Tierschützer klagen Labor in Mienenbüttel an: „Da kommt kein Tier lebend raus“

„Hundefarm“ nennen die Leute die Firma. Sagt Sabine Brauer. Die Beagles, erzählt sie, die Versuchshunde, seien zum Teil in Zwingern auf dem Außengelände untergebracht, man höre sie im Dorf immer bellen. All die anderen Tiere höre man nicht, sagt Brauer. Und, nach einer Pause: „Da kommt sowieso keines lebend raus.“ Sabine Brauer wohnt in Mienenbüttel, 800 Meter entfernt vom Gelände der in Hamburg angesiedelten Firma Laboratory of Pharmacology and Toxicology, kurz LPT. Ein Betrieb, der Tierversuche vornimmt und nach einem Bericht der Passauer Tierrechtsorganisation „Soko Tierschutz“, für die ein Mitglied verdeckt in dem Betrieb gearbeitet hat, in den Fokus der Behörden gerückt ist. Die „Soko“ wirft dem Labor Grausamkeit und Rechtsverstöße vor, der Landkreis bestätigt inzwischen: Kontrollen hätten „den konkreten Verdacht strafrechtlich relevanter Handlungen“ ergeben. Die Staatsanwaltschaft Stade ermittelt. Zehn Kontrollen seit 2015: Sabine Brauer hat vor zehn Jahren einen kleinen Verein gegründet, „Lobby pro Tier“. Damals hat sie auch eine Anfrage an den Landkreis Harburg zu den Praktiken hinter den LPT-Mauern in Gang gebracht. Die Behörde antwortete auf die Frage, was mit Tieren geschehe, die das Labor lebend verließen: „Es verlassen keine lebenden Tiere das Labor.“ Heute antwortet der Landkreis auf Fragen nach tierschutzrechtlichen Mängeln in der Firma zunächst mit dem Hinweis, dass bei den Kontrollen des örtlichen Veterinäramtes – zehn seit 2015, sieben davon unangekündigt – keine gravierenden Verstöße festgestellt worden seien. Nicht gravierend war, dass einmal bei der Anlieferung von Beagles die Transportgenehmigung fehlte: 300 Euro Geldbuße. Gravierend ist jetzt: Es wurden 44 Makaken, meerkatzenähnliche Affen, in Käfigen gefunden, die zu eng waren. Außerdem wurden diese Tiere gerade nicht als Versuchstiere eingesetzt und hätten nach normalem Tierschutzrecht (das schärfer ist als das Versuchstierschutzrecht) untergebracht werden müssen. „Anhaltendes und erhebliches Leid“ sei ihnen zugefügt worden, sagt Kreissprecher Bernhard Frosdorfer. „Wir bedauern das.“ Zur Zeit 113 Tierversuche: Frosdorfer sagt auch noch etwas zur Effizienz amtlicher Kontrollen: „Eine Veterinärbehörde verfügt in der Praxis selbst bei unangemeldeten Kontrollen nicht über die Möglichkeiten eines Informanten wie hier durch die Soko Tierschutz, der jederzeit Einblick in die Haltung der Tiere und die Durchführung von Tierversuchen erhalten kann.“ Nach Auskunft des Landesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (Laves), der Aufsichtsbehörde für solche Firmen in Niedersachsen, laufen im LPT in Mienenbüttel derzeit 113 Versuche mit Tieren. Im vergangenen Jahr waren es insgesamt 1190 Versuche – 614 an Affen, 428 an Hunden, 138 an Kaninchen und zehn an Katzen. Es handelte sich vorwiegend um Tests der Toxizität von Stoffen, teils mit mehrfacher Verabreichung an bis zu 90 Tagen. In ganz Niedersachsen arbeiten laut Laves 35 Labore, die Tierversuche vornehmen. Dazu wurden 2018 insgesamt 224.083 Tiere herangezogen, vor allem Mäuse, etwa 149.000 an der Zahl, aber auch 25.000 Ratten, 10.000 Hühner und 25.000 Fische. Bürgermeister ausgeladen: Michael Wendt, Professor und Tierschutzbeauftragter an der Tierärztlichen Hochschule Hannover, berichtet, an der TiHo (und auch anderswo) sei jeder Eingriff, auch eine einfache Blutentnahme, bei den Behörden anzeigepflichtig. Weitergehende Versuche, die eigens genehmigt werden müssten, würden von einer Tierschutzkommission aus Wissenschaftlern und Tierschutzorganisationen vorab geprüft. Jede Institution, die Tierversuche vornehme, sei zur Bestellung eines Tierschutzbeauftragten verpflichtet. Was der Tierschutzbeauftragte bei LPT getan hat, ist derzeit nicht bekannt. Man kann das Unternehmen nicht fragen, dort geht niemand ans Telefon. Wolf-Egbert Rosenzweig, Bürgermeister der Gemeinde Neu Wulmstorf, zu der Mienenbüttel gehört, wollte das Labor mal besuchen. Die Firmenleitung habe ihm „rigide“ beschieden, er habe dort nichts zu suchen, sagt er. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des niedersächsischen Landtags hat für Mittwoch eine Unterrichtung durch die Landesregierung zu den Vorgängen in Mienenbüttel auf die Tagesordnung gesetzt. In Deutschland sind Tierversuche nur in zwei Bereichen möglich: Grundlagenforschung und Medikamentenentwicklung. Bei der Grundlagenforschung, die der Anlass für etwa die Hälfte der Tierversuche ist, geht es beispielsweise um bessere Kenntnisse des Nerven- und des Immunsystems. In der Medikamentenentwicklung sind Tierversuche teilweise sogar vorgeschrieben. Tierversuche darf es nach Auskunft des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft nur geben, wenn sie unerlässlich sind. Als unerlässlich gelten Forschung im Bereich Arzneimittel, Lebensmittel und Futtermittel, wenn sie der Vorbeugung, Erkennung oder Behandlung von Krankheiten oder der Förderung des Wohlergehens von Tieren dienen. Verboten sind insbesondere Tierversuche für Kosmetik, Waschmittel, Waffen und Tabak. Zweiter Grundsatz: Tierversuche müssen auf das absolut notwendige Maß beschränkt werden. Das Bundeslandwirtschaftsministerium fördert Institutionen, die nach Ersatztechniken suchen. Nach den Zahlen der Bundesregierung wurden 2017 bundesweit 2.068.813 Tiere für Tierversuche eingesetzt, 738.484 Tiere wurden für wissenschaftliche Zwecke (etwa Organentnahmen) getötet. Der Verein „Ärzte gegen Tierversuche“ kommentiert das mit dem Hinweis, dass alle diese Tiere im Verlauf der Versuche sterben oder getötet würden. Er berichtet, dass die Zahl der Tierversuche in Deutschland 1989 bei 2,6 Millionen lag, bis 1997 auf 1,5 Millionen fiel und bis 2011 wieder auf rund 2,8 Millionen anstieg, wo sie auch derzeit liegt. Von Bert Strebe