Homeschooling in Niedersachsen: Zwei Schüler aus Hannover erzählen

Mit Beginn der Coronapandemie im Frühjahr wurde kurzfristig beschlossen, den Heimunterricht einzuführen. Während der Sommer- und Herbstzeit ging es zurück in die Schule, doch seit dem Ende der Weihnachtsferien müssen bis auf Grundschüler und Schüler der Abschlussklassen in Niedersachsen wieder zu Hause lernen. Aber wie läuft diese zweite Runde des Homeschoolings ab? Zwei Schüler aus Hannover berichten anonym. Finn*, 13 Jahre, geht in die 7. Klasse eines Gymnasiums in Hannover: „Im Vergleich zum Frühjahr ist das Homeschooling schon besser geworden, aber die gesamte Situation ist echt nicht toll. Es gibt keine wirkliche Interaktion mit den Lehrern. Wir machen keine Videokonferenzen, sondern immer nur Aufgaben, die sie uns geben. Im Frühjahr hatten wir insgesamt zwei Konferenzen, bis jetzt gab es noch keine. Ich denke, es wäre besser, wenn man das regelmäßig machen würde. Denn ich habe das Gefühl, viel weniger als sonst zu lernen. Es gibt Aufgaben, die man sich sehr gut alleine erklären kann, aber es gibt auch welche, die ich nicht verstehe. In der Schule hilft dir in solchen Fällen der Lehrer. Jetzt kann man natürlich den Lehrer anschreiben, aber ich mache es meistens so, dass ich mit den Leuten aus meiner Klasse telefoniere. Dann lösen wir die Aufgaben zusammen. Das klappt meistens auch gut. Oder man löst alle Aufgaben selbst, wenn man ein Fach gut kann und lässt dann die Freunde abschreiben. Und in anderen Fächern schreibe ich dann von meinen Freunden ab. Ich vermisse es, sie jeden Tag zu sehen und mit ihnen auf dem Schulhof zu sitzen.“ Fremdsprachunterricht wird im Homeschooling zum Problem: „Auch der Fremdsprachenunterricht läuft schlecht. Ein Sprachlehrer war nie da, als wir noch Unterricht in der Schule hatten, weil er zur Risikogruppe gehört. Sein Unterricht ist generell nicht so gut, aber jetzt im Homeschooling ist es noch schlimmer. Gestern habe ich eine Aufgabe gemacht, die ich schon mal vor ein paar Monaten in der Schule gemacht habe. Ich frage mich auch, wie ich jetzt das Sprechen der Sprache lernen soll.“ „Ich bin technisch gut ausgestattet und habe morgens die Wahl zwischen zwei Computern und einem Laptop. Ich kann gut mit Computern umgehen, aber es gibt auch Lehrer, die von Technik nicht so viel verstehen. Eine Lehrerin verschickt manchmal aus Versehen E-Mails vom Konto ihres Sohnes, weil sie sich einen Laptop teilen. Es war auch öfters so, dass Iserv nicht funktioniert hat und ich keine Aufgaben abgeben konnte. Einmal habe ich meine Aufgaben dort hochgeladen, aber irgendwie sind meine Lösungen nicht angekommen. Dann hat der Lehrer meine Eltern benachrichtigt und mit mir geschimpft, obwohl ich eigentlich alles pünktlich abgegeben hatte. Im Moment gibt es immerhin keine Klassenarbeiten. Das ist der einzige Vorteil gerade.“ Henriette*, 19 Jahre, besucht die 12. Klasse: „Das Homeschooling ist sehr anspruchsvoll. Vom Umfang ist es viel mehr, als das, was man in der Schule machen würde und der Stoff ist viel zu komplex, um ihn selber zu erarbeiten. Alle meine Klassenkameraden machen die Aufgaben, aber sie sagen auch, dass sie dabei nicht wirklich etwas lernen. Nur von zwei Lehrern bekomme ich regelmäßig Feedback zu meinen Lösungen. Deswegen habe ich keine große Motivation zum Lernen. Man macht die Aufgaben nur, um nicht mit null Punkten bewertet zu werden. Ich habe vor kurzem zufällig erfahren, dass alle meine fertigen Aufgaben im gesamten letzten Monat bei den Lehrern nicht angekommen sind. Ich frage mich, wieso keiner von ihnen nachgefragt hat. Viele Lehrer haben anscheinend meine Null-Punkt-Leistung einfach hingenommen. Die Zusammenarbeit zwischen den Lehren und Schülern funktioniert überhaupt nicht.