Das Landgericht Hannover hat Vanessa Münstermann am Dienstag weitere 250.000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen. Die damals 27 Jahre alte Kosmetikerin war Anfang 2016 von ihrem Ex-Freund mit Schwefelsäure übergossen worden. Ihre linke Gesichtshälfte wurde zerstört. Der jetzt 35 Jahre alte Täter Daniel F. ist bereits zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt worden. Zum Auftakt des Zivilprozesses hatte die Richterin gesagt, die Forderung von 250.000 Euro sei hoch, aber es sei „eine extreme Tat mit extremen Folgen“ gewesen. Vanessa Münstermann sei über das Urteil „sehr erfreut“, sagt ihr Anwalt Andreas Hüttl auf HAZ-Anfrage.
Laut Gerichtssprecher Hans-Christian Rümke sei es für deutsche Verhältnisse zwar ein hohes Schmerzensgeld, „allerdings handelte es sich nach Auffassung des Gerichts um eine äußerst brutale Tat“. Die Kammer habe in den bisherigen Urteilssprechungen in Deutschland „nichts Vergleichbares“ finden können. Neben der Zahlung des Schmerzensgeldes plus Zinsen wurde F. von der Zivilkammer dazu verurteilt, für weitere Zukunftsschäden einzustehen. Das Gericht stellte zudem fest, „dass die Schuld auf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung beruht“, so Rümke weiter. Diese juristische Formulierung bedeutet: Vanessa Münstermanns Forderungen haben selbst dann Bestand, sollte es in Zukunft Insolvenzverfahren gegen den 35-jährigen Ex-Freund geben.
„Geld entschädigt nicht entstandenes Leid“
Sowohl die Klägerin als auch der Angeklagte waren am Dienstag nicht bei der Urteilsverkündung anwesend. „Mit dem jetzt zugesprochenen Schmerzensgeld kann das entstandene Leid natürlich nicht entschädigt werden“, sagt Rümke. Allerdings könnten damit Schäden ersetzt und vielleicht etwas Genugtuung verschafft werden. Gegen das Urteil kann am Oberlandesgericht Celle Berufung eingelegt werden, die Umstände der Säureattacke seien laut Rümke allerdings weitestgehend unstrittig. „Aufgrund dieser Tatsache sind die Aussichten wahrscheinlich wenig erfolgversprechend“, so der Gerichtssprecher.
Münstermanns Verteidiger Hüttl ist erfreut, dass die Zivilkammer dem seiner Mandantin angetanen Leid einen hohen Stellenwert beigemessen habe. „Das Gericht ist meiner juristischen und tatsächlichen Argumentation gefolgt“, so Hüttl. Gleichwohl räumt er ein, dass es nun schwierig werde, das zugesprochene Geld wirklich zu bekommen. Der Täter ist nach Angaben seines Anwalts pleite. Münstermann könnte 30 Jahre mit Hilfe eines Gerichtsvollziehers versuchen, zumindest an einen Teil des Geldes zu kommen. „Uns war aber vor allem die Anerkennung der Ansprüche wichtig“, sagt Hüttl.
Mehr als 20 Operationen notwendig
Es war Montag der 15. Februar 2016, 5.30 Uhr in Hannover-Leinhausen. Wie jeden Morgen ging Münstermann schon früh mit ihrem Beagle Kylie aus dem Haus. Die Routine kannte auch ihr Ex-Freund, der ihr im Dunkeln auflauerte. In seiner Jackentasche hielt er ein Glas Schwefelsäure. Völlig unvermittelt sprang er hinter einem Busch hervor und kippte Münstermann die Säure ins Gesicht.
Die Frau lag mehrere Tage im Koma und wurde mehr als 20 Mal operiert. Sie verlor ein Auge und ein Ohr, Narben zerfurchten die Haut. Der Anwalt des Täters, Max Marc Malpricht, machte damals keine Angaben dazu, ob sein Mandant die Tat bereue. Noch aus der Haft schrieb F. beleidigende Briefe an seine Ex-Freundin. Seine Eltern hatten Vanessa Münstermann einige Monate nach der Tat 50.000 Euro gegeben. Weitere 100.000 Euro hatten sie in Aussicht gestellt – allerdings mit der Bedingung, dass sie nicht mehr öffentlich über den Täter spricht. „So ein Schweigegeld kann ich nicht akzeptieren“, hatte Münstermann damals betont.
Weiterer Prozess denkbar?
Mit dem jetzigen Urteilsspruch ist die Attacke aber womöglich juristisch noch nicht abgeschlossen. Möglicherweise mache Vanessa Münstermann einen sogenannten Erwerbsminderungsschaden geltend, so ihr Anwalt Hüttl. Durch ihre schweren Verletzungen kann die gelernte Kosmetikerin nicht mehr in ihrem eigentlichen Beruf arbeiten. „Es kann darum gehen, welchen Job sie hätte ausüben und was die dabei hätte erreichen können“, so Hüttl. Doch auch dabei geht es aufgrund der Mittellosigkeit von F. wahrscheinlich eher um die Sache an sich. „Wir müssen uns beraten, was wir machen wollen“, sagt Münstermanns Anwalt. „Nun sind wir erst einmal über das jetzige Urteil glücklich.“
Von Peer Hellerling