Sitech-Mitarbeiter in Hannover haben die Wahl zwischen Aufhebungsvertrag und Kündigung

Der hannoversche Produktionsstandort der Sitztechnik GmbH (Sitech) schließt zum 30. April ihre Pforten. Auf dem Gelände des VW-Nutzfahrzeuge-Werks in Stöcken stehen 423 Mitarbeiter vor ihrer Entlassung, in Wolfsburg weitere 34 für das hannoversche Werk zuständige Verwaltungsangestellte. Vor wenigen Tagen handelten Geschäftsführung, Betriebsrat und IG Metall einen Sozialplan aus. Bis zum 3. April müssen die Betroffenen eine Absichtserklärung unterzeichnen, ob sie einen Aufhebungsvertrag annehmen oder in eine Transfergesellschaft eintreten wollen, andernfalls droht ihnen die Kündigung. Die unterzeichneten Schlussdokumente über Abfindung oder Eintritt in die Beschäftigungsgesellschaft müssen bis zum 22. April bei der hundertprozentigen VW-Tochter eingegangen sein. Vergiftetes Geschenk? Für Arbeitsrecht-Anwalt Jens Klinkert, der vier Mitarbeiter vertritt, sind die scheinbar großzügigen Abfindungsangebote ein vergiftetes Geschenk: „Wenn die Arbeitsagentur meinen Mandanten nach Unterzeichnung eines freiwilligen Aufhebungsvertrags eine dreimonatige Sperrfrist auferlegt und die Abfindung später noch auf ihr Arbeitslosengeld angerechnet wird, stehen sie finanziell womöglich schlechter da als bei einer Kündigung.“ Auch hält es der Arbeitsrechtler für nicht nachvollziehbar, dass sich Unterzeichner eines Aufhebungsvertrags bis April 2022 auf offene Stellen im VW-Konzern bewerben können und bei gleicher Eignung gegenüber anderen Kandidaten bevorzugt werden – dieses Angebot aber nicht für Beschäftigte in der Transfergesellschaft gilt. Der Aufhebungsvertrag sieht für jeden Unterzeichner einen Sockelbetrag von 10.000 Euro vor. Hinzu kommt eine Abfindung, die sich nach der Formel „Betriebszugehörigkeit mal Bruttomonatsentgelt mal Faktor zwei“ berechnet. In der Beschäftigungsgesellschaft „Mypegasus“ beträgt der Faktor nur eins statt zwei, dafür bekommt ein früherer Sitech-Mitarbeiter dort zwölf Monate lang 80 Prozent seines alten Nettoeinkommens plus Qualifizierungsmaßnahmen. Für jedes Kind im Haushalt kommen noch einmal 4000 Euro hinzu, ebenso für Schwerbehinderte und Ex-Mitarbeiter ab 52 Jahre. Konkurrent produziert billiger: Das hannoversche Sitech-Werk hatte um den Jahreswechsel herum mehrere Aufträge für die Produktion von Sitzen verloren: für die VW-Busse T6 und T 7 sowie den Elektrobulli ID Buzz. Der Konkurrent Faurecia unterbot die VW-Tochter, soll dem Vernehmen nach rund 25 Prozent weniger pro Sitz verlangt haben als Sitech. Der Betriebsrat in Hannover verweigerte sich jedoch weiteren sozialen Einschnitten, etwa einer 40-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich. Die IG Metall hatte zu Jahresanfang den drohenden Arbeitsplatzabbau in Hannover gegeißelt und ebenso wie etliche Landespolitiker an die soziale Verantwortung des VW-Konzerns appelliert. Die nunmehr beschlossene Schließung des Standorts ist für die Gewerkschaft weiterhin schwer verständlich, doch bezeichnet sie den Sozialplan als gut. „Die Pistole auf der Brust“: Laut Anwalt Klinkert wird den Sitech-Mitarbeitern die Pistole auf die Brust gesetzt: „Wer es auf eine Kündigung ankommen lässt, erhält nur ein Viertel der Abfindung des Kollegen, der den Aufhebungsvertrag unterzeichnet hat.“ Die Unternehmensführung von Sitech hält es allerdings für unwahrscheinlich, dass die Arbeitsagentur gegen Unterzeichner eines Aufhebungsvertrags Sperrfristen verhängt und das Angebot damit verwässert. „Ich werde versuchen, von der Agentur eine Vorab-Auskunft zu möglichen Sperrfristen und Anrechnungen zu bekommen“, sagt Klinkert, „aber bis Freitag dieser Woche wird das sicher nicht klappen.“ Lesen Sie auch: An anderen Sitech-Standorten geht die Arbeit weiter 3500 Unterschriften sollten die Werksschließung verhindern Konflikt folgt gängigen Konsens-Mustern bei VW nicht Von Michael Zgoll