“ Nur schriftliche Leistungen zählen: „Ein Problem ist auch die Notenvergabe. Ich bringe mündlich sehr gute Leistungen, habe aber im schriftlichen Bereich Schwierigkeiten. Das ist jetzt die schlimmste Situation für mich. Das hat sich auch in meinen Noten gezeigt. Es gibt zur Zeit aber keine Möglichkeit, die Noten zu verbessern. Manche Lehrer sagen, dass wir uns melden sollen, falls wir mit den Aufgaben nicht klar kommen. Die meisten Schüler wollen einen guten Eindruck machen und sagen deswegen aber nichts.“ Videokonferenzen verdienen ihren Namen nicht: „Nur die Lehrer, die es persönlich für richtig halten, machen Videokonferenzen. In den anderen Fächern ist man ganz auf sich allein gestellt. Wir nennen sie zwar Videokonferenzen, aber eigentlich sind es nur Audiokonferenzen, weil die Lehrer und die Schüler sich nicht zeigen. Die Videokonferenzen sind auch nicht mit dem normalen Unterricht zu vergleichen, denn wir besprechen nur die Ergebnisse der Aufgaben. Ich finde eher, man sollte in ihnen zusammen etwas Neues erarbeiten.“ „Oft funktioniert das Konferenz-Programm auch nicht. Dann weicht man auf ein anderes aus und alles dauert viel länger als geplant. Es ist ein Durcheinander. Es wäre gut, wenn wir uns noch im Präsenzunterricht auf das Homeschooling vorbereitet hätten. Da hätte man jedem eine Einführung in die Programme geben können und vieles würde jetzt besser funktionieren. Auch bei den Uhrzeiten herrscht Chaos. Manche Lehrer halten sich mit den Konferenzen an den Stundenplan, andere machen 19 Uhr abends eine Konferenz. Sie haben kein Verständnis, wenn man abends keine Zeit hat, weil man dann zum Beispiel arbeitet. Manche Konferenzen wurden auch so oft verlegt, dass am Ende nur drei Leute teilgenommen haben oder sie wieder ganz abgesagt wurde.“ Manche Schüler sind technisch nicht gut ausgestattet: „An unserer Schule gibt es auch oft das Problem, dass viele Schüler einen Laptop haben, aber kein Mikrofon. Dann sitzen sie einfach da und hören bei den Konferenzen zu, können aber keinen Beitrag leisten. Nicht jeder Schüler hat finanziell die Möglichkeit sich einfach ein Mikrofon zu kaufen. Die Schule stellt uns nichts zur Verfügung. Viele haben auch kein eigenes Zimmer. Wer kleine Geschwister hat, hat es echt nicht leicht. Mir fällt es schon manchmal schwer, mich zu konzentrieren, obwohl ich ein eigenes Zimmer habe. Jeder hat seine Umstände. Aber dafür haben die Lehrer nicht so viel Verständnis, habe ich den Eindruck. Ich habe einen Minijob in der Gastronomie, wo ich ein paar Stunden in der Woche arbeite. Wenn ich mich sonntags in den Schichtplan auf der Arbeit eintrage, weiß ich aber oft noch nicht, wie meine Woche aussehen wird, weil die Konferenzen so oft verlegt oder ganz kurzfristig angekündigt werden. Aus diesem Grund und wegen des großen Workloads habe ich beschlossen, dass ich den Minijob nicht mehr machen werde.“ Sorge um das Abitur: „Wäre ich jetzt in der 10. Klasse, fände ich das alles vielleicht noch ganz lustig. Aber jetzt ist es etwas anderes, weil ich in der 12. Klasse bin. Jetzt werden die Grundlagen fürs Abitur gelegt. Vor dem Abi nächstes Jahr habe ich große Angst. Ich hoffe, dass die Regeln für die Schule sich Mitte oder Ende dieses Jahres lockern und wir wieder normalen Präsenzunterricht haben. Oder man sollte einige Themen aus dem Lehrplan streichen, wie es beim letzten Abijahrgang gemacht wurde. Obwohl die Vorbereitungszeit aufs Homeschooling inzwischen fast ein Jahr beträgt, ist es insgesamt immer noch ein totales Durcheinander. Ich finde, besonders in Deutschland sollte es möglich sein, das Homeschooling viel besser zu machen.“ * Die Namen wurden von der Redaktion geändert. Von Inga Schönfeldt