Vor 55 Jahren begann der U-Bahn-Bau in Hannover

Preisfrage: Wann würdigt man den 55. Geburtstages eines Ereignisses? Antwort: Wenn man den 50., also das eigentliche Jubiläum, schlichtweg vergessen hat. „Das flutschte damals irgendwie durch“, sagt Klaus Abelmann, Sprecher der Region Hannover. Dabei ist die Angelegenheit, um die es hier geht, für Hannovers Stadtgeschichte und für die Stadtentwicklung von herausragender Bedeutung: Am Waterlooplatz begann der U-Bahn-Bau in der Landeshauptstadt. Lesen Sie auch: Üstra-Geschichte: Als die Stadtbahn bis nach Hildesheim fuhr Historische Sätze mit aktuellem Inhalt: „Werden Straßen und Plätze so ausgeweitet, dass sie auch künftig noch den Autos genügend Raum bieten, dann bleibt kein Platz mehr übrig für Geschäfte, Läden und Büros – kurzum für die Häuser, die eine City erst ausmachen. Es gibt dann sehr schöne Straßen, aber es lohnt nicht mehr, auf ihnen zu fahren, weil die Ziele verschwunden sind“. Diese Sätze klingen irgendwie aktuell, stammen aber vom 23. Juni 1965. Gesagt hatte sie Stadtbaurat Rudolf Hillebrecht, als der Rat den U-Bahn-Bau beschloss. „Hillebrecht hatte sich damit vom Gedanken der autogerechten Stadt verabschiedet“, erklärt Klaus Scheelhaase, Leiter des eigens für das Mega-Projekt gegründeten U-Bahn-Bauamtes. Der Netzplan des Professors: Den Gedanken, eine sogenannte Unterpflasterbahn zu bauen, hatten die Stadtväter schon länger gehegt. 1962 beauftragten sie dann den Berliner Professor Bruno Wehner, einen Netzplan zu entwickeln. Sein Konzept mit vier sich mehrfach im Innenstadtbereich kreuzenden Linien, die den Fahrgästen schnelles Umsteigen und den Bahnen störungsfreies Fahren ermöglichen sollten, wurde die Grundlage für Hannovers neues Nahverkehrssystem. Verkehrswende beginnt am 16. November 1965: Nur fünf Monate nach dem Ratsbeschluss versammelten sich Honoratioren am Waterlooplatz zum Baustart. Er war wegen seiner Weitläufigkeit gut geeignet dafür. Chroniken vermerken den 16. November 1965, Punkt 10.31 Uhr, als der damalige Oberbürgermeister August Holweg das Kommando „Ramme los“ gab. Daraufhin rammte das entsprechende Gerät einen zur Feier des Tages silbern lackierten Doppel-T-Träger als erstes Element der Baugrubenstützwände in den Boden. Kleine Anfänge im kalten Winter: „Es war damals bitterkalt. Das Bier, das zum Anstoßen bereit stand, war angefroren“, erzählt Bernd Kosiek, ehemals technischer Direktor der Üstra. Das Winterwetter im Herbst hatte Folgen. Wegen Schneemassen und Minusgraden musste die Baustelle zeitweilig ruhen, obwohl der erste Bauabschnitt mit einer 140 Meter langen Zufahrtsrampe in der Gustav-Bratke-Allee sowie einem 70 Meter langen Tunnelstück nicht gerade üppig bemessen war. Zehn Jahre Wühlerei im Herzen der Stadt: Was folgte, war eine zehnjährige Wühlerei im Herzen von Hannover, die den Nerven unter anderem der Geschäftsleute vieles abverlangte. „Ich erinnere mich noch an die Baustelle am Kröpcke. Wir sind dort oft hingefahren“, sagt Regionspräsident Hauke Jagau, der sich mit Scheelhaase, Kosiek, dem heutigen Üstra-Vorstandsvorsitzenden Volkhardt Klöppner und einigen anderen zu einem kleinen Festakt in der Station Waterloo getroffen hatte. Kein Wunder: Das Loch für die U-Bahn am Kröpcke war 10.000 Quadratmeter groß und 25 Meter tief. Am 26. September 1975, auch hier haben die Chronisten genau hingesehen, lief um 12.48 Uhr eine grüne Stadtbahn auf Gleis 3 in der Tunnelstation Hauptbahnhof ein. Das Musikkorps der Feuerwehr intonierte „So ein Tag, so wunderschön wie heute“. Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg sprach von einem „Jahrhundertereignis für die Stadt“, enterte dann den Führerstand und steuerte den ersten Zug, in dem Hannoveraner als Fahrgäste mitfahren durften. Aus der U-Bahn wird die Stadtbahn: Und heute? Das Wort U-Bahn trifft nicht mehr zu. „Pläne, die Stadt auch in den zentrumsfernen Gebieten zu untertunneln, wurden wegen der langen Bauzeiten und der Kosten fallen gelassen“, erinnert sich Scheelhaase. Deshalb blieb man in den Außenbereichen über der Erde und nannte das Gesamtsystem Stadtbahn. Trotzdem erwiesen sich die damaligen Planungen als weitblickend. Das Netz ist bislang nicht an seine Leistungsgrenzen gekommen, kann Verkehrsbelastungen bei Großveranstaltungen wie Messen oder Konzerten verkraften und wurde und wird – aktuell nach Hemmingen – ständig erweitert. „Das heutige lebenswerte Hannover wäre ohne Stadtbahn undenkbar“, sagt Üstra-Chef Klöppner. „Wir steigen heute in eine Bahn und nutzen das Stadtbahnnetz wie selbstverständlich. Wenn man aber bedenkt, dass dies noch vor einem halben Jahrhundert nicht da war, wird die enorme Leistung bewusst, die damals erbracht wurde“, betont Regionspräsident Jagau. August Holweg hatte es geahnt: „Der Bau einer Untergrundbahn ist ein Ereignis von historischer Bedeutung für Baugeschichte unserer Stadt“, sagte er damals am bitterkalten Novembertag vor 55 Jahren, als Hannover am Waterlooplatz begann, sich in die Zukunft zu rammen.... 1 Betriebsleitstelle an der Glocksee, aus der der Verkehr überwacht wird....3 Betriebshöfe in Döhren, Vahrenwald und an der Glocksee... 12 Linien, dazu kommen nach Bedarf zwei sogenannte Veranstaltungslinien... 122 Kilometer Streckenlänge, davon 19 im Tunnel... 196 Haltestellen, davon 19 als Tunnelstationen. Bisher sind 133 von ihnen barrierefrei.... 325 Wagen dreier Typen: Die Grünen, die Silberpfeile und der TW 3000, für den nie ein Spitzname gefunden wurde.... 471.000 Fahrgäste im Tagesdurchschnitt 2019 (das laufende Jahr zählt wegen Corona nicht).... 27.000.000 Kilometer Fahrleistung pro Jahr, die die Stadtbahnen zurücklegen... 1.200.000.000 Euro, die im Lauf der Jahre seit 1965 als Investitionen in das Netz geflossen sind. Von Bernd Haase