellige Leinwand geworfen werden. In der Regel verklemmt sich bei jeder dritten Schiene ein Dia, sodass wieder Licht gemacht werden muss, um es irgendwie zurück in die Schiene zu bekommen, während der Projektor traurige Laute von sich gibt. Die Zuschauenden nutzen meist die Zwangspause, um die Toilette aufzusuchen oder mehr Salzgebäck zu holen – und sollten dabei unbedingt vermeiden, über die im Wohnzimmer gespannten Verlängerungskabel zu fallen. Man kann klar erkennen: Ein Diaabend ist ein geselliger Abend mit vielen technischen und anderen Überraschungen. Nicht auszuschließen, dass in einigen Dias Mikroorganismen leben. Gebannt blickt die Runde auf manche feuchten Flecken auf den Glasscheiben, die bei längerem Zeigen des Dias immer kleiner werden. Werden sie größer, sollte man vielleicht seine Corona-Gesichtsmaske aufsetzen. Apropos: Die lustigsten Dias heute sind meist die von feucht-fröhlichen Familienfeiern mit Frisuren, die unseren in der Corona-Zeit erstaunlich ähneln. Weniger gefragt, das war schon damals so, sind Reisedias. Ich kann mich noch gut an das kalkweiße Gesicht meiner Eltern erinnern, als unsere Nachbarn aus dem Winterurlaub zurückgekehrt waren und beim ersten Zusammentreffen freudestrahlend fragten: „Habt Ihr eigentlich schon unsere Norwegen-Dias gesehen?“ Die ehrliche Antwort wäre gewesen: „Nein, wollen wir auch nicht, denn wir erinnern uns ungern an die 400 im Schnee gemachten und alle gleich aussehenden Aufnahmen vom letzten Jahr.“ Die höfliche Antwortvariante lautete: „Nein, wir freuen uns drauf.“ Andererseits: Es gibt keinen tieferen und entspannteren Schlaf als den Diaschlaf. Lüttje Lage: Hier finden Sie weitere lustige Texte aus unserer Serie Von Andreas Zimmer