Abzocke im Netz: Gutscheinbetrüger verkauften Tausende wertlose Coupons

Rainer Brehm (Name von der Redaktion geändert) wollte sich etwas gönnen. 20 Minuten Ferrari fahren für 49 Euro. Das „perfekte Geschenk für echte Männer“ buchte er beim Anbieter Erlebnisgeschenke-Geschenkideen.de. Doch von innen sah er den Supersportwagen nie. Den ersten Termin im Juni 2013 sagte die Firma wegen schlechten Wetters ab – doch es regnete an diesem Tag noch nicht einmal. Der Ersatztermin im Oktober platzte, so die Mitteilung per E-Mail, weil der Ferrari von einem Lkw gerammt worden sei und in der Werkstatt stehe. Als der 39-Jährige sein Geld wiederhaben wollte, wurde er mit der Nachricht konfrontiert, das Unternehmen sei insolvent. Rainer Brehm ist einer von mehr als 20.000 Geschädigten, denen nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft Hannover zwischen 2012 und 2014 wertlose Wertgutscheine angedreht wurden. Anklage ist 102 Seiten lang: Wegen diverser Betrugsstraftaten und zweifachen schweren Bankrotts müssen sich derzeit vor dem Landgericht Hildesheim drei Männer und eine Frau verantworten; an allen Taten beteiligt gewesen sein soll aber nur Sascha G. (45). Er lebt ebenso wie seine frühere Ehefrau Maria G. (35) und Torsten J. (54) am Rande der Region Hannover nahe dem Steinhuder Meer, der 58-jährige Andreas L. im Landkreis Hildesheim. Die Staatsanwaltschaft wirft den vier Angeklagten auf 102 Seiten vor, Tausende von Schnäppchenjägern übers Ohr gehauen zu haben. Sascha G. und Andreas L. haben die technischen Abläufe des Gutscheinvertriebs teilweise bestätigt, behaupten aber, sie hätten nie jemanden betrügen wollen. Die vier sollen per Newsletter, Onlineanzeigen und TV-Werbung für Gutscheinportale wie Wertgutscheinwelt.de, Geschenkgutschein.tv, Yourdays.tv oder Coupondeal.tv geworben haben; der Domain-Name .tv steht für den Inselstaat Tuvalu, im Pazifik nördlich der Fidschi-Inseln gelegen. Etliche der Rechnungen für Werbung bei Bild.de, RTL oder auf verschiedenen Internetportalen wurden nie beglichen, laut Anklage blieben die Betrüger diesen Firmen rund 100.000 Euro schuldig. Insgesamt sollen die vier Betrüger einen Schaden von 690.000 Euro verursacht haben. Auch ein 69-Jähriger aus Hamburg zählte zu den Zeugen, die am Mittwoch vor der 1. Großen Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht Hildesheim aussagten. Seine Spritztour in einem Ferrari sollte 2014 auf einem McDonald’s-Parkplatz in Harburg starten, doch auch er bekam von der Firma Erlebnisgeschenke-Geschenkideen.de die Mitteilung, dass der flotte Flitzer leider defekt sei. Der Rentner war schlussendlich doppelt gekniffen, hatte er doch auf Aufforderung zusätzlich noch 50 Euro Benzingeld und vier Euro Buchungsgebühr überwiesen. Anrufe im Servicecenter des Gutscheinanbieters wurden nicht angenommen, und irgendwann bekam auch dieser Kunde die traurige Kunde gemailt, das Unternehmen habe seine Geschäftstätigkeit „aufgrund anhaltender Differenzen mit dem Finanzamt“ einstellen müssen. Im Internet tummeln sich etliche Firmen, die besondere Erlebnisse offerieren: vom Fallschirmspringen über Ballonfahren, vom Survivalcamp bis zum Segelkurs. Die meisten dieser Firmen halten, was sie versprechen, und auch die derzeit unter Betrugsverdacht vor Gericht stehenden Unternehmer sollen den einen oder anderen Kunden mit einem Gegenwert für seine Buchung beglückt haben. Doch das grundlegende Geschäftsprinzip hieß hier offenbar Abzocke. So soll die Insolvenz von zwei Gutscheinportalen laut Staatsanwaltschaft darauf beruhen, dass die Geschäftskonten für private Zwecke geplündert wurden. Tankgutschein zum halben Preis: Die Geschädigten stammen aus Hannover und kleineren Regionskommunen ebenso wie aus dem ganzen Bundesgebiet. Ein 78-jähriger Pensionär aus St. Andreasberg erzählte der von Richter Jürgen Braumann geleiteten Kammer, er sei auf eine andere Masche hereingefallen: Er habe seiner Tochter einen Aral-Tankgutschein im Wert von 50 Euro schenken wollen, für den er nur 25 Euro bezahlen musste. Diesem Versprechen, gegen Vorkasse von angeblichen Superschnäppchen zu profitieren, fielen Tausende leichtgläubiger Kunden zum Opfer. Dabei warben die Betrüger mit bekannten Markennamen wie Douglas, Zalando, Starbucks und Mövenpick, köderten die Interessenten mit Rabatten bar jeglicher Seriosität. Doch schlussendlich erstattete nur ein kleiner Kreis der Geschädigten Anzeige. „Ich wollte dazu beitragen“, erklärte der Harzer Pensionär, „dass die Betrüger nicht noch mehr Leute abzocken“. Die Wirtschaftsstrafkammer hat etliche Zeugen geladen, zur Aufklärung des massenhaften Betrugs mit mehreren Tatkomplexen sind bislang 18 Verhandlungstage angesetzt. Ein 27-jähriger Wunstorfer, der offenbar mit den derzeit in Hildesheim angeklagten Geschäftsleuten zusammenarbeitete, wurde schon 2017 vom Landgericht Hannover zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Im Zuge eines Deals hatte der Familienvater ein Geständnis abgelegt und das damalige Verfahren damit entscheidend verkürzt. Der 27-Jährige gab zu, 2014 unter Internetadressen wie Coupondeal.tv massenhaft Gutscheine von Firmen wie Aral, Zalando oder Rewe verkauft zu haben – zum halben Preis, aber letztendlich ohne Gegenwert. Damals konnte die Staatsanwaltschaft Hannover rund 100.000 Euro sicherstellen, die sich auf einem Geschäftskonto angesammelt hatten. Schon seit 2009, so teilte die Anklagebehörde mit, habe man gegen die Gutscheinbetrüger ermittelt. Der Verteidiger des Wunstorfers warf den geneppten Kunden im Zuge des damaligen Prozesses „grob fahrlässiges Verhalten“ und eine Mitschuld vor: Auf der Jagd nach Superschnäppchen hätten sie nach dem Motto „Gier frisst Hirn“ gehandelt. Lesen Sie auch: Vorsicht Falle! So erkennen Sie Fake Shops im Internet Von Michael Zgoll