Schulorchester und Chöre dürfen wegen Corona nicht proben: Niedersachsens Schulen bangen um ihre Musikprofil

Weil wegen der Corona-Krise auch im neuen Schuljahr jahrgangsübergreifende Ensembles wie Schulchöre, Schulorchester und Theatergruppen nicht zusammen proben dürfen, bangen viele Schulen um ihr Musikprofil. „Unseren Verband erreichen zunehmend Hilferufe von Schulen“, berichtet Martin Weber, Vorsitzender des Landesverbandes Deutscher Schulmusiker aus Großenkneten (Kreis Oldenburg), selbst Musiklehrer an einem Gymnasium in Cloppenburg. Zwei Jahrgänge dürfen zusammen proben, mehr nicht: Nicht betroffen von der Einschränkung sind Bläser- oder Chorklassen, denn ganze Klassen dürfen aller Voraussicht nach ab Ende August wieder zusammenkommen. Auch Gruppen, in denen sich zwei Jahrgänge mischen, sind erlaubt, im Schulchor oder -orchester sind aber meist alle Klassenstufen vertreten ebenso in Theater-Arbeitsgemeinschaften. Es sei aber nicht zielführend, nur mit Teilgruppen eines Ensembles zu proben, sagt Weber, zumal die Schüler auch nicht durch die Aussicht auf ein Konzert motiviert werden könnten. Denn Schulaufführungen sind weiterhin verboten. Schüler fehlen und vielleicht auch Lehrer: Die Existenz der Schulensembles, oft Ergebnis jahrelanger Aufbauarbeit, stünde auf dem Spiel, warnt Weber. Zum einen hätten die Schüler seit März nicht mehr zusammen geübt und die Gefahr sei groß, dass sie sich lieber Hobbys zuwendeten, zum anderen fehlten vielleicht die Lehrer. Denn im neuen Schuljahr solle die Sicherung des Pflichtunterrichts im Fokus stehen. Somit würden die Musiklehrer für ihre Leitung von Ensembles gar keine oder nur noch reduzierte Anrechnungsstunden bekommen und ihr Engagement womöglich einstellen, selbst wenn theoretisch wieder geprobt werden könnte. Die Anziehungskraft von Schulen mit Chor- oder Bläserklassen sinke, wenn es kein Schulchor oder Schulorchester gebe, in denen die Kinder weiter musizieren könnten. Chöre proben via Videokonferenz: An der Schillerschule in Hannover haben sich die Schüler mit ihrem Chorleiter über Videokonferenz zusammengefunden und gemeinsam ein Lied aufgenommen. „Wenn wir die in langen Jahren aufgebaute Musikarbeit weiterleben lassen wollen, müssen wir in diese Richtung eventuell weiterdenken“, sagt Schulleiterin Beate Günther. Immerhin könnten im neuen Schuljahr bei den Instrumentalgruppen immer zwei Jahrgänge zusammen proben. Eltern hätten bereits ihre Unterstützung angeboten. Konzerte am offenen Fenster: Am hannoverschen Gymnasium Goetheschule stiftet Musik laut Schulleiter Michael Schneemann Identität. Im Musikzweig werde das Fach wie ein Hauptfach mit vier Stunden pro Woche unterrichtet, zwei Stunden davon werden im Klassenorchester praktisch erteilt. Jede Klasse sei also ein Mini-Orchester, das im neuen Schuljahr wieder gemeinsam üben dürfe. Die jahrgangsübergreifenden Ensembles hätten seit März Formate des Online-Musizierens entwickelt, zum Beispiel Konzerte am offenen Fenster, die dann zu einem Stück zusammengeschnitten wurden. „Wir machen so viel Musik wie irgend möglich“, sagt Schneemann. „Was nicht geht, geht eben nicht.“ Auch die Fachgruppe Darstellendes Spiel initiierte im Corona-Lockdown ein gemeinsames Video. Bedauerlich sei, dass die Live-Aufführungen fehlten, sagt Schneemann. Denn Applaus sei wichtig. Wenig Probleme bei Instrumentalklassen: Für die Integrierte Gesamtschule (IGS) Hannover-List mit ihren Chor- und Bläserklassen im Musikprofil sieht Schulleiterin Petra Hoppe keine Probleme, da Klassen im neuen Schuljahr ja wieder zusammen proben könnten und ohnehin über einen sehr langen Zeitraum zusammenblieben: Bläserklassen über sechs und Chorklassen über drei Jahre. Detlev Schiewe von der Freien Waldorfschule am Maschsee sagt, die Schulgemeinschaft hätte natürlich unter den Einschränkungen der Corona-Pandemie gelitten, denn Musik sei sehr wichtig für die Schule, aber die Infektionslage habe keine anderen Möglichkeiten zugelassen. Man werde nun sehen, was das neue Schuljahr bringe. Eine detaillierte Aussage dazu sei vor dem 17. August aber nicht möglich, denn dann erst werde das Land seinen genauen Fahrplan für das Schuljahr 2020/2021 bekanntgeben. Alles andere sei Spekulation. „Bläserensembles sind in Gefahr“: Michael Thiemann, Musiklehrer an der Käthe-Kollwitz-Schule in Hannover, sagt, in Klassen sei zwar das gemeinsame Musizieren möglich, aber mit hohen Auflagen. So baue der Schulhausmeister gerade Plexiglaswände, weil vor Blechblasinstrumenten sonst zwölf Meter Abstand eingehalten werden müssten. „Unsere vier jahrgangsübergreifenden, im Niveau ansteigenden Bläserensembles werden nicht in der gewohnten Art proben können“, sagt Thiemann. „Das ist ganz furchtbar, denn da sind auf einmal Strukturen in Gefahr, die in Jahrzehnten aufgebaut worden sind.“ Manche Schüler verfallen in „Corona-Lethargie“: Sein Ensemble ist die Käthe-Kollwitz-Big-Band, die sich 2019 als bestes Jugendjazzorchester Niedersachsens für den Bundeswettbewerb Jugend jazzt qualifizieren konnte. Dieser hätte im Mai stattfinden sollen, wurde aber ersatzlos gestrichen. Was Thiemann aber viel mehr schmerzt, ist, dass seit dem Frühjahr fünf Schüler die Band verlassen haben, weil sie sich nicht mehr zum Üben motivieren konnten. Auch andere Schulen hätten berichtet, dass Schüler in die „Corona-Lethargie“ verfallen seien. „Diese Generation wird nicht nur uns fehlen, sondern auch den Musikhochschulen und dem professionellen Musikbetrieb.“ Ausnahmegenehmigung für Schulensembles gefordert: Der Verband Deutscher Schulmusiker fordert deshalb Ausnahmegenehmigungen für jahrgangsübergreifende Proben von Schulchören oder -orchestern. Sie müssten freien Musikgruppen gleichgestellt werden. Da die Teilnahme an diesen Ensembles ja freiwillig sei, könnten die Schüler und ihre Eltern selbst entscheiden, ob sie mitmachen und das zusätzliche Risiko einer weiteren Lerngruppe eingehen wollten oder nicht. Zudem sollten auch Konzerte unter hygienegerechten Rahmenbedingungen – etwa draußen oder in großen Räumen – wieder möglich sein, fordert Weber. Die Anrechnungsstunden für die Leiter von Musikensembles müssten sichergestellt sein. 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