Streaming in Hannover in Corona-Zeiten: Rechnet sich digitaler Applaus?

Der erste Livestream von Faust-TV begann mit einer technischen Panne. In der Halle des Lindener Kulturzentrums, in der sonst Partys und Konzerte für mehrere Hunderte Besucher laufen, wurde ein Fernsehstudio eingerichtet. Jörg Smotlacha, Moderator und Pressesprecher bei Faust, sprach in eine Kamera – und war prompt nicht zu hören. Es gehe gleich weiter, versprach ein Hinweis den Hunderten Zuschauern im Netz, und das tat es auch. Wenige Minuten später lief die erste eigene TV-Show. Mittlerweile sind zehn Folgen gedreht. Ein Dutzend Bands spielte Konzerte, Autoren lasen Texte, DJs legten Musik auf. Tausende Menschen haben insgesamt auf die Streams und archivierten Videos zugegriffen. Für Smotlacha ist die Streamingkultur in der Corona-Krise ein großer Erfolg. Igor Levit blieb unerreicht: Viele Künstler und Kulturstätten setzten zu Beginn auf Liveübertragungen. In der Villa Seligmann spielte zum Beispiel das Kuss Quartett Beethoven. Das Schauspiel zeigte „Antigone. Ein Requiem“, und Heinz Rudolf Kunze gab ein Wohnzimmerkonzert auf Youtube. Doch nur die Hauskonzerte von Igor Levit erreichten regelmäßig mehrere Zehntausend Zuschauer. Viele Veranstalter halten trotzdem an dem Format fest. Noch. Einer der ersten Anbieter von Livestreams war das Theater am Küchengarten. Gemeinsam mit der Firma Tonlichter wurden Auftritte von Matthias Brodowy und dem Duo Das Geld liegt auf der Fensterbank, Marie übertragen und um Spenden für das Theater und für Künstler gebeten. „Die ersten Sendungen haben mehr als 300 Menschen gesehen“, sagt Theaterbetreiber Jan-Hendrik Schmitz. Viele Zuschauer spendeten auch. Ein fünfstelliger Betrag kam zusammen. „Wir sind unseren Gästen dafür sehr dankbar. Aber die Einnahmen entsprechen nur einem Bruchteil der üblichen Umsätze“, sagt Schmitz, der die Kabarettbühne im Januar 2019 übernommen hat. „Wir stehen wirtschaftlich stabil da. Ich hätte nur lieber in das Theater investiert als ums Überleben zu kämpfen.“ Die Streamingkultur habe zumindest geholfen, die Stammgäste zu erreichen. „Dafür hat es sich gelohnt“, meint Schmitz. Die Reihe läuft nun aus. Desimo verkauft virtuelle Eintrittskarten: Auch Entertainer Desimo hat auf eine Liveübertragung, um den Comedypreis Spezialist zu vergeben. Virtuelle Eintrittskarten für die Show konnten für jeweils 9,90 Euro erworben werden. Wiederholungen eingerechnet, schauten insgesamt 2200 Menschen zu – mehr als eigentlich ins ursprünglich angedachte Theater am Aegi passen. „Bei der Show wurden alle Beteiligten ordentlich bezahlt. Aber die Summen decken die derzeitigen Ausfälle natürlich nicht“, sagt Desimo. Trotzdem denke er nun über digitale Konzepte nach. Aber: „Man müsste neue Formate entwickeln, denn Shows einfach abzufilmen reicht nicht.“ Streamingkultur dient der Künstlerförderung: Der Reihe Local Players in Concert ging es indessen weniger um Zuschauerzahlen, sondern um eine aktive Förderung der Musiker. Mehr als 25 Konzerte hat der Verbund aus Region Hannover, Unesco City of Music, den Netzwerken kreHtiv und Zwaem sowie dem Musikzentrum veranstaltet. Clubs von Feinkost Lampe bis zum Jazz Club übernahmen die Patenschaft für einzelne Übertragungen. Mal schauten 100 Menschen zu, mal 1000. „Uns ging es darum, pro Musiker 300 Euro Gage zu zahlen und Musiker so aktiv zu unterstützen“, sagt Gunnar Geßner. Darum sei das Konzept aufgegangen. Zur Fête de la Musique am 21. Juni endet die Reihe. Mehr Konzerte am Schloss Herrenhausen: Felix Reinhold organisierte mit seiner Firma Allstars am Schloss Herrenhausen sechs Konzertabende samt Illumination. Es blieb beim Applaus der Passanten am Rand des abgesperrten Schlosshofs und dem Lob Hunderter digitaler Zuschauer. „Wir wollten die Kultur sichtbar machen und ein positives Zeichen in der Corona-Zeit setzen“, sagt Reinhold. Nun will das Team nachlegen. Ab dem 19. Juni soll es weitere Konzerte geben. Anträge laufen. „Wir setzen zudem vor Ort auf ein Spendenschwein und eine Crowdfundingaktion auf unserer Internetseite “, sagt Reinhold. Neues Fachwissen erworben: Im Kulturzentrum Faust ist mittlerweile aus der TV-Idee eine richtige Kulturproduktion geworden. Für die ersten zehn Folgen übernahm das Kulturbüro kleine Gagen. Die Region Hannover hat eine Unterstützung über einen Fonds zur digitalen Professionalisierung in Höhe von 20.000 Euro in Aussicht gestellt. Weitere Anträge sind gestellt. „Faust steht ja nicht nur für Musik und Kunst. Wir sind auch ein Zentrum für zahlreiche politische Vereine. Denen können wir in der Krise eine Stimme geben“, sagt Smotlacha. Die Technik und das Fachwissen sollen auch nach dem Ende aller Corona-Maßnahmen zum Einsatz kommen – von der digitalen Diskussionsrunde bis hin zu Trailern für Veranstaltungen. „Insgesamt war es ein richtiger Schritt, in dieser Situation auf digitale Kultur zu setzen“, sagt Smotlacha. Lesen Sie auch: Kultur im Stream: Schauspielhaus Hannover zeigt wegen Corona-Krise ganze Theaterstücke im Internet – und testet neue Formate Theater im Netz in Zeiten von Corona? Jonas Vietzke vom Theater an der Glocksee in Hannover hat Zweifel Von Jan Sedelies