Stadtbibliothek Hannover: Carola Schelle-Wolff geht in den Ruhestand

Die Stadt Hannover hatte einen Haushalt zu konsolidieren, wieder einmal, und die Kultur leistete ihren Beitrag. Am Ende strich der Rat eine Handvoll Ortsbüchereien, weggespart und still hingenommen in Vinnhorst, wütend bekämpft im aufsässigen Linden. Kaum bezog die neue Direktorin der Stadtbibliothek 2004 im markanten Altbau an der Hildesheimer Straße ihr Büro, ging es erst einmal um Abwicklung statt Aufbau. Dafür hatte Carola Schelle-Wolff nun Freiburg verlassen, die Stadt mit den vielen Sonnenstunden. Es war eine Rückkehr. Die promovierte Germanistin und Historikerin hatte Mitte der 1990er-Jahre die Landeshauptstadt verlassen, wo sie zwar die Zentralbücherei leitete, aber eben nicht die gesamte Stadtbibliothek. Als sich in Freiburg eine Gelegenheit ergab, passte ihr Wunsch nach Ortsveränderung zum beruflichen Drang nach oben, mit Anfang 40 war das eine Chance. „Ich wollte mal ganz alleine an der Spitze stehen“, sagt sie bei einem Telefongespräch zum bevorstehenden Ruhestand. Die Spitze blieb es, in Hannover dann in weit größerem Maßstab und in direkter Nähe zu insgesamt drei Kulturdezernenten. Anpassung an die neue Realität: Die rasend schnelle Digitalisierung begleitete Carola Schelle-Wolff vom ersten Tag an. Als sie vor 16 Jahren Direktorin wurde, war das iPhone noch nicht erfunden, doch die Stadtbibliothek hat sich unter der Regie von Schelle-Wolff der neuen Realität so gut angepasst wie kaum eine andere Stelle im Rathaus. Leser können Bücher per Chipkarte selbst ausleihen und zurückgeben, niemand muss Schlange stehen an einem Tresen. Medien können auf dem Smartphone vorbestellt werden, Ausleihen durch einen Klick verlängert und elektronische Medien zuhause aufs Tablet geladen werden. In die Lister Bücherei gelangen Kunden mit elektronischem Leseausweis bis in den späten Abend, ohne dass Personal anwesend ist. Damit verlängert die Stadt Öffnungszeiten und vertraut Bürgern öffentlichen Raum an. Diesen Service hatte sich die Direktorin für mehr Büchereien gewünscht, aber baulich war wohl nicht mehr möglich. Dafür ist die Zentralbücherei, eine Einrichtung der Stadt Hannover, auch an Sonnabenden inzwischen bis 19 Uhr geöffnet. Sie versuchte, diese Neuerung nicht im Alleingang durchzuziehen, sondern gemeinsam mit Beschäftigten zu organisieren. Carola Schelle-Wolff hat sehr darauf geguckt, früh den Blick in Bücher zu fördern. „Wir vermitteln Kindern, dass Lesen nicht irgendwie bäh ist.“ Sie versteht das als Bildungsauftrag einer öffentlichen Institution. Wenn man sie fragt, was ihr besonders wichtig war in den Jahren als Direktorin, erzählt sie nicht von Ausleihzahlen und Neuanschaffungen, sondern ausführlich von Lesenetzwerken, Jugendbuchwoche, Vorlesetag, Bilderbuchsonntag und davon, Schulen und Eltern bei Leseprojekten zu unterstützen. Was nicht verhindern kann, dass die Bedeutung von Büchern zurückgeht, wie sie feststellt, dafür steigen die Ausleihen elektronischer Medien in Hannover bei nur geringfügig steigender Leserschaft rasant an. „Das Brikett? Ich finde es gut.“: Vor lauter Büchern wurde in der Stadt mitunter oft übersehen, dass Carola Schelle-Wolff auch verantwortlich war für Kulturbüro und Ausstellungshäuser. Städtische Museen wurden unter einem Dach gebündelt, das Sprengel Museum bekam seinen heftig diskutierten Anbau („Das Brikett? Ich finde es gut.“) Und beim Schloss-Neubau in Herrenhausen koordinierte Schelle-Wolff den städtischen Part. Das angehängte Museum, zwei schlauchartige Ausstellungsräume, verbunden durch einen schlauchartigen Verbindungsgang, wurde dann allerdings nicht die erhoffte Touristenattraktion. Aber sie wendet es lieber ins Positive, wenn sie sagt, „ein Flop ist es auch nicht“. Viele dieser Projekte waren umstritten, aber viele Jahre ging es eben doch um Aufbau statt Rückschritt. Sie warnt an einem ihrer letzten Arbeitstage davor, im Kulturressort zu sparen, damit das geistige Leben nicht verarmt. Für die Zukunft wünscht sich Carola Schelle-Wolff, dass Hannovers Kultur mehr auf internationaler Bühne wahrgenommen wird, etwa durch herausragende Ausstellungen. Eben scheiterte ja trotz überzeugender Präsentation Hannovers Bewerbung zur Kulturhauptstadt. Zurück blieb ein Kulturentwicklungsplan mit weit über 100 Einzelvorhaben, allerdings unter Bedingungen eines städtischen Haushalts, von dem niemand weiß, welche Lücken sich noch auftun können in Corona-Jahren. Sehr wahrscheinlich ist, dass man Carola Schelle-Wolff irgendwo in der Szene treffen kann, im Theater, einer Lesung, in der Oper. Sie wird nur noch dahin gehen, „wozu ich Lust habe“. Von Gunnar Menkens