Mordprozess Landgericht Hannover: Ehefrau ersticht Mann

Es gibt zwei Schilderungen des gewaltsamen Todes von Eugen S., nur eine kann wahr sein. Die eine ist die von Oberstaatsanwältin Friederike Riemer. Die Anklägerin glaubt, Marina S. habe ihren betrunkenen, schlafenden Ehemann im vergangenen Oktober nach einem Streit umgebracht. Die andere Version ist die der Ehefrau, die eine ganz andere Geschichte erzählt. Was wirklich in der Wohnung der Familie S. in Bemerode geschehen ist, muss nun die 13. Große Strafkammer am Landgericht Hannover herausfinden. Marina S. ist am Schwurgericht wegen heimtückischen Mordes angeklagt, weil die 47-Jährige ihrem arglos und betrunken im Ehebett liegenden Mann Eugen S. im Schlaf ein Küchenmesser in den Oberkörper gerammt haben soll. Marina S. habe ihm den Mund zugehalten und dann die 15 Zentimeter lange Klinge zwischen der fünften und sechsten Rippe durch Herz, Zwerchfell und Leber 16 Zentimeter tief in den Körper gebohrt, trägt Oberstaatsanwältin Riemer vor. „In kürzester Zeit“ sei Eugen S. verblutet. In Todesangst gehandelt? Marina S. bestreitet gar nicht, dass sie ihrem Mann in dieser Nacht einen tödlichen Stich versetzt hat – nur will die zierliche Frau das nicht mitbekommen haben, wie ihr Verteidiger Vyacheslav Varavin erklärt. In Todesangst habe sie versucht, sich aus dem Würgegriff des wütenden Mannes zu befreien. Dabei habe sie ihn mit dem Messer wohl verletzt, ohne es zu merken. „Ich war in Panik“, sagt die 47-Jährige später mehrfach. Eugen S. sei nach dem Angriff auf sie ins Bett gegangen. Sie habe sich ins Zimmer des 16-jährigen Sohnes gelegt, wie sie es immer getan habe, wenn ihr Mann betrunken war. Am folgenden Vormittag habe sie ihn tot im Ehebett gefunden. „Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?“: Gericht und Anklage sind nach diesen Schilderungen so überrascht, dass der Vorsitzende Richter Stefan Joseph nach einer Unterbrechung der Verhandlung fragt: „Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?“ In ihrer Vernehmung bei der Polizei und beim Haftrichter hatte S. nichts von dem erzählt. Vor Gericht erklärt der Verteidiger, Eugen S. sei am Abend des 20. Oktober wie so oft betrunken nach Hause gekommen. Er habe seine Frau sogleich als „Schlampe“ und „Ratte“ beschimpft. „Du bist nichts wert“, habe er gesagt. Dann habe Eugen S. seine Frau an den Haaren gepackt, ihren Kopf gegen die Wand gepresst und dabei mit seinem Unterarm den Hals zugedrückt. Sie habe geweint und geröchelt, weil sie keine Luft mehr bekommen habe. Sie habe versucht, sich zu befreien. Mit dem Messer in der Hand habe sie dann eine „Ausholbewegung“ gemacht. „Dabei muss das Messer in den Körper gelangt sein. Das habe ich kaum realisiert“, liest der Verteidiger die Aussage im Namen von Marina S vor. Messer vom Boden aufgehoben: Für das Messer in ihrer Hand hat die 47-Jährige eine Erklärung. Sie habe es vom Boden aufgehoben, ebenso wie einen Kartoffelschäler, weil die Sachen auf dem Boden nun mal nichts zu suchen hätten. Ihr Mann habe zuvor außerdem ein weiteres Messer und ein Schneidebrett wütend vom Tisch gefegt. Überraschend habe ihr Mann schließlich von ihr abgelassen, sei wankend Richtung Schlafzimmer gelaufen. Die zwölfjährige Tochter, die hinzu kam, habe den Vater ins Zimmer geschoben und die Tür geschlossen. „Habe ich ihm etwas getan?“, habe sie das Mädchen gefragt. „Ich meine mich zu erinnern, dass sie Nein gesagt hat.“ „Ich wollte ihn nicht töten“: Geht das, dass eine zierliche Frau einem größeren Mann ein Messer 16 Zentimeter tief in den Körper rammt, ohne es wirklich zu wollen, ohne es wirklich zu merken? Das seien Fragen für die Rechtsmediziner, sagt Richter Jospeh. Die hätten sich bereits mit der Frage befasst, mit welcher Wucht der Messerstoß ausgeführt worden sein muss. Nun gebe es „natürlich neue Fragen“. „Ich habe kein Blut gesehen“, sagt S. „Ich wollte meinen Ehemann nicht töten.“ Von Karl Doeleke