Üstra: Erste Hinweise, warum Schnee und Eis Hannovers Stadtbahnen lahmlegten

Die Üstra hat turbulente Tage hinter sich. Der Wintereinbruch am vorvergangenen Sonntag, die heftigen Schneefälle der folgenden Tage sowie starker Frost haben die Stadtbahnen zunächst komplett lahmgelegt. Nach und nach gingen Streckenabschnitte dann wieder in Betrieb. Immerhin konnte das Unternehmen am Freitagnachmittag die restlichen, bisher noch fehlenden Abschnitte der Linien 1 und 2 im Süden Hannover nach Sarstedt und Rethen und damit das Gesamtnetz wieder in Betrieb nehmen. Das war früher als befürchtet. Instandhaltung leistet ganze Arbeit: „Das Tauwetter und die enorme Leistung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben das bewirkt“, sagt Sprecher Udo Iwannek. 20 Instandhaltungstrupps seien auch unter schwierigen Witterungsbedingungen im Einsatz gewesen. Die Ursachenforschung darüber, wie es zu der bundesweit weitgehend beispiellosen und gleichzeitig einer der größten Pannen in der langen Unternehmensgeschichte der Üstra kommen konnte, läuft noch – und damit gleichzeitig die Beantwortung der Frage, wie winterfest Hannovers Stadtbahnverkehr eigentlich ist. Gedanken – nach Informationen der HAZ auch innerhalb der Belegschaft – gehen in die Richtung, dass die Winterschäden zumindest kleiner ausgefallen wären, wenn die Stadtbahnen ihren Betrieb während der Schneefälle früher eingestellt hätten. Warten auf das TÜV-Gutachten: Die Üstra hält sich einstweilen bedeckt; sie hat den TÜV Nord mit einer Untersuchung beauftragt. „Wir hoffen, die Erkenntnisse in der kommenden Woche präsentieren zu können“, erklärt Iwannek. So gibt es bisher nur dünne Auskünfte, vage Andeutungen und Vermutungen – aber auch erste Hinweise. Eine Bestandsaufnahme: Wie umfangreich ist der Schaden? Anfänglich war von bis zu 50 Stellen die Rede, an denen Gleisnebenanlagen in die Höhe gedrückt wurden und so einen sicheren Bahnverkehr unmöglich gemacht haben. Mittlerweile wurden rund 100 gefunden. Sie verteilen sich über das gesamte Netz und betreffen sowohl Betonplatten als auch Bitumen- und Asphaltpflasterungen. Die Schäden sind zum Teil an erst in jüngerer Vergangenheit gebauten Abschnitten aufgetreten, zum Teil an solchen, die schon länger vorhanden sind. Es lässt sich also kein einheitliches Muster erkennen. Außerdem hat Hannover das Problem in diesem Ausmaß alleine – beim Dachverband der Verkehrsunternehmen, dem VDV, ist kein vergleichbarer Fall bekannt. Was sind mögliche Ursachen? Darüber soll das TÜV-Gutachten näheren Aufschluss bringen. Bisher gibt es zwei Vermutungen, die die Üstra selbst angestellt hat. „Auch eine Kombination von beiden ist möglich“, erklärte die für die Infrastruktur zuständige Vorständin Elke van Zadel. Sind die Stadtbahnen zu lange gefahren? Eine der beiden Vermutungen besagt, dass fahrende Bahnen Schnee unter die Gleisnebenanlagen gedrückt und diese so angehoben haben. Dann stellt sich die Frage, ob dies zu vermeiden gewesen wäre, wenn die Üstra den Stadtbahnverkehr früher eingestellt hätte. „Das ist derzeit Spekulation“, sagt Iwannek. Auffällig ist in jedem Fall, dass die Üstra den Verkehr in Hannover erst am Mittwochmorgen vergangener Woche komplett beendete, nachdem erste Schäden entdeckt worden waren. Das war dreieinhalb Tage nach Beginn der Schneefälle. In anderen Städten wie Braunschweig, Bielefeld oder Leipzig blieben die Bahnen bereits von Montagfrüh an in den Depots. Was könnte der Frost bewirkt haben? Vermutung Nummer zwei lautet, durch die heftigen Regenfälle vor dem Schneefall könnte Wasser in den Untergrund gelaufen sein und sich beim dann einsetzenden Frost ausgedehnt haben. Dieser Effekt ist vor allem für die angehobenen Betonplatten mögliche Ursache. Wenn es so gewesen ist, bleibt einstweilen offen, wie das Wasser unter die Platten gelangte. Pfusch am Bau schließt die Üstra nach wie vor aus. Wie ist das mit dem Winterdienst? „Die Üstra besitzt im Gegensatz zu anderen Verkehrsunternehmen kein Fahrzeug mehr, dass im oberirdischen Schienennetz Schnee räumen kann“, beklagt ein ehemaliger Mitarbeiter gegenüber der HAZ. Dazu wollte die Üstra am Freitag nicht Stellung nehmen. Sie hatte aber zuvor bestätigt, dass 2017 drei Schneepflüge aus Altersgründen abgeschafft worden sind, die zuvor bei entsprechender Witterung auf den Gleisen und den Betriebshöfen im Einsatz waren. Als Ersatz kaufte die Üstra drei Unimogs. Nach Angaben des ehemaligen Mitarbeiters können zwei davon zwar räumen, dürfen aber nur an Übergängen oder im Gleisrandbereich, nicht aber auf den Schienensträngen selbst eingesetzt werden. Ob es was geholfen hätte, ist eine andere Frage: In Braunschweig ist eine Bahn mit angedocktem Pflug ziemlich bald nach Einsetzen des Schneefalls in einer Wehe entgleist. Streusalz hat die Üstra nach Auskunft von Iwannek im Rahmen des in Hannover Erlaubten eingesetzt. Sind die Reparaturen abgeschlossen? Nein. „Wir werden an den meisten Stellen nacharbeiten müssen“, kündigt Iwannek an. Immerhin seien weder Gleise noch Betonplatten beschädigt worden. Dadurch könnten sich die anschließenden Arbeiten auf Fugenverguss beschränken. Dies werde Betriebsbehinderungen mit sich bringen, aber lange Sperrpausen seien nicht zu erwarten. Was kostet die Angelegenheit? Das muss laut Üstra noch präzise ermittelt werden; sie gibt derzeit auch keine Schätzungen ab. Die Schadensbehebung hat nach Angaben von Iwannek im Interesse der Fahrgäste Vorrang gehabt. Wie reagiert die Politik? Erwartungsgemäß nicht begeistert. In der für den Nahverkehr zuständigen Regionsversammlung spricht die Fraktion „Die Region“ von Totalversagen. „Busse und Bahnen haben sich nicht als verlässlich erwiesen“, sagt Swantje Michaelsen (Grüne). „Es kann nicht sein, dass Bahnen nicht fahren, sobald es schneit“, kritisiert Michael Fleischmann (Linke). Die beiden großen Fraktionen SPD und CDU, die gemeinsam die Mehrheit in dem Gremium haben und auch die Eigentümerseite im Üstra-Aufsichtsrat dominieren, halten sich dagegen bisher mit Kritik zurück. In jedem Fall hat der Verkehrsausschuss der Region für die März-Sitzung einen umfangreichen Bericht zu der Problemstellung eingefordert, wie wintertauglich Hannovers Nahverkehr ist. Von Bernd Haase