Mehrere verletzte Polizisten, ein schwer verletzer Demonstrant und zehn Gewahrsam- oder Festnahmen – das ist die vorläufige Bilanz der zahlreichen Proteste gegen den Bundesparteitag der AfD am Sonnabend in Hannover. Bevor am Nachmittag mehrere tausend Menschen freidlich vom Veranstaltungsort des Parteitreffens, dem HCC, durch die Innenstadt zum Georgsplatz gezogen waren, hatte es am Morgen und in den Vormittagsstunden an verschiedenen Stellen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei gegeben. Die Beamten setzten zum Teil Schlagstöcke, Pfefferspray und einen Wasserwerfer ein.
Am heftigsten gingen die Einsatzkräfte an der Kreuzung Schackstraße/Gneisenauer Straße gegen Demonstranten vor. Rund 100 AfD-Gegner hatten sich kurz vor Beginn des Einlasses zum Parteitag auf die Kreuzung gesetzt und sie blockiert. Weil einige von ihnen Regenschirme und gepolsterte Transparente mit sich führten – Gegenstände, die aus Sicht der Polizei zur sogenannten Schutzbewaffnung zählen – gingen die Beamten immer wieder in die Gruppe hinein und nahmen den Protestierenden die Schirme und die Spruchbänder ab. Dies führte zu Unmut bei den Blockierern.
Nachdem die Polizei die Demonstranten mehrfach aufgefordert hatte, die Kreuzung freiwillig zu räumen, die Blockierer aber nicht von der Kreuzung wichen, setzte die Polizei bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt schließlich einen Wasserwerfer ein, um den Verkehrsknotenpunkt wieder befahrbar zu machen. Dies führte in linken Kreisen schnell zu heftiger Kritik: So protestierte auch der Landesverband von Die Linke dagegen.
An der Ecke Kleefelder Straße/Plathnerstraße hatten sich zwei Demonstranten in eine Art Pyramine aus Metall festgekettet, um die Straße zu blockieren. Einer der beiden wurde verletzt und kam mit zwei gebrochenen Beinen ins Krankenhaus, nachdem die Polizei eingeschritten war. Die genauen Umstände sind noch unklar. Der zweite Festgekettete gab freiwillig auf und ließ sich festnehmen.
In einem Demonstrationszug ging es gegen Mittag friedlich vom Theodor-Heuss- bis zum Georgsplatz zur Abschlusskundgebung, zu der Gewerkschaften, Kirchen und Vertreter verschiedener Parteien aufgerufen hatten, waren mehrere tausend Menschen gekommen. Die Polizei spricht von 6500, die Veranstalter von rund 10.000. In seiner Rede verurteilte Probst Martin Tenge das Menschenbild der AfD: „Die Partei propagiert ein ausgrenzendes Menschenbild“, sagte er.
tm/man/sbü
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